Mittwoch, 23. Dezember 2009
“Ohne schön zu seyn anziehend” Projekt Heiraten als Therapie
Wenn die Beziehung zu Mutter und Tochter Wolzogen zumindest in Schillers Phantasien ein erstes Dreiecksverhältnis bildete, so entwickelte sich das zweite zu den von Kalbs als ein durchaus reales weiter. Im Herbst 1787 kam nämlich Heinrich von Kalb auf Urlaub auf sein väterliches Gut Kalbsrieth, nur etwa 50 km nördlich von Weimar, und seine Frau hielt sich abwechselnd dort und dann wieder in der Stadt auf. In dieser delikaten Situation suchte Schiller für die Zeiten, in denen seine Geliebte bei ihrem Mann weilte, offenbar weitere Ablenkung. Körner schrieb er, die Wahrheit nachträglich etwas frei gestaltend, am 8.12.87:
“In Rudolstadt habe ich mich auch einen Tag aufgehalten, und wieder eine recht liebenswürdige Familie kennen lernen”, heißt es im gleichen Brief weiter. “Eine Frau von Lengenfeld lebt da mit einer verheiratheten und einer noch ledigen Tochter. Beide Geschöpfe sind (ohne schön zu seyn) anziehend und gefallen mir sehr.”
Sogleich setzt eine Veränderung im Verhältnis zur bisherigen Favoritin ein: “Hier in Weimar habe ich Charlotte und ihren Mann wiedergefunden. Er ist ganz der alte, wie ich aus dem ersten Anblick urtheilen konnte; denn ich habe ihn nur einmal gesprochen. Sie ist gesund und sehr aufgeweckt. (Ich weiß nicht, ob die Gegenwart des Mannes mich lassen wird, wie ich bin. Ich fühle in mir schon einige Veränderung, die weiter gehen kann.)”
Mitte November bereits hatte Schiller einen selten hellsichtigen Brief über sich selbst und sein Verhältnis zu Frauen geschrieben:
Seine bisherige Geliebte, Frau v. Kalb, steht dafür, wie sich inzwischen definitiv erwiesen hat, nicht zur Verfügung, und schon ist Schiller bereit, sie ein zweites Mal und diesmal endgültig abzuschreiben. Was bei der inzwischen leicht überspannten Frau wahre Verzweiflungsstürme ausgelöst haben soll. Schillers heiratserpichte Suchscheinwerfer beginnen indeß erneut zu kreisen, und gegen Ende des Winters ‘88 gerät neue Beute in ihren Lichtkegel. Nicht zufällig, denn genau zu diesem Zweck wurde sie auf den Wildwechseln Weimars ins Schußfeld gestellt. Dabei ist sie eigentlich schon waidwund geschossen von Amors Pfeilen. “Meine Schwester konnte wohl in jedem Sinne eine wünschenswerte Verbindung für Schiller sein”, schrieb Karoline von Wolzogen (geb. v. Lengefeld, geschiedene v. Beulwitz) in ihrer Schiller-Biographie über ihre Schwester Charlotte und über die Anbahnung ihres Verhältnisses zu dem heiratswütigen Poeten in Weimar, dem sie anläßlich einer Aufführung der Räuber vier Jahre zuvor bereits vorgestellt worden waren. Doch damals in Mannheim war Charlotte ein 17jähriger Backfisch auf der Rückreise aus der Schweiz gewesen, und die Schwestern hatten sich allenfalls gewundert, daß “ein so gewaltiges und ungezähmtes Genie ein so sanftes Äußeres haben könne”. Den folgenden Winter hatte Charlotte bei ihrer Patentante, der Frau von Stein, in Weimar verbracht, um “in die Gesellschaft eingeführt” und womöglich von der Herzogin als Hofdame engagiert zu werden. Stattdessen lernte sie einen schottischen Captain namens Henry Heron auf seiner Kavalierstour kennen, und verliebte sich so heftig in ihn, daß ganz Weimar davon wußte. Ostern 1785 gestand er ihr seine Liebe und zeigte ihr gleichzeitig den Befehl, der ihn zum Militärdienst nach Indien abberief. Abflug Heron.
“Während daß Frau von Kalb in Kalbsrieth sich aufhielt, bekam ich solche Aufforderungen von meiner Schwester und der Dame, auf deren Gut ich war, nach Meiningen zu kommen, daß ich meinen Interims-Wittwerstand in Weimar endlich aufopfern mußte.” (Interims-Wittwerstand ist natürlich auch ein aufschlußreiches Wort dafür, wie Schiller sein Verhältnis zu Charlotte von Kalb sah.) “Die Dame hat sich große Rechte auf meine Dankbarkeit erworben; sie bittet mich in mehr als zwanzig Briefen, solang ich in Weimar bin, unaufhörlich um diesen Besuch... Ich war also wieder in der Gegend, wo ich von 82 bis 83 als ein Einsiedler lebte... Jezt nach fünf Jahren kam ich wieder, nicht ohne manche Erfahrungen über Menschen, Verhältnisse und mich. Jene Magie war wie weggeblasen. Ich fühlte nichts. Keiner von allen Plätzen, die ehemals meine Einsamkeit interessant machten, sagte mir jezt etwas mehr.”Meiningen/Wolzogen scheint also endgültig abgehakt zu sein und nicht einmal mehr als Notnagel genügend Attraktivität für Schiller zu besitzen, und Charlotte weilt bei ihrem Mann in Kalbsrieth, eine Zeit, Trübsal zu blasen, könnte man vermuten. Aber nein, die Situation schafft vor allem Raum für neue Bekanntschaften.
“In Rudolstadt habe ich mich auch einen Tag aufgehalten, und wieder eine recht liebenswürdige Familie kennen lernen”, heißt es im gleichen Brief weiter. “Eine Frau von Lengenfeld lebt da mit einer verheiratheten und einer noch ledigen Tochter. Beide Geschöpfe sind (ohne schön zu seyn) anziehend und gefallen mir sehr.”
Sogleich setzt eine Veränderung im Verhältnis zur bisherigen Favoritin ein: “Hier in Weimar habe ich Charlotte und ihren Mann wiedergefunden. Er ist ganz der alte, wie ich aus dem ersten Anblick urtheilen konnte; denn ich habe ihn nur einmal gesprochen. Sie ist gesund und sehr aufgeweckt. (Ich weiß nicht, ob die Gegenwart des Mannes mich lassen wird, wie ich bin. Ich fühle in mir schon einige Veränderung, die weiter gehen kann.)”
Mitte November bereits hatte Schiller einen selten hellsichtigen Brief über sich selbst und sein Verhältnis zu Frauen geschrieben:
“Ich glaube wirklich, Wieland kennt mich noch wenig genug, um mir seinen Liebling, seine zweite Tochter nicht abzuschlagen, selbst jezt nicht, da ich nichts habe. Das Mädchen kenne ich nicht, gar nicht, aber siehst Du, ich würde sie ihm heute abfordern, wenn ich glaubte, daß ich sie verdiente. Es ist sonderbar, ich verehre, ich liebe die herzliche empfindende Natur, und eine Kokette, jede Kokette kann mich fesseln. Jede hat eine unfehlbare Macht auf mich, durch meine Eitelkeit und Sinnlichkeit; entzünden kann mich keine, aber beunruhigen genug. Ich habe hohe Begriffe von häuslicher Freude, und doch nicht einmal soviel Sinn dafür, um mir sie zu wünschen. Ich werde ewig isolirt bleiben in der Welt, ich werde von allen Glückseligkeiten naschen, ohne sie zu genießen. Auf die Wieland zurückzukommen: ich sage Dir, ich glaube, daß mich ein Geschöpf, wie dieses, glücklich machen könnte, wenn ich soviel Egoismus hätte, glücklich seyn zu können, ohne glücklich zu machen, und an dem leztern zweifle ich sehr. Bei einer ewigen Verbindung, die ich eingehen soll, darf Leidenschaft nicht seyn, und darum hab ich bei diesem Falle mich schon verweilt. Ich kenne weder das Mädchen, noch weniger fühle ich einen Grad von Liebe, weder Sinnlichkeit noch Platonismus – aber die innigste Gewißheit, daß es ein gutes Wesen ist, daß es tief empfindet und sich innig attachiren kann, mit der Rücksicht zugleich, daß sie zu einer Frau ganz vortrefflich erzogen ist, äußerst wenig Bedürfnisse und unendlich viel Wirthschaftlichkeit hat.” (19.11.87)Nun gut, das junge Fräulein Wieland, wohl Maria Karolina, 1770 geboren und also heiratsfähige 17 Jahre alt - man findet sich in “Wielands Kinder-Fabrick” (wie es Göthes Mutter einmal in einem Brief an Herzogin Anna Amalia ausdrückte) nicht so leicht durch. Nicht weniger als 14 Kinder brachte seine Frau zur Welt, von denen allerdings nur 7 groß wurden - eine junge Wieland-Tochter also kam persönlich nicht in Betracht, aber sonst läßt Schiller hier recht genaue Vorstellungen von einer zukünftigen Ehe erkennen, und in seinem nächsten Neujahrsbrief an Körner hat das Unternehmen Heirat weitere gedankliche Fortschritte gemacht:
“Dass ich jezt so vielen Werth auf Gründlichkeit lege, führt Dich vielleicht auf die Vermuthung, dass ich für ein Etablissement arbeite. Das ist dennoch der Fall nicht, aber mein Schicksal muß ich innerhalb eines Jahres ganz in der Gewalt haben und also für eine Versorgung qualifiziert seyn... ich muß eine Frau dabei ernähren können, denn noch einmal, mein Lieber, dabei bleibt es, dass ich heirathe. Könntest Du in meiner Seele so lesen, wie ich selbst, Du würdest keine Minute darüber unentschieden seyn. Alle meine Triebe zu Leben und Thätigkeit sind in mir abgenützt; diesen einzigen habe ich noch nicht versucht. Ich führe eine elende Existenz, elend durch den inneren Zustand meines Wesens. Ich muß ein Geschöpf um mich haben, das mir gehört, das ich glücklich machen kann und muß, an dessen Daseyn mein eigenes sich erfrischen kann. Du weißt nicht, wie verwüstet mein Gemüth, wie verfinstert mein Kopf ist... Freundschaft, Geschmack, Wahrheit und Schönheit werden mehr auf mich wirken, wenn eine ununterbrochene Reihe feiner wohlthätiger häuslicher Empfindungen mich für die Freude stimmt und mein erstarrtes Wesen wieder durchwärmt. Ich bin bis jetzt ein isolierter fremder Mensch in der Natur herumgeirrt, und habe nichts als Eigenthum besessen. Alle Wesen, an die ich mich fesselte, haben etwas gehabt, das ihnen theurer war als ich, und damit kann sich mein Herz nicht behelfen. Ich sehne mich nach einer bürgerlichen und häußlichen Existenz, und das ist das Einzige, was ich jezt noch hoffe.”In einem Brief an den zweiten Leipziger Freund, Ferdinand Huber, (vom 20.1.1788) wird er noch deutlicher:
“Du glaubst nicht, wie sehr ich seit 4 oder 5 Jahren aus dem natürlichen Geleise menschlicher Empfindungen gewichen bin; diese Verrenkung meines Wesens macht mein Unglück, weil Unnatur nie glücklich machen kann; aber ich kann sie auf keinem Wege verbeßern; auf keinem der mir bekannt ist, durchaus auf keinem vielleicht; aber Einen habe ich noch nicht versucht und ehe ich die Hoffnung ganz sinken lasse, muß ich noch diese Erfahrung machen. Diß ist eine Heurath. Glaube mir, daß ich Dir keinen Roman auftische. Wenn andre meinesgleichen durch häußliche Feßeln für weiter Plane der Wirksamkeit verloren gehen, so ist Häußlichkeit just das einzige, was mich heilen kann, weil es mich zur Natur, zur sehr prosaischen Alltagsnatur zurückführt, von der ich erstaunlich weit abseits gerathen bin. Weder Du noch Körner – und wer also sonst? könnt die Zerstörung ahnden, welche Hypochondrie, Überspannung, Eigensinn der Vorstellung, Schicksal meinetwegen in dem innern meines Geists und Herzens angerichtet haben.”Außer an die Geschichte der Niederlande, die ihm endlich das nötige Geld und eine feste Stellung einbringen soll (“Erstens. Ich muß von Schriftstellerei leben, also auf das sehen, was einträgt... Mit der Hälfte des Werths, den ich einer historischen Arbeit zu geben weiß, erreiche ich mehr Anerkennung in der sogenannten gelehrten und in der bürgerlichen Welt als mit dem größten Aufwand meines Geistes für die Frivolität einer Tragödie.” Er spekuliert bereits auf eine Jenaer Professur), denkt Schiller vor allem an eins: er will heiraten. Alle anderen “Triebe” sind schon fad geworden, “diesen einzigen habe ich noch nicht versucht”. Und ein Jahr gesteht er sich für die Brautschau noch zu; mit 30 will er unter der Haube sein.
Seine bisherige Geliebte, Frau v. Kalb, steht dafür, wie sich inzwischen definitiv erwiesen hat, nicht zur Verfügung, und schon ist Schiller bereit, sie ein zweites Mal und diesmal endgültig abzuschreiben. Was bei der inzwischen leicht überspannten Frau wahre Verzweiflungsstürme ausgelöst haben soll. Schillers heiratserpichte Suchscheinwerfer beginnen indeß erneut zu kreisen, und gegen Ende des Winters ‘88 gerät neue Beute in ihren Lichtkegel. Nicht zufällig, denn genau zu diesem Zweck wurde sie auf den Wildwechseln Weimars ins Schußfeld gestellt. Dabei ist sie eigentlich schon waidwund geschossen von Amors Pfeilen. “Meine Schwester konnte wohl in jedem Sinne eine wünschenswerte Verbindung für Schiller sein”, schrieb Karoline von Wolzogen (geb. v. Lengefeld, geschiedene v. Beulwitz) in ihrer Schiller-Biographie über ihre Schwester Charlotte und über die Anbahnung ihres Verhältnisses zu dem heiratswütigen Poeten in Weimar, dem sie anläßlich einer Aufführung der Räuber vier Jahre zuvor bereits vorgestellt worden waren. Doch damals in Mannheim war Charlotte ein 17jähriger Backfisch auf der Rückreise aus der Schweiz gewesen, und die Schwestern hatten sich allenfalls gewundert, daß “ein so gewaltiges und ungezähmtes Genie ein so sanftes Äußeres haben könne”. Den folgenden Winter hatte Charlotte bei ihrer Patentante, der Frau von Stein, in Weimar verbracht, um “in die Gesellschaft eingeführt” und womöglich von der Herzogin als Hofdame engagiert zu werden. Stattdessen lernte sie einen schottischen Captain namens Henry Heron auf seiner Kavalierstour kennen, und verliebte sich so heftig in ihn, daß ganz Weimar davon wußte. Ostern 1785 gestand er ihr seine Liebe und zeigte ihr gleichzeitig den Befehl, der ihn zum Militärdienst nach Indien abberief. Abflug Heron.
“Ihr Gemüt war wund und bewegt durch eine herzliche Neigung, die sie angeben musste, da äußere Umstände ungünstig waren. Der edle und liebenswürdige Mann, dem ihre Neigung zugewandt war, sprach seine Liebe in allem schmerz der Hoffnungslosigkeit aus und nährte so die Empfindung, die für ihn sprach. Seine Verhältnisse trugen ihn im Militärdienst über das Meer nach einem andern Weltteile, und die Wehmut eines solchen Abschieds tönte lange in dem Wesen meiner Schwester nach. Um sie zu erheitern, veranlassten wir einen Aufenthalt von einigen Monaten in Weimar”,erklärt Karoline mit der für eine Schiller-Biographie gebotenen höflichen Umschreibung. Schwesterchen war nämlich inzwischen 22 und gehörte dringend “versorgt”, weil der Vater früh verstorben und die verwitwete Mutter vergleichsweise mittellos zurückgeblieben war. Die ältere Tochter Karoline selbst war darum schon mit 16 ohne jede Rücksicht auf Gefühle dem begüterten Freiherrn Friedr. Wilh. von Beilwitz verheiratet worden. Nun also war die kleine, schüchterne und noch immer an Liebeskummer laborierende Charlotte dran. Pech nur für die Mutter, daß sie an dem gut gestellten, aber 22 Jahre älteren Prinzenerzieher Karl Ludwig von Knebel unerklärlicherweise wenig Gefallen fand. Da konnte sie das gewaltige, ungezähmte Genie mit dem sanften Äußeren schon eher vom Kummer über den entflogenen Reiher ablenken. Auf einem Maskenball im Karneval begegneten sie und das Genie sich Anfang Februar 1788 wieder. Als Haupt”event” wurde Schillers wenige Tage vorher zum Geburtstag der Herzogin Louise verfaßtes genial gereimtes Gedicht Die Priesterinnen der Sonne szenisch aufgeführt. Seine vorletzte Strophe lautet:
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