Natürlich kamen wir erst viel zu spät aus Reims weg. Eine schwach zu ahnende Sonne hinter milchigem Dunst zeigte uns den Weg. Südlich der Stadt, Richtung Troyes, wellte sich die flache Schüssel der Champagne unter einem sehr akkuraten Façonschnitt, die dunklen Rebstöcke, auf denen einmal Champagner wachsen sollte, standen höchstens kniehoch gestutzt und ordentlich in Reih und Glied wie die Grabsteine auf den Soldatenfriedhöfen der Marne-Schlachten, auf den LPG-großen Getreidefeldern war die Saat noch kaum aufgegangen, nackt schimmerte die gelbe Kopfhaut der Erde durch, und hinter langen Mauern lagen überall die im Chateaux-Stil gebauten Kellereien der Schaumweinfabrikanten.
Die Sonne verschwand wieder hinter einer dichten Bewölkung, und die Überreste der einst größten Kirche der Christenheit besichtigten wir unter tief hängenden, tropfenschweren Wolken. Es trieben fast mehr Nebelschwaden durch die schmalen Gassen von Cluny als Touristen. Dörfliche Stille, Pferdegeruch vom nahen Gestüt.
Weiter die Saône entlang nach Süden, noch einmal dichter Verkehr um Lyon, von Kernkraftwerken umzingelt wie keine andere europäische Großstadt. Dann das an sich schöne Flußtal der Rhône hinab, allmählich schon in Dämmerung sinkend, durchs Dauphiné, vorbei an Valence und bei Montélimar (noch ein AKW) ab von der Autobahn und hinein in die Ausläufer der Voralpen. Die Straße windet sich das Tal des Jabron hinauf, wird bald nach jedem Kreisverkehr löcheriger; hurra, hier gibt es noch Dunkelheit! Richtige, tiefe Dunkelheit, in die die Scheinwerfer zwei schmale Lichtlanzen bohren. Ein paar scharfe Kehren noch, die letzten Häuser bleiben dunkel im Dunkel zurück, der Asphalt auch, als holpriger Waldweg verschwindet die Straße hinter knorzigen Baumstämmen. Sind wir hier noch richtig? Da kommt eine dunkle Gestalt mit einer Taschenlampe den Weg herauf, Bernhard hat unsere Scheinwerfer gesehen. Wir sind angekommen.
Am nächsten Morgen sehen wir von der Terrasse zwischen den noch unbelaubten Bäumen hindurch auf den letzten, südlichsten Höhenzug der Drôme. Dahinter liegt die Provence.
Die Nacht war noch frostig, aber als die Sonne immer stärker durchdringt und ein kräftiger Mistral die Wolken wegbläst, können wir zu viert ein ausgedehntes zweites Frühstück auf der Terrasse einnehmen. Schon haben sich die 1000 Kilometer Anreise gelohnt.
Siehe da, Monsieur le chat kommt auch aus der Höhle.
... link (0 Kommentare) ... comment