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Freitag, 30. Mai 2014
Miszellen zur Mentalitätsgeschichte des Strandkorbs

Angekommen. Vom Nordrand des Mittelmeers an den Südrand der Ostsee. Da herrscht ein anderes Klima, und ich meine nicht nur Wind und Wetter (aber das auch). Das Publikum, das hier grußlos die Dorfstraße auf und ab stampft: DDR, wie sie leibte und lebte. Die örtliche Gastronomie auch. Man braucht im Restaurant nur statt ‟Hering satt” oder Boddenzander zur Abwechslung mal Pangasius zu bestellen, und wird sogleich aus allen Richtungen Blicke auf sich gerichtet fühlen: Da kennt einer sowas Ausländisches, muß ein Westler sein.
Vielleicht kommt es ja von einem noch immer irgendwo sitzenden Gefühl, eventuell zu den zu kurz Kommenden gehören zu können, daß einem hier so rasch eine unfreundliche Verdrießlichkeit entgegenschlägt. Gleich beim ersten morgendlichen Bäckerbesuch merke ich eine unruhige, lauernde Aufmerksamkeit, daß auch nur ja niemand irrtümlich bedient wird, der noch nicht an der Reihe ist. Ich registriere es, aber es ficht mich nicht an.
Ich sehe mir auch etwas anderes noch einmal an, aber ich fürchte, die Poesie des Strandkorbs erschließt sich mir in diesem Leben nicht mehr.

Beide Themen kommen in einer feinen Anekdote in den Tagebüchern von
Brigitte Reimann zusammen. 1965 leitete die 32-jährige noch immer in Hoyerswerda den ‟Zirkel schreibender Arbeiter” im Kombinat ‟Schwarze Pumpe”, war zum dritten Mal frisch verheiratet, stand so ziemlich auf der Höhe ihrer Anerkennung als Schriftstellerin in der DDR, erhielt den Heinrich-Mann-Preis und durfte sich im Juni ‘65 einen Ostsee-Urlaub im ‟Bad der schaffenden Intelligenz” gönnen.

‟Ahrenshoop, 4.6. Heute schien den ganzen Tag die Sonne, aber man fröstelte unter dem scharfen Wind, und wir haben erst ab morgen einen Strandkorb. Diese kleine Kalamität hat uns eine häßliche Szene eingetragen... Wir setzten uns in einen leeren Strandkorb, den wir für herrenlos hielten, und dann kam doch ein Besitzer, ein dicker grober Mann, der sich nicht damit begnügte, uns rauszuschmeißen und unsere höfliche Entschuldigung nicht anzuhören, sondern uns aufs ordinärste beschimpfte. – Ich bin solchen Situationen nicht gewachsen, ich starb fast vor Scham. Wir gingen vom Strand weg, und ich konnte mich nicht beruhigen. Nicht bloß, weil er uns für Penner und arme Schlucker hält – sondern, weil er uns eben deshalb beschimpfte.”

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