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Donnerstag, 17. Dezember 2009
Das Klatschweib Schiller und die Stars von Weimar
“Der einzige Grund für das Unglück des Menschen ist, dass er nicht still in seinem Zimmer sitzenbleiben kann.” Diesen bekannten, von Pascal kolportierten Ausspruch habe ich schon einmal für selten dämlich erklärt, und ich tue es gern wieder, kann mir auch kaum anderes vorstellen, als daß er von einem ansonsten klugen Menschen wie Pascal im Affekt eines spontan aufwallenden Ärgers geäußert wurde. Wo wäre die Menschheit stehen geblieben, wenn sie es aufgegeben hätte, sich untereinander zu besuchen? Was für fremdenscheue, monadische Inzuchtsiedlungen wären entstanden, welche kulturellen und auch technischen Fortschritte wären unterblieben? Das braucht man doch gar nicht weiter auszuführen. Bewegung, Austausch, Verkehr ist den Menschen notwendig, und entgegen dem Eindruck, den das Goethe-und-Schiller-Denkmal, festgemauert in seiner Weimarer Erde, erweckt, waren auch die Menschen damals viel häufiger unterwegs und wechselten die Orte und Wohnsitze, als man sich das gemeinhin so vorstellt in jener Zeit vor Erfindung von Auto, Flugzeug, Eisenbahn. Hölderlin lief zu Fuß von Schwaben nach Thüringen, von dort in die Schweiz, nach Südfrankreich und über Paris wieder zurück, Herder kam aus Riga und auf dem Umweg über eine ausgedehnte Frankreich- und Belgienreise nach Weimar, Herr von Kalb hatte als Soldat wie Tausende andere Deutsche an den Kolonialkriegen in Nordamerika teilgenommen, Goethe reiste durch ganz Italien, und Schiller schrieb dem Dresdner Freund Körner (dem Vater von Theodor Körner übrigens) am 23. Juli 1787 aus Weimar:
“Vorgestern Abend kam ich hier an. Am nehmlichen Abend sah ich Charlotten. Unser erstes Wiedersehen hatte soviel gepreßtes, betäubendes, daß mirs unmöglich fällt, es euch zu beschreiben. Charlotte ist sich ganz gleich geblieben, biß auf wenige Spuren von Kränklichkeit, die der Paroxysmus der Erwartung und des Wiedersehens für diesen Abend aber verlöschte und die ich erst heute bemerken kann. Sonderbar war es, daß ich mich schon in der ersten Stunde unsers Beisammenseins nicht anders fühlte als hätt ich sie erst gestern verlassen. So einheimisch war mir alles an ihr, so schnell knüpfte sich jeder zerrissene Faden unsers Umgangs wieder an... Charlotte ist eine große sonderbare weibliche Seele, ein wirkliches Studium für mich, die einem größeren Geist als der meinige ist, zu schaffen geben kann. Mit jedem Fortschritt unsers Umgangs entdecke ich neue Erscheinungen in ihr, die mich, wie schöne Parthien in einer weiten Landschaft überraschen, und entzücken... Die Situation des H. v. Kalb am Zweibrückischen Hofe, wo er eine Carriere machen dürfte, wenn der Curfürst v. d. Pfalz sterben sollte, läßt sie vielleicht 10 biß 15 Jahre über ihren Aufenthalt frey gebieten... Hier ist wie es scheint schon ziemlich über mich, und mich und Charlotten gesprochen worden. Wir haben uns vorgesetzt, kein Geheimniß aus unserem Verhältniß zu machen”.
Sie ist fast krank vor Erwartung und gelähmt vor Wiedersehensangst, er hat sie damals verlassen, aber schon in der ersten Stunde ihres Beisammenseins fühlt es sich so an, als seien sie nie getrennt gewesen. Sicher, der Bereich des Erotischen kann sehr weitgespannt sein, und Sexualität ist nur eine Möglichkeit unter vielen, um zwischen zwei Menschen Nähe herzustellen. Aber wer nach diesen Äußerungen Schillers immer noch unbedingt meinen will, das von ihm selbst hier explizit so genannte Verhältnis zu Charlotte von Kalb sei nur ein rein platonisches gewesen, der verschließt sich doch sehenden Auges der lectio facilior.

Diese Weimarer Briefe an seinen wirklich vertrauten Freund Körner gehören überhaupt zu den aufschlußreicheren der Zeit, denn in ihnen nennt Schiller was ihm begegnet und widerfährt ziemlich unverblümt beim Namen. “Dieser Tage habe ich in großer adlicher Gesellschaft einen höchst langweilig Spaziergang machen müssen. Das ist ein nothwendiges Übel, in das mich mein Verhältniß mit Charlotten gestürzt hat – und wieviel flache Creaturen kommen einem da vor.” (12.8.87) Viel Klatsch breitet der erhabene Klassiker (der er damals aber natürlich noch nicht ist) in ihnen aus, und er vergißt nie zu erwähnen, was über ihn selbst geredet wird, denn das wurde ihm im kleinen Weimar natürlich umgehend hinterbracht. Umgekehrt ist er sich auch selbst nicht zu schade, rechte Klatschgeschichten über die anderen Weimarer Celebritäten zu verbreiten oder sie zu karikieren.
Wieland: “Sein Äuseres hat mich überrascht. Was er ist hätte ich nicht in diesem Gesichte gesucht – doch gewinnt es sehr durch den Augenblicklichen Ausdruck seiner Seele, wenn er mit Wärme spricht... Sehr gerne hört er sich sprechen, seine Unterhaltung ist weitläufig und manchmal fast biß zur Pedanterei vollständig, wie seine Schriften, sein Vortrag nicht fließend, aber seine Ausdrücke bestimmt. Er sagte übrigens viel alltägliches, hätte mir nicht seine Person, die ich beobachtete, zu thun gegeben, ich hätte oft Langeweile fühlen können.” (24.7.87)
Im gleichen Brief über die 48jährige Herzogin Anna Amalia (ja, genau die, nach der die unter ihrer Regentschaft gegründete Weimarer Bibliothek benannt wurde): “Sie selbst hat mich nicht erobert. Ihre Physiognomie will mir nicht gefallen. Ihr Geist ist äuserst borniert, nichts interessiert sie, als was mit Sinnlichkeit zusammenhängt”.
“Am vorigen Sontag war ich zu Bertuch zu einem sehr weitläuftigen Soupeer geladen, wo ich mich unter einer höchst abgeschmackten Menschenklasse, den Räthen und Räthinnen von Weimar, sehr übel berathen fand. In einer solchen Dürre des Geistes war Bertuch für mich ein wohlthuendes Wesen und das ist viel gesagt... Nächst ihm gefällt mir Bode noch ziemlich, aber ich traue ihm eben so wenig.” (14.9.87)
“Ueber die hiesigen Menschen hat mir Bode manche und drollige Aufschlüsse gegeben. Ich erzählte ihm meine jetzige Lage mit Wieland. Das wäre ganz in der Ordnung sagte er. Klopstok habe ihn nach Wieland einmal gefragt, darauf habe er ihm folgende Antwort gegeben. Er wünsche Wielands wegen, daß er auf eine halbe Stunde Jesus Christus beim jüngsten Gericht seyn dürfe. – Was würde er dann thun,“ fragte Klopstock. – Wieland müsse vor ihm, alle seine Schriften unter dem Arm, erscheinen, um sein Urtheil zu hören. – Sind Sie Herr Wieland aus Weimar, würde er zu ihm sagen – Ja – Nun Herr Wieland, sehen sie, dahin ligt rechts und dorthin links. Gehen Sie nun wohin es ihnen beliebt – wohin es Ihnen beliebt; aber nehmen sie sich nur in Acht. Das sage ich ihnen. Geben Sie wohl acht! – Die Satyre ist sehr fein, wenn man Wieland kennt, sein Lavieren zwischen gut und Übel” (10.9.87).
“Von den hiesigen großen Geistern überhaupt kommen einem immer närrische Dinge zu Ohren. Herder und seine Frau leben in einer egoischen Einsamkeit und bilden zusammen eine Art von heiliger ZweiEinigkeit, von der sie jeden Erdensohn ausschließen. Aber weil beide stolz, beide heftig sind, so stößt diese Gottheit zuweilen unter sich selbst aneinander. Wenn sie also in Unfrieden gerathen sind, so wohnen beide abgesondert in ihren Etagen, und Briefe laufen Treppe auf, Treppe nieder, biß sich endlich die Frau entschließt in eigner Person in ihres Ehgemals Zimmer zu treten, wo sie eine Stelle aus seinen Schriften recitiert, mit den Worten: „Wer das gemacht hat, muß ein Gott seyn, und auf den kann niemand zürnen“ – Dann fällt ihr der besiegte Herder um den Hals und die Fehde hat ein Ende.” (29.8.87)
Als Person aber macht Herder wiederholt einen angenehmen, guten und klugen Eindruck auf ihn, viel positiver als der langweilige und auch noch eitle Wieland. “Herder würde mir von allen der liebste seyn, wenn Herder aus sich heraustreten könnte um der Freund eines Freunds zu seyn. Beim ersten Anblicke und vollends bei einem warmen Gespräch ist es der liebenswürdigste Mensch unter dem Himmel. Dein ganzes Herz will ihm entgegen fliegen aber man sagt dass er es immer wieder zurückzuwerfen weiß.” (14.9.87)
Angelika Kauffmann, Selbstporträt 1784Von Göthe (so schreibt Schiller ihn selbst) kaum etwas, denn der ist gar nicht da, sondern verlustiert sich gerade auf seiner Italienreise im römischen Salon der gefeierten Malerin Angelika Kauffmann, der, laut Herder, “vielleicht kultiviertesten Frau Europas”, und ärgert sich höchstens einmal über die “Literatoren, wie sie hier in Abbétracht herumwandern”. Am schlimmsten war die Konversation mit ihnen, “wenn Dante zur Sprache kam. Ein junger Mann von Stande und Geist und wirklichem Anteil an jenem außerordentlichen Manne nahm meinen Beifall und Billigung nicht zum besten auf, indem er ganz unbewunden versicherte, jeder Ausländer müsse Verzicht tun auf das Verständnis eines so außerordentlichen Geistes, dem ja selbst die Italiener nicht in allem folgen könnten.”
Ach ja, wer würde sie nicht wiedererkennen, unsere stets sympathisch uneitlen italienischen Freunde.

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