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Dienstag, 28. Januar 2014
Aus einem alten Album

“Dann gingen wir hintereinander durch den steinernen Flur wieder in die große Gaststube... gehenkte Mäntel ringsum und Stimmengulasch in gelber Lichtsoße." (Die Umsiedler)

Hinein in eine Weihnachtsfeier des Jahres 1952, und ich schlage das Familienalbum auf, um zu zeigen, daß selbst in Deutschland damals langsam wieder etwas Glanz in enge Gaststuben einzog. Wie hat sie auch in ihren späten Jahren noch von diesem Kleid geschwärmt, in dem sich so gut tanzen ließ. Auf dem nächsten Foto, ein halbes Jahr später entstanden, läßt nicht nur das Lachen, sondern lassen auch die Polkadots weiter zunehmende Fröhlichkeit erkennen.
“Herzjägerin der Lüneburger Haide, sauvage et non convertie, mit Brauenpeitsche und Bogenmund.” Ob der Lippenstift schon der von Suzy Parkers Revlon-Reklame war, kann ich nur vermuten.

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Samstag, 25. Januar 2014
"Do not do anything to those eyebrows!"
René Gruau
Dorian Leigh, 1954, Foto: Georges Dambier

Do not do anything to those eyebrows!", schärfte Modekritikerin Diana Vreeland Dorian Leigh glücklicherweise ein, als die auf der Suche nach einem Job als Fotomodell 1944 erstmals in der Redaktion von Harper’s Bazaar auftauchte. Da war sie schon 27 und hatte zwei Kinder, mußte sich aber als jünger ausgeben. Nach ihrem sofortigen Sprung auf die Titelseiten von Harper's Bazaar, Vogue, Paris Match und Life (und der Scheidung von ihrem ersten Mann) begann sie ein reichlich turbulentes Leben als eines der ersten Top-Mannequins überhaupt, meist in Europa, auch um den Klatschkolumnisten in den Staaten zu entgehen.
Ihre Schwester Suzy war 15 Jahre jünger und erschien durch Vermittlung Dorians mit 15 zum ersten Mal im Life Magazin und wurde bald das Gesicht von Chanel. Beide ließen sich häufig von Richard Avedon fotografieren. “In 1950, Avedon took both girls to the Paris collections, and Suzy’s career shot off like a champagne cork”, heißt es in der Voguepedia. Neben ihren zahllosen Fototerminen ließ sich Suzy selbst das Fotografieren von keinem Geringeren als Robert Capa beibringen. Obwohl sie sich mit Schwester Dorian wegen deren Lebenswandel überwarf, war sie in der Wahl ihrer Männer auch nicht viel glücklicher, bis sie ihre Karriere beendete und mit ihrem dritten Ehemann und ihren Kindern in die Prominentenvororte von Los Angeles zog.

Wie war das, die Fünfziger waren so spießig und bieder? Ihren ersten Mann, ein Cherokee-Halbblut, heiratete Suzy 1950 nach eigener Aussage mit nichts als einem Bikini unter einem Regenmantel. Kaum in Paris gelandet, begann sie nach einer Party bei Couturier Jacques Fath eine Affaire mit dem Playboy Pierre de la Salle, kaufte sich von ihrem Mann frei, indem sie ihm für Jahre Unterhalt bezahlte, ließ sich in Mexiko scheiden, heiratete sieben Jahre später de la Salle heimlich, der ließ sie aber noch im selben Jahr endgültig sitzen, weil sie schwanger wurde, und sie zog nach einigen Jahren mit Kind zu ihrem neuen Geliebten, obwohl sie noch mit de la Salle verheiratet war. All that in prudish McCarthy-America.

Dorian Leigh, Quelle: theredlist.fr

Dorian Leigh war mindestens viermal verheiratet, hatte fünf Kinder mit drei Männern (und mindestens zwei Abtreibungen), führte daneben eine jahrelange On-and-Off-Beziehung (und illegale Ehe) mit dem anderweitig verheirateten, elf Jahre jüngeren portugiesischen Adeligen und Rennfahrer Alfonso Marques de Portago, bis er 1957 mit seinem Ferrari 335 S bei einem Rennunfall verunglückte, der außer ihn elf Zuschauer, darunter fünf Kinder, das Leben kostete und das Ende für die Mille Miglia bedeutete. Als ihr vierter Ehemann sich weigerte, weitere Kinder mit ihr zu bekommen, holte sich Dorian, so steht es in ihrer Autobiografie, bei einem Skiurlaub in Klosters in vier Nächten vier Männer ins Bett und vermutete hinterher, daß wohl der Skilehrer der Vater ihres fünften Kindes war. Genug der Histoires scandaleuses um nur zwei Schwestern in den Roaring Fifties vor der Erfindung der Antibabypille?

Sicher, in der Bundesrepublik trug die Zeit ihre kleinbürgerliche Heinz-Erhardt-Filmfassade. Aber wir wollen nicht vergessen, daß in dem Erhardt-Streifen “Witwer mit fünf Töchtern” 1957 die siebzehnjährige Urgroßnichte Anton Tschechows, Vera Tschechowa, debütierte, “Das Mädchen mit den Katzenaugen” und “Die junge Sünderin”, und da beginnen US-Showbizz und verklemmte bundesrepublikanische Wirtschaftswunderspießigkeit ein Techtelmechtel, denn wurde die junge Tschechowa damals nicht mehrfach an der Seite von Elvis gesehen? Wurde sie, aber jetzt reicht es auch mit den Klatschgeschichten.

Ich kam auf die wilden Fünfziger auch durch Big Sur – “Der Ort gibt die Geschichte” (Handke) –, diesen wohl ziemlich faszinierend wilden Abschnitt der kalifornischen Küste südlich von Monterey und Carmel, den Robinson Jeffers in den 1920ern für die Literatur und die Literaten entdeckte, bevor Leute wie Edward Weston, Orson Welles, Jack Kerouac (“Big Sur”, 1962) und Henry Miller sich dort niederließen, Miller immerhin für 18 Jahre, und später eine ganze Welle von Beatnicks, Hippies und New Agern nach sich zogen, was der Gegend natürlich einen Ruf verruchter Bohème eintrug.
Eine bezeichnende Anekdote hielt Miller in seinem Buch über seine Jahre dort fest
(Big Sur and the Oranges of Hieronymus Bosch):

“And there stands Ralph! Though it’s midsummer he’s wearing a heavy overcoat and fur-lined gloves.
‘Are you Henry Miller?’ he says.
I nodded, though my impuls was to say no.
He continued by informing me that he too was a writer, that he had run away from it all (meaning job and home) to live his own life.
‘I came to join the cult of sex and anarchy’, he said quietly.”

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Dienstag, 21. Januar 2014
Stile eines Jahrzehnts











Arno Schmidt ist zweifellos einer der radikalsten Vertreter der deutschen Trümmerliteratur gewesen. Er hat sich auch nie gescheut, die “Nessel Wirklichkeit fest an[zu]fassen; und uns Alles [zu] zeigen: die schwarze schmierige Wurzel; den giftgrünen Natternstengel; die prahlende Blume(nbüchse).” So wie er es im Leben eines Fauns in den frühen Fünfzigern programmatisch erklärte, hat er es in seinen Erzählungen auch gehalten. Kaum einer hat die beengten und beengenden Verhältnisse in den ärmlichen Flüchtlingsunterkünften nach dem Krieg nacherlebbarer festgehalten als er (Brand’s Haide, 1951, Die Umsiedler, 1953), kaum einer auch die geistige Enge der Wiederaufbauzeit (Das steinerne Herz, 1954, Seelandschaft mit Pocahontas, 1955) präziser wiedergegeben. Seine Kurzromane wirken wie unmittelbar aus der damaligen Wirklichkeit gestanzte Momentaufnahmen; Ausschnitte, ja, aber repräsentative: so hat man damals geredet und gedacht.

“Die Aufgabe eines Dichters als Beobachters und Topographen aller möglichen Charaktere und Situationen wäre doch wohl unter anderem auch, diese dann darzustellen wie solche wirklich sind; und nicht wie sie sich etwa den im CVJM vereinigten Gemütern malen mögen!” (Das steinerne Herz)

Sicher hat Schmidt häufiger als die oberen Teile der Pflanze Wirklichkeit die schmierige Wurzel beschrieben, denn da unten lebte er selbst. Im Jahr ‘54, in dem Das steinerne Herz erschien, notierte seine Frau in ihrem Tagebuch, der Leviathan habe sich im ersten Halbjahr 26 mal verkauft, Brand’s Haide 25 mal und der Faun 92 mal. “Ergibt 110,58 DM Halbjahresverdienst am Bücherverkauf”. Davon konnte man selbst in zwei Zimmern in einem Kaff wie Kastel an der Saar keine großen Sprünge machen. Als es den Verkauf eines neuen Manuskripts zu feiern gab, gönnten sich die Schmidts eine Urlaubsreise: 5 Tage am Dümmer. (Und natürlich mußten die anschließend gleich zu einer neuen Geschichte verarbeitet werden, der Seelandschaft mit Pocahontas.) – Those were the days.








Doch weiter oben erblühte allmählich auch die prahlende Blume der späteren Fünfziger Jahre, eine Ära, die es verständlicherweise liebte, nach den gräßlichen Jahren in Feldgrau und den umgefärbten und umgeschneiderten Uniformteilen danach, aus dem Staub und Dreck der Trümmer und Ruinen endlich wieder etwas Glanz, Farbe, Eleganz und Glamour entfalten zu können. In kleinem Maßstab zunächst, natürlich; später dann in Wirtschaftswunderzeiten zunehmend auch protzig. Da kippte es dann schon wieder um, wurde richtig geschmacklos. Aber davor, als der Stil noch davon geprägt war, die Reste des falschen, pathetischen Pomps aus dem Dritten Reich abzuschlagen, von den Fassaden ebenso wie von der Sprache, da sind sehr schöne sparsame Typen und schlanke und leicht schwingende Linien entworfen worden.
Mir gefällt etwa, wie man das im Corporate Design der Münchner Kongress Bar nachempfunden hat. Und erst die reduzierten Linien von Gruau! Drei Striche, drei Farben: Weiß, Schwarz, Rot, und grazile Eleganz oder laszive Sinnlichkeit treten lockend hinter einem halb geöffneten Vorhang hervor.

René Gruau, der Modezeichner, ohne den der Erfolg von Dior, Chanel und anderen undenkbar ist, denn Fotografen waren damals bei den Laufstegpräsentationen der jeweils neusten Kollektionen strikt ausgesperrt; zu große Angst mußten die Modeschöpfer damals noch vor den Schneider- und Kopierfähigkeiten der Frauen haben. Für die Modemagazine hielten daher Zeichner wie Gruau die wesentlichen Merkmale der neusten Mode in schnell hingeworfenen Skizzen fest.
Gütiger Himmel, was für Kleider konnten die Frauen damals tragen! Ja, ja, natürlich denke ich an Audrey Hepburn im New Look, woran sollte man dabei auch sonst denken können? Aber sie war ja nicht die Einzige. Hat man etwa je eine kessere Nase gesehen als die von Suzy Parker? Wies sie nicht dieselbe schwungvoll nach oben weisende Linie auf wie die Kleider, die sie trug? Das Chanel-Gesicht der 50er war bei weitem nicht nur vor der Kamera gut. Hier eine Aufnahme, die sie 1954 von ihrer älteren Schwester Dorian Leigh machte, Truman Capotes Muse und Vorbild für seine Holly Golightly.

Quelle für dieses und die folgenden Fotos: everiday_i_show
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Suzy Parker, 1953, Foto: Georges Dambier Suzy Parker, 1952, Foto: Georges Dambier
Dorian Leigh (1946) und Barbara Mullen (1957) Fotos: Roger Prigent, 1953, 1957

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Freitag, 17. Januar 2014
Vollmond 1/2014

Heute früh draußen gewesen. "Stiller Steinbuckel im Wolkenmoor." Aber riesig.
"Der Mond zeigte nur noch undeutlich seine Tätowierungen." Dem Meister der Mondmetaphern zum 100.

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Dienstag, 14. Januar 2014
Il était une fois: le ciel bleu des beaux jours

Ja, nein, kein besonders guter oder wichtiger Film, die “Éducation”, die gestern abend auf arte lief, aber die Sechziger-Jahre-Stimmung und vor allem die Musik summen den heutigen Tag über noch im Kopf; “Smoke Without Fire” mit Duffys passender Lolitastimme zum Beispiel, aber vor allem die dunkle Belphegorstimme von Juliette Gréco: “Sur Les Quais Du Vieux Paris” weckt Erinnerungen an schöne Frühlingstage an der Seine “sous le ciel bleu des beaux jours”.



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Sonntag, 12. Januar 2014
Schattenspiele auf der Wand und eine vase de nuit

“Sich in seinem Bett erleichtern, ist mit einem prompten Vergnügen verbunden, aber nachher ist man in Verlegenheit. Geben Sie mir einen Nachttopf, sagte ich, eine vase de nuit. Die Wörter vase de nuit waren mir sehr lieb, nun ja, recht lieb, während recht langer Zeit, sie brachten mich auf Racine oder Baudelaire -- ich bedaure, ich war belesen, und durch sie kam ich dahin, wo das Wort aufhört, das könnte von Dante sein."

(Samuel Beckett: Erste Liebe)

Adorno (“nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch”) konnte Beckett anerkennen und bestehen lassen, weil Auschwitz in dessen Stücken mitgedacht und enthalten ist. Aber was kann eigentlich nach Beckett noch kommen? Ist mit seinen Texten wie Das letzte Band nicht ein Nullpunkt der Literatur erreicht? Der letzte Solipsist monologisiert noch ein Weilchen, um sich und den Zuhörern die Zeit zu vertreiben, und dann macht sich nach den letzten einsilbigen und unsinnigen Wörtern Schweigen breit. Beckett bringt das Theater und die Literatur zum Verstummen. Das letzte Band dreht sich leer auf der Spule. Es ist längst alles gesagt, oder es lässt sich sprachlich nicht ausdrücken; es gibt nichts mehr zu sagen.
Wie kommt man aus der Sackgasse wieder heraus, wenn man das stumme Warten satt hat? Vielleicht im Rückwärtsgang. Im Fall Becketts kann man sich mal seine frühen Texte anschauen und findet da so schön anarchische Geschichten wie die obige.

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Mittwoch, 8. Januar 2014
“Das Ende ist im Anfang.” (Beckett)

Die Werke von Samuel Beckett rutschen anscheinend mehr und mehr dem Vergessen entgegen, in dem viele seiner Figuren am liebsten endlich versunken wären.
Warten auf Godot taucht vielleicht noch hin und wieder auf dem Spielplan irgendeines Stadttheaters zwischen Anklam, Olpe und Sindelfingen auf, gedruckt steht es ungefähr auf Platz 40.000 der Amazon-Verkaufsliste, Murphy auf Rang 72.400, Watt auf Platz 413.000.

Aber vielleicht ist es zu früh, Beckett, den “Schriftsteller der Hoffnungslosigkeit” (A.Alvarez) endgültig abzuschreiben. Es könnte Anlaß für die sehr beckettsche, nämlich absurde Hoffnung bestehen, daß eine Wiederentdeckung seiner Werke als “radikalster literarischer Ausdruck des gegenwärtigen Weltzustands” (Adorno) noch einmal kommen wird bzw. bereits “draußen vor der Tür” steht und wartet.

Adorno (“Der Theodor, der Theodor...”) hat in seinen Noten zur Literatur unter dem gestelzten Bombast seines idiosynkratischen Jargons sich nicht entschlagen, manches Gescheite zu Beckett und dem Endspiel zum Besten zu geben. Sehr eindrücklich treffend erscheint mir z.B. seine Charakterisierung von Becketts Figuren als “Fliegen, die zucken, nachdem die Klatsche sie schon halb zerquetscht hat. – Die ganz auf sich zurückgeworfenen Subjekte... bestehen in nichts anderem als den armseligen Realien ihrer zur Notdurft verhutzelten Welt.”

“Bedeuten? Wir, etwas bedeuten?” fragt Clov im Endspiel und lacht. “Der war gut.”

Dazu Adorno: “Die individualistische Position gehörte zum Existentialismus. – Beckett verläßt sie wie einen altmodischen Bunker. Nirgendwo empfing die individuelle Erfahrung in ihrer Enge und Zufälligkeit die Autorität, sie selbst als Chiffre des Seins auszulegen.
Was aus dem Absurden wird, nachdem die Charaktere des Sinns von Dasein heruntergerissen sind, das ist kein Allgemeines mehr – dadurch würde das Absurde schon wieder Idee – sondern trübselige Einzelheiten, die des Begriffs spotten, eine Schicht aus Utensilien wie in einer Notwohnung. – Alles wartet auf den Abtransport.

Geschichtlich sind Becketts Urbilder auch darin, daß er als menschlich Typisches einzig die Deformationen vorzeigt, die den Menschen von ihrer Gesellschaft angetan werden.
Das Endspiel schult für einen Zustand, wo alle Beteiligten, wenn sie von der nächsten der großen Mülltonnen den Deckel abheben, erwarten, die eigenen Eltern darin zu finden.”

“Clov: Da ist jemand!
Ham: Geh ihn ausrotten.”

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