Die Altstadt von Girne ist 200 x 300 Meter groß. Die von Nikosia hat erheblich mehr zu bieten. Besonders im türkischen Teil. Die restaurierten Gassen im Nordteil sind dagegen komplett auf Nepp getrimmt und mit Touristenramsch vollgestopft, die anderen herz- und lieblos modernisiert. Der Platz der Freiheit, von einer Bastion der sternförmig um die Altstadt geschlossenen venezianischen Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert flankiert, ist Busbahnhof und Großbaustelle: laut, stickig, nach Abgasen stinkend. “Hier pulsiert das Leben” wird es in Touristenprospekten wahrscheinlich genannt werden.
Abseits davon stehen viele Häuser in der Altstadt leer, sind baufällig oder gar nur noch Fassadenruinen, hinter denen der Rest längst eingestürzt ist, Müll lagert, Unkraut wuchert. Zeichen gewissenloser Immobilienspekulation und der Armut, die sich auch an der Existenz diverser schäbiger Möbelverleih-Firmen zeigt.
Das schönste Haus, das wir im griechischen Teil gefunden haben, ist ausgerechnet eine osmanische Notabelnvilla. Erbaut wurde sie 1793 von dem griechischen Dragoman Chatzigeorkakis Kornesios. Chatzi ist die griechische Umschreibung für das arabische Hadschi, und ein Dragoman ist eigentlich ein Dolmetscher oder Übersetzer. Herr Kornesios lebte wahrlich zwischen den griechischen und türkischen Bevölkerungsteilen Nikosias. Er war der Sohn eines wohlhabenden griechischen Textilhändlers und mit einer Nichte des orthodoxen Erzbischofs verheiratet, aber sein Amt als Dragoman bedeutete auf Zypern erheblich mehr als lediglich die schlecht bezahlten Dienste eines Übersetzers. Der zypriotische Dragoman war der vom Sultan bestallte Steuereintreiber bei den Christen auf der Insel, andererseits besaß er ein direktes Vortragsrecht beim Sultan für Anliegen und Beschwerden der Christen.
Dragoman Hadschi Georkakis Kornesios wußte die Möglichkeiten, die eine solche Position eröffnete, anscheinend “kreativ”, wie man heute sagt, zu nutzen. Jedenfalls war sein einen Arkadenhof umschließendes Haus das prachtvollste der Stadt. Im Garten sprudelte ein Springbrunnnen und verbreitete angenehme Kühle in der Sommerhitze. Es gab ein eigenes Badehaus (Hammam), und über den Dienstbotenräumen im Erdgeschoß lag eine repräsentative Empfangshalle, von der aus man durch einen langen Flur mit einer Flucht von Zimmern in den großen Audienzsaal geführt wurde. Große, mit Jalousien versehene Fenster ließen gedämpftes Licht und Luft ein, und man lagerte auf niedrigen Sitz- und Ruhebänken, um in Ruhe zu erörtern, was es zu besprechen gab.
Leider rufen derart einträgliche Ämter und Wohlstand und luxuriöse Lebensweise fast immer Neider auf den Plan, und im März 1809 soll Herr Kornesios einer Intrige zum Opfer gefallen und auf Befehl des Sultans Mahmud II. in Istanbul enthauptet worden sein.
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