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Mittwoch, 22. April 2009
Wer war der Verfasser der Brennu-Njáls saga?
Diese und andere Stellen aus der Sturlunga saga, deren Hauptbestandteile - anders als die eigentlichen Isländersagas - zeitnah von einem Augenzeugen und aktiven Teilnehmer an den Ereignissen verfaßt wurden, von Sturla Þórðarson, haben Fachleute der Nachwelt zu interessanten Spekulationen angeregt. Denn die vielleicht empfindlichste Wissenslücke, die noch heute über die tollen Isländersagas besteht, liegt darin, daß sie sorgfältigst vermeiden, die Namen ihrer Verfasser zu nennen, obwohl in anderen Dichtungsgattungen die isländischen Urheber sorgfältigst verzeichnet wurden. Auch über den Grund dafür können wir nur spekulieren. Doch wüßten wir natürlich zu gern, wer diese Meisterwerke verfaßt hat; zumal ihre Autoren uns vielleicht aus anderen Quellen wie eben der Sturlunga saga längst gut bekannt sind. Die Forschung hat seit langer Zeit nahezu alle philologischen Methoden und detektivischen Mittel angewandt, um über die Verfasserschaft der Sagas mehr herauszufinden. Eine quantitative Vergleichsanalyse des Wortmaterials verschiedener Texte hat immerhin die Hypothese erhärtet, der berühmte Edda-Verfasser Snorri Sturluson könnte auch der Autor der Saga über den Dichter und Wikinger Egill Skallagrímsson sein, mit dem er weitläufig verwandt war und auf dessen vormaligem Hof er zeitweilig lebte. Aber viel weiter ist die Wissenschaft in dieser Aufklärungsarbeit bislang nicht gekommen.
Mutmaßungen wurden hingegen immer wieder geäußert, die sich mit ebensovielen Argumenten stützen wie zurückweisen ließen. Eine von ihnen betrifft nun unsere Brüder.
Ansatzpunkt ist die von mir schon zitierte Beschreibung von Oddr Þórarinsson. Sie gleicht nämlich auffällig der eines Anderen, der von Gunnar Hámundarsson, dem siegfriedgleichen Helden der Njáls saga, und diese Njáls saga gilt in Island als die Königin unter den Sagas, als ein Epos, dessen literaturgeschichtliche Stellung in etwa der unseres Nibelungenlieds gleichkommt. In den Personenbeschreibungen ähnelt sich zunächst einmal das Äußere: Auch Gunnar ist hochgewachsen und kräftig, hat blaue Augen, blondes Haar und sieht gut aus - wie Helden eben so aussehen. So weit könnte die Beschreibung fast ein Topos sein, wenn der Realismus der Sagas andere Helden nicht auch durchaus unvorteilhafter beschreiben würde. (Das berühmteste Gegenbeispiel ist sicher besagter Egill Skallagrímsson: “als er heranwuchs konnte man es ihm bald ansehen, daß er sehr hässlich werden würde und schwarzhaarig”. Die dunklen Haare verunzierten ihn nicht lange, denn er bekam bald eine Glatze, die seinen überpropotional groben und großen Schädel mit dicken Brauenwülsten noch stärker betonte.) Besonders hervorgehoben wird auch an Gunnar wie an Oddr die sportliche Fitness (“schwamm wie ein Seehund, und es gab keinen Wettkampf, in dem sich jemand mit ihm hätte messen dürfen”) und ganz besonders seine Fähigkeit im Schwertkampf: “Er konnte das Schwert mit jeder Hand führen, wenn er wollte... Mit der Klinge war er so schnell, daß es aussah, als seien drei gleichzeitig in der Luft.” (Nimmt die mittelalterliche Isländersaga hier die Technik des Comicstrip oder des Hongkong-Eastern vorweg?) Diese und andere Ähnlichkeiten brachten den staatlichen Archivar Barði Guðmundsson schon vor dem Zweiten Weltkrieg zu der Überzeugung, kein anderer als Þorvarðr Þórarinsson, Oddrs Bruder, sei der Verfasser der Njáls saga und habe mit Gunnar seinem Bruder einen ehrenvollen Epitaph gestiftet.
Natürlich ist diese These von anderen sofort wieder bezweifelt worden, unter anderem vom Herausgeber der maßgeblichen Njála-Edition, Einar Ólafur Sveinsson, in seinem Vorwort. Allerdings tat er es mit einem, wie mir scheint, etwas bedenklichen Argument. Barði sei nämlich derart scharfsinnig und mit einer Kombinationsfähigkeit begabt, die es ihm wohl möglich gemacht hätte, aus ähnlichen Indizien im Leben anderer deren Autorschaft ebenso glaubwürdig zu machen. - Hm?
Ansonsten führt er noch an, Þorvarðr sei zu gebildet, zu bereist, politisch zu beschlagen und juristisch zu gebildet gewesen, um als Autor der Njáls saga in Betracht zu kommen. - Als könne ein Autor bei der Abfassung eines Texts nicht einmal weniger als das Maximum seiner Kenntnisse ausbreiten. Durch diese Gegenargumente kann ich Bárðis Hypothese, die natürlich nicht mehr ist als das, jedenfalls nicht als widerlegt betrachten. Umso weniger als die Merkmale, die Einar aus dem Text selbst als Eigenschaften seines Autors herausliest, auf Þorvarðr ganz gut passen: Der Saga-Autor muß eine gute Bildung, aber kein Studium im Ausland gehabt haben, m.a.W. er war kein Geistlicher. Aber er stammte sicher aus einer guten und angesehenen Familie und kannte sich in den verwandtschaftlichen Beziehungen der isländischen Elite aus, der er selbst angehörte, denn er war durchaus selbstbewußt vom eigenen Wert überzeugt. Er kannte die Literatur seines Landes und seine Gesetze recht eingehend, die Insel selbst muß er (wegen seiner erkennbaren Ortskenntnis an verschiedenen Schauplätzen der Saga) bereist haben, und ihm waren die fremden Länder bekannt, die damals im Sichtfeld eines Isländers liegen konnten. - All das trifft auf Þorvarðr zu und sogar mehr, denn schon in den zwanziger Jahren meinte ein Forscher, Vorlieben des Autors für bestimmte seiner Personen machten es wahrscheinlich, daß er aus dem Familienverband der Leute von Svínafell stamme, was auch Einar bestätigt. Wir werden es vermutlich nicht mehr mit Gewißheit herausfinden, wer diesen gewaltigen Roman des Hohen Mittelalters in Island geschrieben hat; aber es ist nicht auszuschließen, daß darin Þorvarðr Þórarinsson seinem 1255 getöteten Bruder Oddr von Valþjófsstaðir ein literarisches Denkmal gesetzt hat, das zur Weltliteratur gehört.
Odds Frau Randalín aus der ehrwürdigen Familie der Oddaverjar wurde in zeitgenössischen Quellen als kvenna högust, als die kunstfertigste aller Frauen bezeichnet. Vielleicht hat sie mit dem Talent, das ihr gegeben war, ihrem Mann als Löwenritter auf dem Portal ihrer Halle auf Valþjófsstaðir, wo sie nach seinem Tod mit den Kindern wohnen blieb, ein ebenso unvergängliches Denkmal gesetzt.
Damit verabschiedet sich der Fahrtenbuchschreiber für ein paar Tage. Dringende aktuelle Ereignisse rufen ihn nach Reykjavík. Am Wochenende wird in Island ein neues Parlament gewählt.
Mutmaßungen wurden hingegen immer wieder geäußert, die sich mit ebensovielen Argumenten stützen wie zurückweisen ließen. Eine von ihnen betrifft nun unsere Brüder.
Ansatzpunkt ist die von mir schon zitierte Beschreibung von Oddr Þórarinsson. Sie gleicht nämlich auffällig der eines Anderen, der von Gunnar Hámundarsson, dem siegfriedgleichen Helden der Njáls saga, und diese Njáls saga gilt in Island als die Königin unter den Sagas, als ein Epos, dessen literaturgeschichtliche Stellung in etwa der unseres Nibelungenlieds gleichkommt. In den Personenbeschreibungen ähnelt sich zunächst einmal das Äußere: Auch Gunnar ist hochgewachsen und kräftig, hat blaue Augen, blondes Haar und sieht gut aus - wie Helden eben so aussehen. So weit könnte die Beschreibung fast ein Topos sein, wenn der Realismus der Sagas andere Helden nicht auch durchaus unvorteilhafter beschreiben würde. (Das berühmteste Gegenbeispiel ist sicher besagter Egill Skallagrímsson: “als er heranwuchs konnte man es ihm bald ansehen, daß er sehr hässlich werden würde und schwarzhaarig”. Die dunklen Haare verunzierten ihn nicht lange, denn er bekam bald eine Glatze, die seinen überpropotional groben und großen Schädel mit dicken Brauenwülsten noch stärker betonte.) Besonders hervorgehoben wird auch an Gunnar wie an Oddr die sportliche Fitness (“schwamm wie ein Seehund, und es gab keinen Wettkampf, in dem sich jemand mit ihm hätte messen dürfen”) und ganz besonders seine Fähigkeit im Schwertkampf: “Er konnte das Schwert mit jeder Hand führen, wenn er wollte... Mit der Klinge war er so schnell, daß es aussah, als seien drei gleichzeitig in der Luft.” (Nimmt die mittelalterliche Isländersaga hier die Technik des Comicstrip oder des Hongkong-Eastern vorweg?) Diese und andere Ähnlichkeiten brachten den staatlichen Archivar Barði Guðmundsson schon vor dem Zweiten Weltkrieg zu der Überzeugung, kein anderer als Þorvarðr Þórarinsson, Oddrs Bruder, sei der Verfasser der Njáls saga und habe mit Gunnar seinem Bruder einen ehrenvollen Epitaph gestiftet.
Natürlich ist diese These von anderen sofort wieder bezweifelt worden, unter anderem vom Herausgeber der maßgeblichen Njála-Edition, Einar Ólafur Sveinsson, in seinem Vorwort. Allerdings tat er es mit einem, wie mir scheint, etwas bedenklichen Argument. Barði sei nämlich derart scharfsinnig und mit einer Kombinationsfähigkeit begabt, die es ihm wohl möglich gemacht hätte, aus ähnlichen Indizien im Leben anderer deren Autorschaft ebenso glaubwürdig zu machen. - Hm?
Ansonsten führt er noch an, Þorvarðr sei zu gebildet, zu bereist, politisch zu beschlagen und juristisch zu gebildet gewesen, um als Autor der Njáls saga in Betracht zu kommen. - Als könne ein Autor bei der Abfassung eines Texts nicht einmal weniger als das Maximum seiner Kenntnisse ausbreiten. Durch diese Gegenargumente kann ich Bárðis Hypothese, die natürlich nicht mehr ist als das, jedenfalls nicht als widerlegt betrachten. Umso weniger als die Merkmale, die Einar aus dem Text selbst als Eigenschaften seines Autors herausliest, auf Þorvarðr ganz gut passen: Der Saga-Autor muß eine gute Bildung, aber kein Studium im Ausland gehabt haben, m.a.W. er war kein Geistlicher. Aber er stammte sicher aus einer guten und angesehenen Familie und kannte sich in den verwandtschaftlichen Beziehungen der isländischen Elite aus, der er selbst angehörte, denn er war durchaus selbstbewußt vom eigenen Wert überzeugt. Er kannte die Literatur seines Landes und seine Gesetze recht eingehend, die Insel selbst muß er (wegen seiner erkennbaren Ortskenntnis an verschiedenen Schauplätzen der Saga) bereist haben, und ihm waren die fremden Länder bekannt, die damals im Sichtfeld eines Isländers liegen konnten. - All das trifft auf Þorvarðr zu und sogar mehr, denn schon in den zwanziger Jahren meinte ein Forscher, Vorlieben des Autors für bestimmte seiner Personen machten es wahrscheinlich, daß er aus dem Familienverband der Leute von Svínafell stamme, was auch Einar bestätigt. Wir werden es vermutlich nicht mehr mit Gewißheit herausfinden, wer diesen gewaltigen Roman des Hohen Mittelalters in Island geschrieben hat; aber es ist nicht auszuschließen, daß darin Þorvarðr Þórarinsson seinem 1255 getöteten Bruder Oddr von Valþjófsstaðir ein literarisches Denkmal gesetzt hat, das zur Weltliteratur gehört.
Odds Frau Randalín aus der ehrwürdigen Familie der Oddaverjar wurde in zeitgenössischen Quellen als kvenna högust, als die kunstfertigste aller Frauen bezeichnet. Vielleicht hat sie mit dem Talent, das ihr gegeben war, ihrem Mann als Löwenritter auf dem Portal ihrer Halle auf Valþjófsstaðir, wo sie nach seinem Tod mit den Kindern wohnen blieb, ein ebenso unvergängliches Denkmal gesetzt.
Damit verabschiedet sich der Fahrtenbuchschreiber für ein paar Tage. Dringende aktuelle Ereignisse rufen ihn nach Reykjavík. Am Wochenende wird in Island ein neues Parlament gewählt.
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Odds Tod
Bischof Heinrich, der längst die Seiten gewechselt hatte, forderte die führenden Sturlungen-Anhänger des Nordlands, Eyjólfur Ofsi und Hrafn Oddsson auf Grund im Eyjafjörður, auf, Oddr Þorarinsson zu vertreiben, der nach der Weihnachtszeit in den Skagafjörður zurückgekehrt war. Mitten im Januar kamen sie über die Berge und vereisten Flüsse und schlichen im Schutz der Winternacht zu den Türen von Odds Aufenthaltsort Geldingaholt.
“Eine Frau hieß Öngul-Þóra, die wurde den Unfrieden als erste gewahr, und sie ging rasch in den großen Wohnraum. Da waren einige Männer wach und unterhielten sich darüber, wo im Norden sie wohl Hrafn und Eyjólfur finden würden. Da meinte Þóra, nach denen bräuchten sie nicht lange zu suchen, ‘denn ein paar Männer mit aufgebundenen Eisenhelmen stehen schon auf der Wiese vor dem Haus.‘ Da liefen Oddr und die Männer rasch zu den Waffen und besetzten die Türen.”
Anfangs wehrten sich die Verteidiger lange erfolgreich. Doch “eng wurde es ihnen und Oddr in den Eingängen”, zumal die Angreifer auf das Dach stiegen, es einrissen und Steine auf die Untenstehenden warfen und nach ihnen stachen, wodurch viele verletzt wurden. Darauf befahl Oddr seinen Mannen einen Ausfall und brach an ihrer Spitze selbst ins Freie. “Nun wird Oddr von vielen gleichzeitig angegriffen, doch konnten sie ihm nur wenige Wunden beibringen, so lange er aufrecht stand. Er schützte sich mit dem Schild und teilte mit dem Schwert aus, mit dem er wirbelnd nach allen Seiten schlug. Er verteidigte sich so tapfer, daß es kaum ein anderes Beispiel gibt, wo sich ein einziger Mann im Freien so lange dem Angriff einer Übermacht erwehrt hat.” Am Ende erliegt er ihr aber doch. Aber “sie fledderten den Leichnam nicht. Er wurde mit einem Schild zugedeckt”, was sicher als eine Geste des Respekts und der Hochachtung zu verstehen ist. Dann folgt die von mir bereits teilweise zitierte Beschreibung Odds:
“Er war ein großer und kräftiger Mann; man konnte ihn an reiner Körperkraft nicht den Stärksten nennen, aber er war doch von allen der kräftigste und geschmeidigste und zu allen Arten der Körperertüchtigung am besten geeignet; zugleich äußerst freundlich und nachgiebig gegenüber seinem Bruder Þórvarðr und Kolbeinn.”
“Nachdem Oddr gefallen war, gab man den meisten anderen Schonung. Oddr war kaum fünfundzwanzig, als er fiel. Man brachte seinen Leichnam nach Seyla und begrub ihn dort beim Friedhof” (nicht auf dem Friedhof, denn Oddr befand sich ja im Bann). “Dann sprach sich die Nachricht vom Tod Odds herum, und seinem Bruder Þorvarðr und vielen anderen erschien er als großer Verlust, obwohl die Brüder nicht immer einer Meinung gewesen waren. Odds Frau Randalín Fillipusdóttir blieb auf Valþjófsstaðir und ihre und Odds Kinder wuchsen dort bei ihr auf: Guðmundur Gríss und Rikissa.” (Sturl.s., Kap. 276)
“Eine Frau hieß Öngul-Þóra, die wurde den Unfrieden als erste gewahr, und sie ging rasch in den großen Wohnraum. Da waren einige Männer wach und unterhielten sich darüber, wo im Norden sie wohl Hrafn und Eyjólfur finden würden. Da meinte Þóra, nach denen bräuchten sie nicht lange zu suchen, ‘denn ein paar Männer mit aufgebundenen Eisenhelmen stehen schon auf der Wiese vor dem Haus.‘ Da liefen Oddr und die Männer rasch zu den Waffen und besetzten die Türen.”
Anfangs wehrten sich die Verteidiger lange erfolgreich. Doch “eng wurde es ihnen und Oddr in den Eingängen”, zumal die Angreifer auf das Dach stiegen, es einrissen und Steine auf die Untenstehenden warfen und nach ihnen stachen, wodurch viele verletzt wurden. Darauf befahl Oddr seinen Mannen einen Ausfall und brach an ihrer Spitze selbst ins Freie. “Nun wird Oddr von vielen gleichzeitig angegriffen, doch konnten sie ihm nur wenige Wunden beibringen, so lange er aufrecht stand. Er schützte sich mit dem Schild und teilte mit dem Schwert aus, mit dem er wirbelnd nach allen Seiten schlug. Er verteidigte sich so tapfer, daß es kaum ein anderes Beispiel gibt, wo sich ein einziger Mann im Freien so lange dem Angriff einer Übermacht erwehrt hat.” Am Ende erliegt er ihr aber doch. Aber “sie fledderten den Leichnam nicht. Er wurde mit einem Schild zugedeckt”, was sicher als eine Geste des Respekts und der Hochachtung zu verstehen ist. Dann folgt die von mir bereits teilweise zitierte Beschreibung Odds:
“Er war ein großer und kräftiger Mann; man konnte ihn an reiner Körperkraft nicht den Stärksten nennen, aber er war doch von allen der kräftigste und geschmeidigste und zu allen Arten der Körperertüchtigung am besten geeignet; zugleich äußerst freundlich und nachgiebig gegenüber seinem Bruder Þórvarðr und Kolbeinn.”
“Nachdem Oddr gefallen war, gab man den meisten anderen Schonung. Oddr war kaum fünfundzwanzig, als er fiel. Man brachte seinen Leichnam nach Seyla und begrub ihn dort beim Friedhof” (nicht auf dem Friedhof, denn Oddr befand sich ja im Bann). “Dann sprach sich die Nachricht vom Tod Odds herum, und seinem Bruder Þorvarðr und vielen anderen erschien er als großer Verlust, obwohl die Brüder nicht immer einer Meinung gewesen waren. Odds Frau Randalín Fillipusdóttir blieb auf Valþjófsstaðir und ihre und Odds Kinder wuchsen dort bei ihr auf: Guðmundur Gríss und Rikissa.” (Sturl.s., Kap. 276)
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Dienstag, 21. April 2009
Saga Þórarinssona (II)
Den Winter 1253/54 verbrachte Gissur Þorvaldsson in seinem Stammland im Süden. Þorvarðr aber ritt mit Gefolge zu Eyjólfur Ofsi, dem Anführer der “brenna” auf Flugumýri, und mit vereinten Kräften unternahmen sie einen Rache- und Plünderungszug durch das Nordland zum Skagafjörður.
Oddr Þórarinsson hingegen suchte im nächsten Frühjahr Gissur auf und bot ihm seine Hilfe an. Damit standen die beiden Brüder also in feindlichen Lagern, und es stellt sich die Frage, warum. Schon zu Beginn ihrer Geschichte heißt es einmal, daß sie nicht immer einer Meinung gewesen seien, und das könnte eine der typischen Untertreibungen des Sagastils sein. Vielleicht brachten sie aber mehr noch unterschiedliche Interessen oder Loyalitäten dazu, verschiedene Seiten zu wählen. Þórvarðr fühlte sich offenbar zur Vergeltung für den einige Zeit bei ihm Gastrecht genießenden Kolbeinn verpflichtet. Oddr, frei von solchen Verpflichtungen, mag sich dagegen mehr von Gissur versprochen haben, der ohnehin der mächtigste Mann auf der Insel war (zumindest so lange Þórðr Kakali außer Landes blieb) und überdies noch den norwegischen König im Rücken hatte. Außerdem lag sein Machtbereich im Nord- und Südland seinem eigenen Godentum im Osten näher als der der Sturlungen im Westen, und Gissur war sicher eher in der Lage, Oddr eventuell gegen Widersacher im eigenen Landesteil zur Seite zu stehen. Oder ist vielleicht denkbar, daß die Brüder nicht in erster Linie aus persönlichen Interessen, sondern zum Besten ihrer Familie abgesprochen handelten? Wenn sie sich mit beiden Parteien verbündeten, würde, egal welche den sich zuspitzenden Bürgerkrieg um die Herrschaft über Island am Ende für sich entschied, einer von ihnen und damit die Familie zu den Siegern zählen. Wie so oft überläßt es der sich objektiv gebende Stil der Saga dem Leser, sich einen Reim auf die hinter den Handlungen liegenden Motive zu machen. Es war jedenfalls keineswegs so, daß die Brüder nicht mehr miteinander reden konnten. Im Gegenteil.
Gissur, den Bischof Heinrich mit fast unerklärlichem Rigorismus plötzlich wegen seines Rachefeldzugs gegen die Brandstifter und Mörder seiner nächsten Angehörigen aus der Kirche verstoßen hatte, erklärte Oddr, er wolle im Sommer nach Norwegen fahren, um sich bei König Hákon zu rehabilitieren. Und er bat Oddr, für die Zeit seiner Abwesenheit sein Statthalter zu sein. Oddr reagierte zunächst eher ablehnend. Doch zu Ostern ritten sie an der Spitze eines Heers von 300 Mann gemeinsam in den Norden.
Die Sturlungen dort flüchteten zu den Schiffen; Þorvarðr aber, der sich bei ihnen aufhielt, traf sich zu einer Unterredung mit seinem Bruder. Aus ihrem Vermittlungsversuch wurde allerdings nichts. Gissur erhob formal Klage gegen die Teilnehmer an dem Überfall auf sein Haus und installierte Oddr als seinen Stellvertreter auf Flugumýri. Þorvarðr kehrte unbehelligt in den Osten zurück. Einen der Anstifter der brenna tötete Oddr auf einem Zug gegen die kleine Insel Grímsey am Polarkreis. Auf dem Althing im Sommer wurden Eyjólfur Ofsi und 15 Mittäter schuldig gesprochen. Danach schiffte sich Gissur nach Norwegen ein, und Oddr zog als sein Statthalter zurück in den Norden, wo er nach Aussage der Quellen mit viel Zustimmung aufgenommen wurde. Wahrscheinlich sahen die Bauern in ihm einen starken Beschützer vor weiteren Übergriffen. Den nächsten veranstaltete Oddr allerdings selbst: vom Hof eines der Schuldiggesprochenen ließ er mit der Begründung, es sei Bußgeld, alles Vieh wegtreiben und schlachten. Bischof Heinrich fürchtete inzwischen die Macht Gissurs und seines Statthalters mehr als die der Sturlungen und belegte auch Oddr für diesen Raubzug mit dem Kirchenbann.
In Island besaß die Kirche zu jener Zeit jedoch noch längst nicht die Macht, die weltlichen Großen gegen ein Interdikt keine andere Wahl gelassen hätte, als barfuß nach Canossa zu gehen. Oddr jedenfalls kam beritten und mit dreißig Mann zum Fest der Kreuzerhöhung nach Fagranes, wo der Bischof eine Kirche weihen wollte.
“‘Ich bin hierher gekommen, Herr‘, sagt er, ‘weil ich will, daß wir uns vergleichen. Meinerseits will ich anbieten, daß ich und meine Leute die Gegend verlassen, wenn Euch das besser gefällt; Ihr aber versprecht mir im Gegenzug, daß die Mordbrenner nicht in die Gegend einrücken, damit den Bauern hier kein Schade geschieht.‘ Der Bischof erklärt, das nicht garantieren zu können, und fordert Oddr auf, die Gegend zu verlassen und nach Osten in die Fjorde zurückzukehren. Oddr erklärt, das nicht zu tun. ‘Und du bedauerst es wenig, daß auf Flugumýri Menschen verbrannt wurden‘, sagt er. Der Bischof entgegnet: ‘Das bedauere ich sehr wohl, ebenso wie ich bedauere, daß deine Seele in der Hölle brennen wird.‘
Darauf drängten Oddr und seine Männer auf das Podest und legten Hand an den Bischof. Der aber hatte ein drückendes Geschwür, und es tat ihm weh, als sie ihn anfaßten.” (Sturl.s., Kap. 271)
Oddr nahm den Bischof mit sich und hielt ihn auf Flugumýri tagelang in Haft, bis den Leuten wegen dieser Freveltat gegen den höchsten Geistlichen im Land angst und bange um ihr Seelenheil wurde, und sie sich zusammenrotteten, um ihn zu befreien. Oddr wurde die bevorstehende Aktion heimlich verraten, und er ließ den Bischof laufen. Er selbst zog sich über Winter nach Valþjófsstaðir zurück. (“Es wird nicht erwähnt, daß er und Þorvarðr sich besucht hätten”, heißt es in der Saga.)
Oddr Þórarinsson hingegen suchte im nächsten Frühjahr Gissur auf und bot ihm seine Hilfe an. Damit standen die beiden Brüder also in feindlichen Lagern, und es stellt sich die Frage, warum. Schon zu Beginn ihrer Geschichte heißt es einmal, daß sie nicht immer einer Meinung gewesen seien, und das könnte eine der typischen Untertreibungen des Sagastils sein. Vielleicht brachten sie aber mehr noch unterschiedliche Interessen oder Loyalitäten dazu, verschiedene Seiten zu wählen. Þórvarðr fühlte sich offenbar zur Vergeltung für den einige Zeit bei ihm Gastrecht genießenden Kolbeinn verpflichtet. Oddr, frei von solchen Verpflichtungen, mag sich dagegen mehr von Gissur versprochen haben, der ohnehin der mächtigste Mann auf der Insel war (zumindest so lange Þórðr Kakali außer Landes blieb) und überdies noch den norwegischen König im Rücken hatte. Außerdem lag sein Machtbereich im Nord- und Südland seinem eigenen Godentum im Osten näher als der der Sturlungen im Westen, und Gissur war sicher eher in der Lage, Oddr eventuell gegen Widersacher im eigenen Landesteil zur Seite zu stehen. Oder ist vielleicht denkbar, daß die Brüder nicht in erster Linie aus persönlichen Interessen, sondern zum Besten ihrer Familie abgesprochen handelten? Wenn sie sich mit beiden Parteien verbündeten, würde, egal welche den sich zuspitzenden Bürgerkrieg um die Herrschaft über Island am Ende für sich entschied, einer von ihnen und damit die Familie zu den Siegern zählen. Wie so oft überläßt es der sich objektiv gebende Stil der Saga dem Leser, sich einen Reim auf die hinter den Handlungen liegenden Motive zu machen. Es war jedenfalls keineswegs so, daß die Brüder nicht mehr miteinander reden konnten. Im Gegenteil.
Gissur, den Bischof Heinrich mit fast unerklärlichem Rigorismus plötzlich wegen seines Rachefeldzugs gegen die Brandstifter und Mörder seiner nächsten Angehörigen aus der Kirche verstoßen hatte, erklärte Oddr, er wolle im Sommer nach Norwegen fahren, um sich bei König Hákon zu rehabilitieren. Und er bat Oddr, für die Zeit seiner Abwesenheit sein Statthalter zu sein. Oddr reagierte zunächst eher ablehnend. Doch zu Ostern ritten sie an der Spitze eines Heers von 300 Mann gemeinsam in den Norden.
Die Sturlungen dort flüchteten zu den Schiffen; Þorvarðr aber, der sich bei ihnen aufhielt, traf sich zu einer Unterredung mit seinem Bruder. Aus ihrem Vermittlungsversuch wurde allerdings nichts. Gissur erhob formal Klage gegen die Teilnehmer an dem Überfall auf sein Haus und installierte Oddr als seinen Stellvertreter auf Flugumýri. Þorvarðr kehrte unbehelligt in den Osten zurück. Einen der Anstifter der brenna tötete Oddr auf einem Zug gegen die kleine Insel Grímsey am Polarkreis. Auf dem Althing im Sommer wurden Eyjólfur Ofsi und 15 Mittäter schuldig gesprochen. Danach schiffte sich Gissur nach Norwegen ein, und Oddr zog als sein Statthalter zurück in den Norden, wo er nach Aussage der Quellen mit viel Zustimmung aufgenommen wurde. Wahrscheinlich sahen die Bauern in ihm einen starken Beschützer vor weiteren Übergriffen. Den nächsten veranstaltete Oddr allerdings selbst: vom Hof eines der Schuldiggesprochenen ließ er mit der Begründung, es sei Bußgeld, alles Vieh wegtreiben und schlachten. Bischof Heinrich fürchtete inzwischen die Macht Gissurs und seines Statthalters mehr als die der Sturlungen und belegte auch Oddr für diesen Raubzug mit dem Kirchenbann.
In Island besaß die Kirche zu jener Zeit jedoch noch längst nicht die Macht, die weltlichen Großen gegen ein Interdikt keine andere Wahl gelassen hätte, als barfuß nach Canossa zu gehen. Oddr jedenfalls kam beritten und mit dreißig Mann zum Fest der Kreuzerhöhung nach Fagranes, wo der Bischof eine Kirche weihen wollte.
“‘Ich bin hierher gekommen, Herr‘, sagt er, ‘weil ich will, daß wir uns vergleichen. Meinerseits will ich anbieten, daß ich und meine Leute die Gegend verlassen, wenn Euch das besser gefällt; Ihr aber versprecht mir im Gegenzug, daß die Mordbrenner nicht in die Gegend einrücken, damit den Bauern hier kein Schade geschieht.‘ Der Bischof erklärt, das nicht garantieren zu können, und fordert Oddr auf, die Gegend zu verlassen und nach Osten in die Fjorde zurückzukehren. Oddr erklärt, das nicht zu tun. ‘Und du bedauerst es wenig, daß auf Flugumýri Menschen verbrannt wurden‘, sagt er. Der Bischof entgegnet: ‘Das bedauere ich sehr wohl, ebenso wie ich bedauere, daß deine Seele in der Hölle brennen wird.‘
Darauf drängten Oddr und seine Männer auf das Podest und legten Hand an den Bischof. Der aber hatte ein drückendes Geschwür, und es tat ihm weh, als sie ihn anfaßten.” (Sturl.s., Kap. 271)
Oddr nahm den Bischof mit sich und hielt ihn auf Flugumýri tagelang in Haft, bis den Leuten wegen dieser Freveltat gegen den höchsten Geistlichen im Land angst und bange um ihr Seelenheil wurde, und sie sich zusammenrotteten, um ihn zu befreien. Oddr wurde die bevorstehende Aktion heimlich verraten, und er ließ den Bischof laufen. Er selbst zog sich über Winter nach Valþjófsstaðir zurück. (“Es wird nicht erwähnt, daß er und Þorvarðr sich besucht hätten”, heißt es in der Saga.)
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Montag, 20. April 2009
Sagaprosa
In der Tat begann Gissur sogleich, Bewaffnete an sich zu ziehen und fiel mit einem Heer von 600 Mann über Eyjólfur Ofsis Hof Möðruvellir am Eyjafjörður her. Dann schloß man eine Art Waffenruhe, die die führenden Anhänger der Sturlungenpartei aus dem Skagafjörður verbannte, in dem sich Gissur erneut niederließ. “Er trug seine Trauer gut und zeigte sich seinen Männern und Besuchern, die im Winter zu ihm kamen, fröhlich. Er ließ sich kaum etwas anmerken.” Doch noch im Winter überfiel er die auf ihre Höfe verstreuten Mittäter des Brandanschlags auf ihn und seine Familie und zog sie zur Rechenschaft. Unter ihnen auch einen Kolbeinn Grön, den unser Þorvarðr Þórarinsson vorübergehend bei sich aufgenommen hatte.
“Er wurde festgenommen und hinausgeführt. Kolbeinn verlangte da nach einem Priester, aber sie gingen nicht darauf ein. Als Gissur Kolbeinn erblickte, zog er sein Schwert Brünnenbeißer, doch wurde er nicht so rasch mit ihm fertig, wie er sich das vorgestellt hatte, und fragte, warum die anderen die Hände in den Schoß legten. Da hieb Priester-Johan nach Kolbeinn und traf ihn am Kopf, daß es eine tiefe Wunde gab, aber er fiel nicht hin. Kolbeinn griff nach den Umstehenden und hielt sich an ihnen fest, er war ein kräftiger Mann und hätte sie fast umgerissen. Nun gingen viele auf ihn los, doch er fiel nicht. Priester-Johann schlug zum zweiten Mal auf ihn ein, und der Hieb drang tief in die Stirn. Da knickte Kolbeinn in den Knien ein, und sie erschlugen ihn dort [...] Bald nach diesem Totschlag ritt Gissur mit einigen Männern zu Gunnar Klængsson nach Geitaskarð im Langidalur, nahm dessen Tochter Ingibjörg als Geliebte mit sich und mochte sie bald sehr. Sie war eine ansehnliche Frau und zu vielem zu gebrauchen.” (Sturl.s., Kap. 262)
Dieser Text ist etwa 700 Jahre v o r Hemingway und der hartgekochten Short-Story-Prosa des 20. Jahrhunderts geschrieben. Wie einzigartig diese frühe isländische Literatursprache in ihrer Epoche dasteht, erschließt sich wohl nur dem, der einmal die ansonsten überall vorherrschenden Literaturgattungen der Zeit gelesen hat: Troubadourlyrik, Minnesang, höfische Versepen...
Und es läßt vielleicht andeutungsweise erkennen, warum Autoren des 20. Jahrhunderts sich so begeistern konnten wie z.B. Borges, wenn sie diese fast modern knappe und harte altisländische Prosa für sich entdeckten.
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Sonntag, 19. April 2009
Flugumýrarbrenna
Sobald Þorðr Kakali, der starke Mann jener Jahre aus der Familie der Sturlungen, 1251 nach Norwegen abgereist war, begannen sich die Þórarinssöhne recht eigenmächtig zu gebärden. Ein entfernter Verwandter aus der großen Svínafellssippe beschwerte sich bei deren Oberhaupt, daß sie und nicht er das Godentum ihres Vaters in den Ostfjorden bekommen hätten.
(Goden waren in heidnischer Zeit ursprünglich reiche und bedeutende Siedler/Bauern, die auf ihrem Land den Göttern Tempel erbauten und darin auch für die Umwohnenden Opfer spendeten. Sie waren also vermutlich die angesehensten Männer ihrer Gegend und verfügten über Einfluß und eine bald aus dem Godenamt abgeleitete Macht. Bei der Gründung des Althings im Jahr 930 legte man die Zahl der Goden fest: 9 sollten es in jedem Landesviertel sein, die jeweils ihren Bezirk in der gesetzgebenden Versammlung repräsentierten. (Später kamen noch einmal drei Godenämter hinzu, um klare Mehrheitsverhältnisse in der Versammlung zu schaffen.) Daraus entwickelten sich natürlich einflußreiche Positionen, die auch nach der Übernahme des Christentums bestehen blieben. Jeder Bauer mußte sich einem Goden anschließen, den er sich zwar in seinem Viertel frei aussuchen durfte, dem er dann aber Unterstützung auf dem Thing und anderswo zu leisten hatte. Wer ein Godentum innehatte, besaß also maßgeblichen Einfluß in dessen Einzugsbereich und auf dem Althing.)
Sæmundr Ormsson zog das Godentum der Þórarinssöhne erst einmal ein, wogegen die auf dem Althing klagten und es nach einem Spruch Þórðr Kakalis zurückkaufen sollten. Doch als nach dessen Ausreise Sæmundr die Summe nicht abholte, warben sie Mannschaft auch im Heimatbezirk ihrer Frauen und wollten sich ihr Recht notfalls mit Gewalt verschaffen (wie es das isländische Rechtssystem, das keine staatliche Exekutive kannte, vorsah). Doch gegen Sæmunds Anhang vermochten sie nichts auszurichten. Daraufhin hat Þórvarðr anscheinend Sæmunds jüngeren Bruder Guðmundr als Geisel mit sich in die Ostfjorde entführt, bis die Angelegenheit durch einen finanziellen Ausgleich gütlich beigelegt wurde. Mit anderen Worten, die Þórarinssöhne auf Valþjófsstaðir waren stark genug, selbst dem mächtigsten Mann ihrer ganzen Inselhälfte paroli zu bieten.
Im nächsten Jahr fielen Sæmundr und Guðmundr dem vorerwähnten Racheanschlag von Guðmunds ehemaligem Pflegevater zum Opfer.
Im gleichen Sommer kehrte nach dreijähriger Abwesenheit Gissur Þorvaldsson von einer Pilgerreise nach Rom, wo er von Papst Innozenz IV. empfangen worden war, im Auftrag König Hákons von Norwegen zusammen mit Bischof Heinrich nach Island zurück. Sogleich nahmen die Spannungen im Land wieder zu, denn Gissur und der Bischof versuchten offenbar gemeinsam, die Isländer zur Anerkennung von König Hákons Ansprüchen auf die Insel zu bewegen. Die Sturlungenpartei versuchte eine Heerfahrt gegen Gissur; doch das Frühlingshochwasser in den breiten Strömen des Südlands ließ sie nicht zu ihm vordringen. Zum Althing erschien Gissur mit einem Aufgebot von 700 Mann, und nicht einmal der amtierende Gesetzessprecher, der Dichter Ólafr þórðarson hvítaskald aus der Sturlungenfamilie, wagte es, an der Versammlung teilzunehmen und wurde durch einen Parteigänger Gissurs ersetzt. Anschließend bemühten sich beide Lager durch Vermittlung von Abt Brandr um Versöhnung, indem sie Gissurs Sohn Hallr mit Sturla Þorðarsons zwölfjähriger Tochter Ingibjörg verheiraten wollten.
Gissur hatte zwischenzeitlich von Bischof Heinrich den Großhof Flugumýri im Skagafjörður (Nordisland) erworben, der bis zur Schlacht von Örlygsstaðir im Skagafjörður 1238 dem Führer der Sturlungen gehört hatte, Þórðr Kakalis Vater Sighvatr. Dort wurde im Herbst großartig die Hochzeit gefeiert. Nachdem die meisten auswärtigen Gäste abgereist waren, ritt der von Þórðr eigentlich über den Skagafjörður gesetzte, doch daraus vertriebene und mit den Sturlungen verschwägerte Eyjólfr Ofsi Þorsteinsson in der Nacht des 22. Oktober 1253 mit 50 Mann nach Flugumýri, drang in das Gehöft ein und steckte es in Brand. Gissur verlor neben fast zwei Dutzend Gefolgsleuten im Handgemenge und dem Feuer auch seine Frau und seine drei Söhne. Er selbst überlebte, weil er sich in der Vorratskammer in einem großen mit saurer Molke gefüllten Faß verstecken konnte.
“Als die (vom Bischof absolvierten) Mordbrenner erfuhren, daß Gissur am Leben war, was vielen von ihnen ganz unwahrscheinlich erschien, da wurden sie ganz schön still. Hrafn sagte, das wäre ihr Tod, und sie sollten sich darauf einstellen.” (Sturl.s., kap. 260)
(Goden waren in heidnischer Zeit ursprünglich reiche und bedeutende Siedler/Bauern, die auf ihrem Land den Göttern Tempel erbauten und darin auch für die Umwohnenden Opfer spendeten. Sie waren also vermutlich die angesehensten Männer ihrer Gegend und verfügten über Einfluß und eine bald aus dem Godenamt abgeleitete Macht. Bei der Gründung des Althings im Jahr 930 legte man die Zahl der Goden fest: 9 sollten es in jedem Landesviertel sein, die jeweils ihren Bezirk in der gesetzgebenden Versammlung repräsentierten. (Später kamen noch einmal drei Godenämter hinzu, um klare Mehrheitsverhältnisse in der Versammlung zu schaffen.) Daraus entwickelten sich natürlich einflußreiche Positionen, die auch nach der Übernahme des Christentums bestehen blieben. Jeder Bauer mußte sich einem Goden anschließen, den er sich zwar in seinem Viertel frei aussuchen durfte, dem er dann aber Unterstützung auf dem Thing und anderswo zu leisten hatte. Wer ein Godentum innehatte, besaß also maßgeblichen Einfluß in dessen Einzugsbereich und auf dem Althing.)
Sæmundr Ormsson zog das Godentum der Þórarinssöhne erst einmal ein, wogegen die auf dem Althing klagten und es nach einem Spruch Þórðr Kakalis zurückkaufen sollten. Doch als nach dessen Ausreise Sæmundr die Summe nicht abholte, warben sie Mannschaft auch im Heimatbezirk ihrer Frauen und wollten sich ihr Recht notfalls mit Gewalt verschaffen (wie es das isländische Rechtssystem, das keine staatliche Exekutive kannte, vorsah). Doch gegen Sæmunds Anhang vermochten sie nichts auszurichten. Daraufhin hat Þórvarðr anscheinend Sæmunds jüngeren Bruder Guðmundr als Geisel mit sich in die Ostfjorde entführt, bis die Angelegenheit durch einen finanziellen Ausgleich gütlich beigelegt wurde. Mit anderen Worten, die Þórarinssöhne auf Valþjófsstaðir waren stark genug, selbst dem mächtigsten Mann ihrer ganzen Inselhälfte paroli zu bieten.
Im nächsten Jahr fielen Sæmundr und Guðmundr dem vorerwähnten Racheanschlag von Guðmunds ehemaligem Pflegevater zum Opfer.
Im gleichen Sommer kehrte nach dreijähriger Abwesenheit Gissur Þorvaldsson von einer Pilgerreise nach Rom, wo er von Papst Innozenz IV. empfangen worden war, im Auftrag König Hákons von Norwegen zusammen mit Bischof Heinrich nach Island zurück. Sogleich nahmen die Spannungen im Land wieder zu, denn Gissur und der Bischof versuchten offenbar gemeinsam, die Isländer zur Anerkennung von König Hákons Ansprüchen auf die Insel zu bewegen. Die Sturlungenpartei versuchte eine Heerfahrt gegen Gissur; doch das Frühlingshochwasser in den breiten Strömen des Südlands ließ sie nicht zu ihm vordringen. Zum Althing erschien Gissur mit einem Aufgebot von 700 Mann, und nicht einmal der amtierende Gesetzessprecher, der Dichter Ólafr þórðarson hvítaskald aus der Sturlungenfamilie, wagte es, an der Versammlung teilzunehmen und wurde durch einen Parteigänger Gissurs ersetzt. Anschließend bemühten sich beide Lager durch Vermittlung von Abt Brandr um Versöhnung, indem sie Gissurs Sohn Hallr mit Sturla Þorðarsons zwölfjähriger Tochter Ingibjörg verheiraten wollten.
Gissur hatte zwischenzeitlich von Bischof Heinrich den Großhof Flugumýri im Skagafjörður (Nordisland) erworben, der bis zur Schlacht von Örlygsstaðir im Skagafjörður 1238 dem Führer der Sturlungen gehört hatte, Þórðr Kakalis Vater Sighvatr. Dort wurde im Herbst großartig die Hochzeit gefeiert. Nachdem die meisten auswärtigen Gäste abgereist waren, ritt der von Þórðr eigentlich über den Skagafjörður gesetzte, doch daraus vertriebene und mit den Sturlungen verschwägerte Eyjólfr Ofsi Þorsteinsson in der Nacht des 22. Oktober 1253 mit 50 Mann nach Flugumýri, drang in das Gehöft ein und steckte es in Brand. Gissur verlor neben fast zwei Dutzend Gefolgsleuten im Handgemenge und dem Feuer auch seine Frau und seine drei Söhne. Er selbst überlebte, weil er sich in der Vorratskammer in einem großen mit saurer Molke gefüllten Faß verstecken konnte.
“Als die (vom Bischof absolvierten) Mordbrenner erfuhren, daß Gissur am Leben war, was vielen von ihnen ganz unwahrscheinlich erschien, da wurden sie ganz schön still. Hrafn sagte, das wäre ihr Tod, und sie sollten sich darauf einstellen.” (Sturl.s., kap. 260)
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Samstag, 18. April 2009
Odds Pferde
En þá es Ísland vas viða byggt orðit... "Als Island weithin besiedelt war, da brachte ein Mann aus dem Osten namens Úlfljótr von Norwegen erstmals Gesetze mit, das hat uns Teitr berichtet... Weiter wird gesagt, daß Úlfljóts Ziehbruder Grímr geitskör auf sein Anraten hin zunächst ganz Island erkundet hat, bevor das Althing gegründet wurde. Das (dazu ausgewählte) Land wurde anschließend zu Allgemeinbesitz erklärt und allen Landsleuten zur Durchführung des Althings zur Verfügung gestellt, weil es dort viel Wald (für Brennholz) und auf den Heiden Weideland für viele Pferde gibt. Und so haben uns auch kundige Menschen gesagt: Nach sechzig Wintern war Island vollständig besiedelt."
So heißt es in der ersten Geschichte Islands, der Íslendingabók, die kurz nach 1120 von Ari Þorgilsson dem Gelehrten in der Landessprache geschrieben wurde.
Gleich im ersten Jahr seines Zusammentretens soll auf dem Althing ein Gesetz beschlossen worden sein, das die Einfuhr weiterer Pferde verbot. Dieses Gesetz gilt bis heute. Ihm verdankt die Rasse der Islandpferde ihre Existenz und ihren Bestand. Alle heutigen Pferde auf der Insel sind also Nachkommen der dort im Jahr 930 lebenden; und so fließt auch das Blut von Oddr Þórarinsons Pferden bis heute unvermischt in ihren Nachkommen. Zum Beispiel in diesem:
Oder vielleicht eher noch in diesem, wenn man sich eine Ähnlichkeit zwischen Roß und Reiter denkt.
"Oddr hatte hellbraunes Haar und ein gut aussehendes Gesicht, blaue Augen, und er war in blendender körperlicher Verfassung, milde und gut gegenüber dem einfachen Volk und freigebig. Er konnte von allen am besten fechten. Und so sagt sein Bruder Þorvarðr, daß kein Mann in Island es mit ihm auf einen Waffengang ankommen lassen konnte." - Ich komme auf diese Beschreibung in der Sturlunga saga noch einmal zurück.
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Freitag, 17. April 2009
Saga Þórarinssona (I)
Þá voru þeir frændr ungir í Austfjörðum, synir Þórarins Jónssonar, Þorvarðr ok Oddr; ok höfðu þeir föður-leif sina ; ok viku þeir öllum sinum malum undir Þorð ok hans forsjá.
“Da lebten in den Ostfjorden die jungen Söhne von Þórarinn Jónsson, Þorvarðr und Oddr, und sie besaßen ihr väterliches Erbe, und all ihre Angelegenheiten unterbreiteten sie Þorðr [kakali] und seinem Rat.”
Denkbar, daß er ihnen auch zu ihren Frauen verhalf, denn wenn zwei junge Männer aus so bedeutender Familie heirateten, war das eine hoch politische Angelegenheit. Wer immer ihre Ehen angebahnt haben mag, fand jedenfalls gute Partien. Die beiden heirateten nämlich zwei Cousinen, deren gemeinsamer Großvater ein Sohn von Islands ungekröntem König des 12. Jahrhunderts gewesen war: Jón Loptsson dem Reichen auf Oddi. Und Oddi war unbestritten das geistige Zentrum von Gelehrsamkeit im frühen Island. Als Stammvater der Familie galt der zur Legende gewordene Sæmundr der Gelehrte, der jahrelang in Frankreich oder Deutschland unter anderem Astronomie studiert und wahrscheinlich eine (allerdings verlorene) Geschichte der norwegischen Könige auf Latein verfaßt hatte und den man im Norden für so vornehm hielt, daß sein Sohn Loptr eine Tochter des norwegischen Königs Magnús berfótr zur Frau erhielt. Jón Loptsson und seine Nachkommen waren also direkt mit dem Königshaus verwandt. So auch die beiden Cousinen Sólveig Hálfdansdóttir und Randalín Filippusdóttir, die 1250 vom zuständigen Bischof des Südlands persönlich mit Þorvarðr und Oddr verheiratet wurden. Þórvarðr, der zwei Jahre Ältere, übernahm damals wohl den väterlichen Hof im Vopnafjörður (das isl. Wort hof bewahrte übrigens bis heute die ursprüngliche Bedeutung: Ort der Götterverehrung, Heiligtum, (heidnischer) Tempel), während Oddr und Randalín in Valþjófsstaðir wohnten. - Gleich fühlt es sich ganz anders an, über die Wiesen bei dem Hof zu spazieren, auf denen womöglich direkte Nachfahren von Odds Pferden grasen.
“Da lebten in den Ostfjorden die jungen Söhne von Þórarinn Jónsson, Þorvarðr und Oddr, und sie besaßen ihr väterliches Erbe, und all ihre Angelegenheiten unterbreiteten sie Þorðr [kakali] und seinem Rat.”
Denkbar, daß er ihnen auch zu ihren Frauen verhalf, denn wenn zwei junge Männer aus so bedeutender Familie heirateten, war das eine hoch politische Angelegenheit. Wer immer ihre Ehen angebahnt haben mag, fand jedenfalls gute Partien. Die beiden heirateten nämlich zwei Cousinen, deren gemeinsamer Großvater ein Sohn von Islands ungekröntem König des 12. Jahrhunderts gewesen war: Jón Loptsson dem Reichen auf Oddi. Und Oddi war unbestritten das geistige Zentrum von Gelehrsamkeit im frühen Island. Als Stammvater der Familie galt der zur Legende gewordene Sæmundr der Gelehrte, der jahrelang in Frankreich oder Deutschland unter anderem Astronomie studiert und wahrscheinlich eine (allerdings verlorene) Geschichte der norwegischen Könige auf Latein verfaßt hatte und den man im Norden für so vornehm hielt, daß sein Sohn Loptr eine Tochter des norwegischen Königs Magnús berfótr zur Frau erhielt. Jón Loptsson und seine Nachkommen waren also direkt mit dem Königshaus verwandt. So auch die beiden Cousinen Sólveig Hálfdansdóttir und Randalín Filippusdóttir, die 1250 vom zuständigen Bischof des Südlands persönlich mit Þorvarðr und Oddr verheiratet wurden. Þórvarðr, der zwei Jahre Ältere, übernahm damals wohl den väterlichen Hof im Vopnafjörður (das isl. Wort hof bewahrte übrigens bis heute die ursprüngliche Bedeutung: Ort der Götterverehrung, Heiligtum, (heidnischer) Tempel), während Oddr und Randalín in Valþjófsstaðir wohnten. - Gleich fühlt es sich ganz anders an, über die Wiesen bei dem Hof zu spazieren, auf denen womöglich direkte Nachfahren von Odds Pferden grasen.
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Donnerstag, 16. April 2009
Warum Valþjófsstaðir?
Im 11. und 12. Jahrhundert war das fein austarierte System der checks and balances in der freien Bauernrepublik Island nach und nach in arge Schieflage geraten. Ein halbes Dutzend Familien hatte es verstanden, sich vor allem durch die Einführung des Christentums und die mit ihm verbundene Einrichtung kirchlicher Ämter und Möglichkeiten zur Anhäufung von Geld - die isländische Kirche hatte als erste im Norden 1097 die Einführung des Kirchenzehnten durchgesetzt - von anderen nicht mehr ernsthaft anzufechtende Machtpositionen aufzubauen. Durch Heiratspolitik verschwägerten sie sich vielfach miteinander, um untereinander Allianzen zu schmieden. Doch rivalisierten sie auch weiterhin, und im 13. Jahrhundert gipfelten ihre Konkurrenz und ihr Streben nach Suprematie in einem fast permanent werdenden Bürgerkrieg, der letztlich durch die wechselnden Parteien nur zu gern gewährte Unterstützung des norwegischen Königs entschieden werden sollte, die Island am Ende seine Unabhängigkeit kostete.
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