Donnerstag, 22. Januar 2009
Es brennt auf der Insel aus Feuer und Eis
... Doch diesmal ist es kein vulkanisches Erdfeuer, sondern ein von den Menschen entzündetes.
Am 20. Januar freute sich Amerika und mit ihm die Welt, daß die Ära Bush endlich zu Ende ging und ein neuer Präsident, von dem sich viele einen politischen Kurswechsel erhoffen, in sein Amt eingeführt wurde. In Island trat dagegen die alte Regierung, die das Land ins wirtschaftliche Chaos geführt hat, nach der Weihnachtspause wie gewohnt und von den wochenlangen Protesten vor den Fenstern des Parlaments völlig ungerührt zusammen. Doch während es drinnen zu heftigen Wortwechseln mit der Opposition aus den Reihen des Bündnisses Linke-Grüne (vinstri-grænar) kam, die die Regierung zum Rücktritt aufforderte, hatten sich direkt vor dem Parlamentsgebäude (von wegen Bannmeile!) etwa 2000 Menschen aller Altersgruppen versammelt, die mit Trommeln, Kochtöpfen und Mülleimerdeckeln ohrenbetäubenden Lärm veranstalteten. Polizei, die mit Pfefferspray den von Demonstranten gestürmten Garten hinter dem Parlament räumen wollte, wurde nicht nur mit Eiern und der nationalen Quarkspeise Skyr beworfen, um ihre Helmvisiere zu verschmieren. Das harte Vorgehen der Polizei machte viele friedliche Demonstranten so wütend, daß sie in die Kameras des live übertragenden Staatsfernsehens brüllten, das Volk hätte diese Typen drinnen im Parlament längst abgewählt und sie sollten sich endlich packen. Die Parlamentarier konnten das belagerte Gebäude allerdings bis spät in den Abend hinein nicht verlassen. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde ein großes Feuer entzündet, in dem die Demonstranten schließlich um Mitternacht auch den großen Weihnachtsbaum auf dem Parlamentsplatz verfeuerten. Es flogen nicht mehr nur Eier, wie einige zerbrochene Scheiben am Parlamentshaus zeigen. Bis um drei Uhr in der Nacht standen sich Polizei und Demonstranten gegenüber und es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen, bei denen die Polizei auch Tränengas und Schlagstöcke einsetzte. Demonstranten gingen jetzt dazu über, Fotos prügelnder Polizisten mit Namen und Anschrift auf ihren Blogseiten zu veröffentlichen. -
Gestern wurde der Belagerungsring um das Parlament aufs Neue geschlossen. Doch dann wurde bekannt, daß in der nahen Domkirche ein Trauergottesdienst stattfinden sollte, worauf die gesamte Menge still zum Regierungsgebäude zwei Straßen weiter zog. Dort erwischte sie Ministerpräsident Geir Haarde gerade noch, als er seinen Dienst-BMW besteigen wollte. Es regnete geradezu Eier und Schneebälle auf den Wagen, dem von der Polizei nur ganz langsam eine Schneise gebahnt werden konnte. Noch nie war in moderner Zeit ein isländischer Politiker solchen Schmähungen ausgesetzt.
Und siehe da, dieses Ausmaß an Protest scheint so manchem aus der politischen Kaste endlich Feuer unter seinem Stuhl zu machen. Abgeordnete der konservativen Regierungspartei murren unter der Hand, Partei- und Regierungsspitze hätten die Lage nicht mehr unter Kontrolle. Am Abend gab es eine Versammlung des sozialdemokratischen Koalitionspartners im Nationaltheater, wo eine überwältigende Mehrheit sich unter dröhnendem Applaus für eine sofortige Beendigung der Koalition aussprach, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen.
Mir scheint, die Tage der jetzigen Regierung Haarde sind endlich gezählt.
Am 20. Januar freute sich Amerika und mit ihm die Welt, daß die Ära Bush endlich zu Ende ging und ein neuer Präsident, von dem sich viele einen politischen Kurswechsel erhoffen, in sein Amt eingeführt wurde. In Island trat dagegen die alte Regierung, die das Land ins wirtschaftliche Chaos geführt hat, nach der Weihnachtspause wie gewohnt und von den wochenlangen Protesten vor den Fenstern des Parlaments völlig ungerührt zusammen. Doch während es drinnen zu heftigen Wortwechseln mit der Opposition aus den Reihen des Bündnisses Linke-Grüne (vinstri-grænar) kam, die die Regierung zum Rücktritt aufforderte, hatten sich direkt vor dem Parlamentsgebäude (von wegen Bannmeile!) etwa 2000 Menschen aller Altersgruppen versammelt, die mit Trommeln, Kochtöpfen und Mülleimerdeckeln ohrenbetäubenden Lärm veranstalteten. Polizei, die mit Pfefferspray den von Demonstranten gestürmten Garten hinter dem Parlament räumen wollte, wurde nicht nur mit Eiern und der nationalen Quarkspeise Skyr beworfen, um ihre Helmvisiere zu verschmieren. Das harte Vorgehen der Polizei machte viele friedliche Demonstranten so wütend, daß sie in die Kameras des live übertragenden Staatsfernsehens brüllten, das Volk hätte diese Typen drinnen im Parlament längst abgewählt und sie sollten sich endlich packen. Die Parlamentarier konnten das belagerte Gebäude allerdings bis spät in den Abend hinein nicht verlassen. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde ein großes Feuer entzündet, in dem die Demonstranten schließlich um Mitternacht auch den großen Weihnachtsbaum auf dem Parlamentsplatz verfeuerten. Es flogen nicht mehr nur Eier, wie einige zerbrochene Scheiben am Parlamentshaus zeigen. Bis um drei Uhr in der Nacht standen sich Polizei und Demonstranten gegenüber und es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen, bei denen die Polizei auch Tränengas und Schlagstöcke einsetzte. Demonstranten gingen jetzt dazu über, Fotos prügelnder Polizisten mit Namen und Anschrift auf ihren Blogseiten zu veröffentlichen. -
Gestern wurde der Belagerungsring um das Parlament aufs Neue geschlossen. Doch dann wurde bekannt, daß in der nahen Domkirche ein Trauergottesdienst stattfinden sollte, worauf die gesamte Menge still zum Regierungsgebäude zwei Straßen weiter zog. Dort erwischte sie Ministerpräsident Geir Haarde gerade noch, als er seinen Dienst-BMW besteigen wollte. Es regnete geradezu Eier und Schneebälle auf den Wagen, dem von der Polizei nur ganz langsam eine Schneise gebahnt werden konnte. Noch nie war in moderner Zeit ein isländischer Politiker solchen Schmähungen ausgesetzt.
Und siehe da, dieses Ausmaß an Protest scheint so manchem aus der politischen Kaste endlich Feuer unter seinem Stuhl zu machen. Abgeordnete der konservativen Regierungspartei murren unter der Hand, Partei- und Regierungsspitze hätten die Lage nicht mehr unter Kontrolle. Am Abend gab es eine Versammlung des sozialdemokratischen Koalitionspartners im Nationaltheater, wo eine überwältigende Mehrheit sich unter dröhnendem Applaus für eine sofortige Beendigung der Koalition aussprach, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen.
Mir scheint, die Tage der jetzigen Regierung Haarde sind endlich gezählt.
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kid37,
Donnerstag, 22. Januar 2009, 17:30
Danke für den Einblick. Davon bekommt man hier ja gar nichts mit.
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jean stubenzweig,
Freitag, 23. Januar 2009, 04:26
Ja, Kid hat recht: Weshalb gibt es darüber keine Berichterstattung in den Medien? Ist das Land zu klein? Oder hat man Angst vor dem aufrührerischen Charakter?
Befinden Sie sich gerade dort? Wissen Sie, inwieweit dort tatsächlich Hilfe benötigt wird? Seit Ihrer Berichterstattung muß ich immer wieder an Island denken. Ich grüble, ob ich meine alten Kontakte wiederbeleben soll.
Befinden Sie sich gerade dort? Wissen Sie, inwieweit dort tatsächlich Hilfe benötigt wird? Seit Ihrer Berichterstattung muß ich immer wieder an Island denken. Ich grüble, ob ich meine alten Kontakte wiederbeleben soll.
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ulfur grai,
Freitag, 23. Januar 2009, 11:43
Warum Island hierzulande in den Meldungen nicht auftaucht, weiß ich auch nicht. Hat der Heiligenschein Obamas alles überstrahlt? Oder müßte man dann auch darüber berichten, wie vorbildlich sich die überwältigende Mehrheit der Demonstranten in Reykjavík verhält? Als die ersten Steine auf Polizisten flogen, wurde z.B. aus den Reihen der Demonstranten selbst ein menschlicher Schutzschild vor die Beamten gestellt. Die Leute haben ein sehr klares Bewußtsein davon, daß die schlechtbezahlten Beamten auf Anweisung von anderen handeln, für die sie im Zweifelsfall den Kopf hinhalten müssen. Und sie wollen ihre Aktionen wütend, aber gewaltfrei halten.
Anderswo wird durchaus darüber berichtet. Islands größte Tageszeitung meldete gestern, daß die Nachrichtenagenturen AP und Reuters Meldungen verbreiteten, und der englische Guardian hat einen einheimischen Korrespondenten, der ausführlich berichtet hat.
Ich selbst bin leider noch nicht in Island, werde aber Ende nächsten Monats für einige Zeit hinfahren. Ich habe jedoch Freunde dort, die mich auf dem Laufenden halten, und verfolge die Übertragungen des isländischen Fernsehens im Netz. Abgesehen davon, daß es vielen Familien finanziell deutlich schlechter geht, habe ich nicht gehört, daß Hilfe aus dem Ausland benötigt würde.
Anderswo wird durchaus darüber berichtet. Islands größte Tageszeitung meldete gestern, daß die Nachrichtenagenturen AP und Reuters Meldungen verbreiteten, und der englische Guardian hat einen einheimischen Korrespondenten, der ausführlich berichtet hat.
Ich selbst bin leider noch nicht in Island, werde aber Ende nächsten Monats für einige Zeit hinfahren. Ich habe jedoch Freunde dort, die mich auf dem Laufenden halten, und verfolge die Übertragungen des isländischen Fernsehens im Netz. Abgesehen davon, daß es vielen Familien finanziell deutlich schlechter geht, habe ich nicht gehört, daß Hilfe aus dem Ausland benötigt würde.
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jean stubenzweig,
Dienstag, 3. Februar 2009, 04:26
Gestern habe ich einen (für einen Informationskanal, vermutlich eine Übernahme aus der ARD-Tageschau) relativ umfangreichen TV-Beitrag gesehen, geschätzte zehn Minuten, der sowohl die Ursachen als auch die Reaktionen beleuchtete: «Kleine Revolution» war, wenn ich mich recht erinnere, der Titel.
http:// www.tagesschau.de/wirtschaft/island168.html (vor www das Leerzeichen rausnehmen)
http:// www.tagesschau.de/wirtschaft/island168.html (vor www das Leerzeichen rausnehmen)
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ulfur grai,
Dienstag, 3. Februar 2009, 10:45
Danke für den Hinweis.
Inzwischen sind die Isländer wieder einen Schritt weiter: Es gibt eine neue Minderheits-Interimsregierung aus dem auch vorher schon mit den Konservativen regierenden sozialdemokratischen Bündnis Samfylking mit dem Bündnis Linke-Grüne unter Vorsitz der langjährigen Sozialministerin Jóhanna Sigurðardóttir, dem die ehemalige Bauernpartei Duldung zugesagt hat. Und Jóhanna hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Chefs der Notenbank, vor allem Davíð Oddson natürlich, zum Rücktritt aufgefordert. Ihre Regierungserklärung soll morgen erfolgen. Aber ein Gesetz zur Umstrukturierung der Notenbank ist bereits angekündigt.
Inzwischen sind die Isländer wieder einen Schritt weiter: Es gibt eine neue Minderheits-Interimsregierung aus dem auch vorher schon mit den Konservativen regierenden sozialdemokratischen Bündnis Samfylking mit dem Bündnis Linke-Grüne unter Vorsitz der langjährigen Sozialministerin Jóhanna Sigurðardóttir, dem die ehemalige Bauernpartei Duldung zugesagt hat. Und Jóhanna hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Chefs der Notenbank, vor allem Davíð Oddson natürlich, zum Rücktritt aufgefordert. Ihre Regierungserklärung soll morgen erfolgen. Aber ein Gesetz zur Umstrukturierung der Notenbank ist bereits angekündigt.
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