Nach der Abreise aus Wien notiere ich mir unterwegs zum Beispiel:
• Die Frau im Flugzeugsitz neben mir hat ihre Haare in genau demselben Blond gefärbt, in dem sich wohl auch der reife Weizen in ihrer ukrainischen Heimat wiegen wird.
• Später im Zug: in der Wetterau Nebelrauch über schnurgeraden Ackerfurchen. Einmal ein Zaun, der Draht dick in weißen Reif gehüllt. Anhalten wollen; verweilen.
• Die ältere Frau: beige Rentnerschuhe, dunkle Karohose, beige, wattierte Steppjacke, Goldrandbrille vor farblosen Augen, blasse, schlaffe Gesichtshaut, Dauerwelle. Wie wird man zu einem so ausdruckslosen Wesen? Gab es Ereignisse in diesem Leben? Kaum vorstellbar. Und wenn doch, wovon ist diese Frau zurückgetreten, wovon hat sie Abstand genommen, welchen Verzicht hat es ihr abverlangt? Wozu? Aus Bescheidenheit? Um Ruhe und ihren Frieden zu haben? Nichts dergleichen verrät dieses spurenlos leere Gesicht. Vielleicht doch ein Leben, von Friseurterminen interpunktiert?
Dagegen Handke in seinem letzten Interview mit dem in diesem Jahr verstorbenen André Müller:
“Man soll in dem, was ich schreibe, das Dasein spüren, das Leben und den Tod, die Vergänglichkeit und die Unvergänglichkeit. Je schöner und tiefer und wahrer etwas ist, desto schmerzhafter ist es. Es tut doch weh, zu wissen, daß wir sterben müssen, daß wir eines Tages nicht mehr lesen können oder lieben oder Pilze suchen [...] Ein Künstler ist nur dann ein exemplarischer Mensch, wenn man an seinen Werken erkennen kann, wie das Leben verläuft. Er muß durch drei, vier, zeitweise qualvolle Verwandlungen gehen. An Goethe kann man das gut studieren. An Grass kann man überhaupt nichts studieren.”
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“Rette dich nicht ins Denken – das Betrachten ist schwieriger” (P.Handke)
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