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Mittwoch, 9. Dezember 2009
Trigonometria: sive de solutione triangulorum
Daß unsere verehrten Herrn Klassiker keineswegs ein so gipsernes Leben führten, wie es ihre Abgußsammlungen antiker Statuen vermuten lassen, ist ja längst kein Geheimnis mehr, und Göthes abwechslungsreiches Liebesleben zum Beispiel hinlänglich bekannt. Schiller gilt gemeinhin als asketischer, aber wenn man nur ein wenig in den Briefen aus der Zeit liest, fragt man sich schon, wie seine späteren Biographen dieses Bild überhaupt aufbauen konnten.
Kaum hatte nämlich der frisch gebackene Regimentsarzt Friedrich Schiller Ende 1780 die Militärakademie auf der Solitude verlassen, sprach sich in Stuttgart schon herum, daß der 22jährige ein stürmisches Verhältnis mit seiner Vermieterin, der 30jährigen Witwe Luise Vischer, unterhielt, ein "verwahrlostes Weib, eine wahre Mumie", erregte sich sein Freund Johann Wilhelm Petersen (der, überhaupt tugendhaft, 1782 anonym eine Geschichte der deutschen National-Neigung zum Trunke verfaßte). Schiller hat die Vischerin bekanntlich in seinen ekstatisch-schwülstigen Gedichten an Laura besungen:
Meine Laura! nenne mir den Wirbel,
Der an Körper Körper mächtig reißt!...
Aus den Schranken schwellen alle Sehnen,
Seine Ufer überwallt das Blut,
Körper will in Körper über stürzen,
Lodern Seelen in vereinter Gluth...
Meine Muse fühlt die Schäferstunde,
Wenn von deinem wollustheißen Munde
Silbertöne ungern fliehn...
Waren, Laura, diese Lustsekunden
Nicht ein Diebstahl jener Götterstunden?
Wohl eher eine rhetorische Frage, denn Schiller galt damals als rüder Draufgänger, der - enthüllte Spiegel Online letztens mit einem Auszug aus Volker Hages Buch Vom Feuerkopf zum Klassiker - dem "thierischen Genuss" nicht abgeneigt war; von "Sprüngen mit Soldatenweibern, auch en compagnie" war sogar die Rede (und es hört sich doch auf Französisch noch etwas feiner an als im heute gebrauchten englischen Ausdruck. Der Idiot in Lars von Triers Idioterne nennt es auf Dänisch begeistert gruppeknall).
Ich will hier ja keine Chronique scandaleuse führen, aber man könnte fast den Eindruck bekommen, als hätten gerade solche “Gemeinschaftserlebnisse” Schillers Phantasie nachhaltig geprägt.
Als er sich nach seiner Flucht aus Württemberg vor den Häschern seines Landesherrn verstecken mußte, bot ihm die verwitwete Mutter seines Akademiekameraden Wilhelm von Wolzogen ein heimliches Asyl auf ihrem Gut Bauerbach am Osthang der Rhön (10 km vom thüringischen Meiningen), und nicht nur das, Henriette von Wolzogen steckte dem ewig Klammen auch fortgesetzt Geld zu, insgesamt nicht weniger als 540 Gulden, die sie sich, gegen veritable Zinsen versteht sich, teilweise selbst bei Geldverleihern borgen mußte und die Schiller nie zurückzahlte. Ob sie das alles nur aus “mütterlicher Fürsorge” tat, darf wohl bezweifelt werden.

Das Wolzogensche Haus in Bauerbach Anfang Januar 1783 traf Henriette von Wolzogen in Begleitung ihrer erst 16jährigen Tochter Charlotte in Thüringen ein. Schiller begleitete Mutter und Tochter ins nahe gelegene Walldorf, wo Henriettes Bruder, der Oberforstmeister Dietrich Marschalk von Ostheim, lebte. Zurück in Bauerbach, schrieb Schiller Henriette von Bauerbach noch in der Nacht des 4. Januar 1783 einen Brief: “Ich kam ganz wohlbehalten von Masfeld hier an. Aber meine Prophezeihung wurde wahr. Seit Ihrer Abwesenheit bin ich mir selbst gestolen. Es geht uns mit grosen lebhaften Entzükkungen, wie demjenigen der lange in die Sonne gesehen. Sie steht noch vor ihm, wenn er das Auge längst davon weggewandt. Es ist für jede geringere Stralen verblindet.”
Bis zu Frau von Wolzogens Abreise am 24. Januar wohnte Schiller mehr oder weniger beständig mit in Walldorf. “So kann ich also doch mit dem Schiksal zufrieden seyn, weil ich Sie die kurze Zeit Ihres Hierseyns doch recht genießen kann”, schrieb er ihr am 10. Januar beim Wäschewechseln aus Bauerbach. Sieht so aus, als habe sich der feurige junge Dichter einmal mehr als Witwentröster betätigt.
Das aber hinderte ihn keineswegs, sich gleichzeitig in das reizende Fräulein Tochter zu verlieben, und zwar so heftig, daß er die Frau Mutter im gleichen Brief praktisch schon verabschiedete: “Aber die Zeit eilt so schnell meine Beste, und das Nächstmal dass ich Sie sehe kommt schon der Abschied wieder. Zwar kein Abschied auf Lange, doch ein Abschied und welche Empfindungen man dabei zu erwarten hat, weis ich aus der Erfahrung. Es ist schröklich ohne Menschen ohne ein mitfühlende Seele zu leben, aber es ist auch eben so schröklich sich an irgend ein Herz zu hängen, wo man, weil doch auf der Welt nichts Bestand hat, nothwendig einmal sich losreissen, und verbluten mus.”
Beim nächsten Besuch von Mutter und Tochter im Mai hängt sein Herz nicht an niemandem, sondern an beiden: “Da siz ich, reibe mir die Augen, will zu Ihnen, und besinne mich, daß ich den Kaffé allein trinken mus – aber mein Herz ist zwischen Ihnen und unsrer Lotte”. Am Tag zuvor hat er Lottes Bruder Wilhelm geschrieben: “Sie haben mir Ihre Lotte anvertraut, die ich ganz kenne. Ich danke Ihnen für diese grose Probe Ihrer Liebe zu mir [...] Glauben Sie meiner Versicherung, Bester Freund, ich beneide Sie um diese liebenswürdige Schwester. Noch ganz wie aus den Händen des Schöpfers, unschuldig, die schönste weichste empfindsamste Seele, und noch kein Hauch des allgemeinen Verderbnißes am lautern Spiegel ihres Gemüts – so kenn ich Ihre Lotte, und wehe demjenigen, der eine Wolke über diese unschuldige Seele zieht!” (27.5.1783)
Drei Tage später ist wieder die Mutter an der Reihe: “Dass ich bei Ihnen bleibe und wo möglich begraben werde, versteht sich. Ich werde es auch wol bleiben laßen, mich von Ihnen zu trennen, da mir drei Tage schon unerträglich sind. Nur das ist die frage wie ich bei Ihnen auf die Dauer meine Glükseligkeit gründen kann. Aber gründen will ich sie, oder nicht leben”.
Schiller hat die Ärmste in der Folgezeit wirklich einem üblen Wechselbad der Gefühle ausgesetzt. Auf solche Treueschwüre folgen Versicherungen, er könne sich keine bessere (insgeheim wohl: Schwieger-)mutter (!) wünschen als sie; Schiller bastelt sich also zumindest in seiner Phantasie ein hübsches Dreiecksverhältnis, in dem er sein Begehren abwechselnd auf die Tochter und auf die Mutter richtet. Aus Mannheim, wohin er ans Theater zurückgekehrt ist, schürt er wiederum ihre Eifersucht: “mit den Schauspielern lebe ich höflich und aufgemuntert, sonst äuserst zurükgezogen”; ansonsten mache er sich rar, “ich attaschiere mich sehr delikat. Von Frauenzimmern kann ich das nemliche Sagen – sie bedeuten hier sehr wenig, und die Schwanin ist beinahe die einzige, eine Schauspielerin ausgenommen, die eine vortrefliche Person ist. Diese und einige andre machen mir zuweilen eine angenehme Stunde, denn ich bekenne gern, dass mir das schöne Geschlecht von Seiten des Umgangs gar nicht zuwider ist.” (13.11.1783)
Der zunächst ach so Dankbare, der sich anscheinend der Zuneigung seiner Gönnerin recht sicher ist, wandelt sich unterdessen vom Bittsteller zum herablassenden Schnösel, der ihr wie mit größter Selbstverständlichkeit Bestellungen schickt, die sie, natürlich auf ihre Kosten, für ihn besorgen soll: “Haben Sie die Güte und Befördern den Einschluß durch einen Expressen nach der Solitude... Außerdem bitte ich Sie, einstweilen die Auslage für mich zu machen, und, nebst etlichen Buch Briefpostpapier, welches ich hier zu Land nicht zu bekommen weis, 2 oder 4 Pfund Maroccoschnupftobak der mir schon 6 Monate nicht zu Nase gekommen, vom Kaufmann Merklin oder Bailing ausnehmen zu lassen.” (8.5.1783)
Im Juni des nächsten Jahres erfolgt der entscheidende Versuch und Vorstoß:
“Nunmehr, meine Beste, kann ich Ihnen mit freiem unbefangenem Herzen wieder schreiben, da Sie mich aufs neu Ihrer Freundschaft versichern, und die meinige nicht zurükstoßen [...] Ich kann nicht läugnen, dass mir die Zeit meines Hierseyns schon manches Angenehme und Schmeichelhafte widerfahren ist, aber es gieng doch nie biß auf den Grund meines Herzens, und dieses blieb noch immer kalt, und leer. Krankheit und Überhäufung von Geschäften goßen zuviel Bitteres in mein bisheriges Leben, und nie nie werde ich jene frohen heitern Augenblike zurükrufen können, die ich die Zeit meines Aufenthalts in Bauerbach so reichlich genoß. Wenn ich jezt ernsthaft über meine Schiksale nachdenke, so finde ich mich seltsam und sonderbar geführt. Nie kann ich ohne Bewegung der Seele an den Spaziergang in Ihrem Wald zurükdenken, wo es beschlossen wurde, dass ich eine Zeitlang verreißen sollte. Wer hätte damals gedacht, dass ein ohngefehrer Gedanke soviel, soviel in meinem Schiksal verändern würde? – und doch hat dieser Gedanke vielleicht für mein ganzes Leben entschieden [...] Sie werden lachen, liebste Freundin, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich mich schon eine Zeitlang mit dem Gedanken trage, zu heuraten. Nicht als wenn ich hier schon gewählt hätte, im geringsten nicht, ich bin in diesem Punkt noch so frei, wie vorhin – aber eine öftere Überlegung, dass nichts in der Welt meinem Herzen die glükliche Ruhe, und meinem Geist die zu Kopfarbeiten so nötige Freiheit, und stille leidenschaftslose Muße verschaffen könne, hat diesen Gedanken in mir hervorgebracht. Mein Herz sehnt sich nach Mittheilung, und inniger Theilnahme. Die stillen Freuden des häußlichen Lebens würden, müßten mir Heiterkeit in meinen Geschäften geben, und meine Seele von tausend wilden Affekten reinigen, die mich ewig herumzerren. Auch mein überzeugendes Bewußtseyn, dass ich gewiß eine Frau glüklich machen würde, wenn anders innige Liebe und Antheil glüklich machen kann, dieses Bewußtseyn hat mich schon oft zu dem Entschlusse hingerissen. Fände ich ein Mädchen, das meinem Herzen theuer genug wäre! oder könnte ich Sie beim Wort nehmen, und Ihr Sohn werden. Reich würde freilich Ihre Lotte nie – aber gewiß glüklich.”
Damit ist es heraus, aus sicherer Entfernung oder genügender innerer Distanz wirft Schiller das Steuer herum und wirbt bei der reiferen Frau, der er monatelang die Cour gemacht hat, um die Hand der (nichtsahnenden) Tochter. Oder? Hat sich Schiller in seinen kühnsten Träumen sogar ausgemalt, das Verhältnis zu beiden Damen von Wolzogen durch eine Heirat dauerhaft etablieren zu können?
Eine Antwort blieb allerdings aus, und das war natürlich auch eine Antwort. Zum Herbst scheint Frau von Wolzogen ihm dann die Rechnung (seiner aufgelaufenen) Schulden präsentiert zu haben, denn er schrieb am 8. Oktober einigermaßen entsetzt: “Ihr Brief, meine Theuerste, und die Situation, in welcher ich mich mit Ihnen befinden muß, hat eine schrekliche Wirkung auf mich gemacht. Unglükliches Schiksal, das unsre Freundschaft so stören mußte, das mich zwingen mußte, in Ihren Augen etwas zu scheinen, was ich niemals gewesen bin, und niemals werden kann, niederträchtig und undankbar. Urtheilen Sie selbst, meine beste, wie weh es mir thun muß, auch nur einen Augenblik in der Liste derjenigen zu stehen, die an Ihnen zu Betrügern geworden sind... Wie oft und gern wäre ich in den Bedrängnissen meines Herzens, in der Bedürfniß nach Freundschaft zu Ihnen meine Theuerste geflogen, wenn nicht eben die schrekliche Empfindung meiner Ohnmacht Ihren Wunsch zu erfüllen, und meine Schulden zu entrichten, mich wieder zurükgeworfen hätten. Der Gedanke an Sie, der mir jederzeit soviel Freude machte, wurde mir durch die Erinnerung an mein Unvermögen, eine Quelle von Marter...” blah, blah, blah...
Der Rest sind noch drei, vier unverbindliche Briefe von seiner Seite, in denen er ihr Luftschlösser über die Rückzahlung seiner Schulden vorgaukelte, sowie “der lieben Lotte wünsch ich Glück”. Sie hat es wohl kaum gefunden. Am 5. August 1788 starb Henriette von Wolzogen mit nur 42 Jahren an den Folgen einer Brustkrebsoperation. Im Dezember des gleichen Jahres willigte Charlotte in eine Versorgungsehe mit dem Regierungsrat August Franz Friedrich Rühle von Lilienstern auf Schloß Bedheim bei Hildburghausen. 1794 starb auch sie, an der Geburt ihres zweiten Kindes, erst 28 Jahre alt.

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Ja ja, früher ging es auch schon munter zu.

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