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Samstag, 11. Oktober 2008
Ein Volk von Terroristen
Nein, es war einmal nicht von Afghanen, Iranern, Pakistani oder anderen üblichen Verdächtigen die Rede, als Großbritanniens vielgeliebter Premier Gordon Brown gestern öffentlich erklärte, er habe mit dem Ministerpräsidenten eines anderen Landes offene Worte gewechselt und ihm erklärt, was die von ihm geführte Regierung getan habe, sei eine “illegal action”, “completely unacceptable”, “and we are prepared to consider all forms of action”. -
Gestützt auf den Anti-Terrorism Crime and Security Act 2001 ließ Brown tatsächlich umgehend in England investierte Vermögenswerte einer Bank des betroffenen Landes im Umfang von 7 Milliarden britischen Pfund einfrieren. Gordon Browns neuer Schurkenstaat heißt ISLAND.

Hintergrund ist akut die mittlerweile global gewordene Banken- und Finanzkrise, die Island inzwischen schon fast in den Staatsbankrott getrieben hat. Darüber hinaus aber auch der seit langem schwelende Groll der ehemaligen Weltmacht darüber, daß seit Jahren mehr und mehr britische Unternehmen ausgerechnet von Banken und Unternehmern aus dem Zwergstaat am Polarkreis aufgekauft wurden, gegen den das Empire seit 1958 immerhin drei Kabeljaukriege verloren hat.
Seitdem der heutige Notenbankchef Davíð Oddsson als konservativer Premier in dreizehn Regierungsjahren die Wirtschaft Islands radikal neoliberalistisch dereguliert hatte, bedienten sich auch isländische Unternehmer sämtlicher Instrumente, die dem entfesselten Kapitalisten von der Ideologie und Praxis des Turbo- oder Kasinokapitalismus an die Hand gegeben wurden. Die Isländer pumpten sich mit der als gut eingestuften Bonität des isländischen Staats (und seiner prall gefüllten Rentenfonds) Risikokapital, kauften damit europaweit angeschlagene Unternehmen auf, zerstückelten sie und verkauften die lukrativeren Teile wieder mit hohen Gewinnen. 1 Beispiel: Der junge Vorzeige-Tycoon Björgólfur Thor Björgólfsson, der nach einigermaßen undurchsichtigen Geschäften in Rußland mit seinem Vater die privatisierte isländische Landsbanki übernommen hatte und auf der Forbes-Liste der 500 reichsten Menschen der Welt vor Queen Elizabeth II. rangierte, kaufte 2004 die tschechische Telefongesellschaft CR für umgerechnet eine knappe halbe Milliarde Euro und verkaufte sie keine zwei Jahre später für anderthalb Milliarden (vgl. Morgunblaðið, 27.8.06). Zur gleichen Zeit übernahm die isländische Baugur-Gruppe in Großbritannien die Big Food Group, den Spielzeughersteller Hamleys, die Juwelierkette Goldsmiths sowie große Anteile der Modeketten Karen Millen und Whistles. In den Folgejahren kamen noch gewichtige Beteiligungen an Iceland supermarkets, Moss Bros, French Connection, Woolworths, Saks, Whittard of Chelsea, House of Fraser und Oasis hinzu. Damit stieg die isländische Holding zum größten privaten Arbeitgeber von ganz England auf. Icelandair erwarb bedeutende Anteile an der britischen Easy Jet, die KB-Banki, später Kaupthing, Teile der englischen Bankhäuser Singer und Friedlander. Hinzu kamen noch die Supermarktketten Costcutter, Somerfield, Jane Norman und die Slug & Lettuce-Kette. Außerdem ist sie Besitzer der britischen Tochterbank Kaupthing Edge mit mehr als 150.000 Kunden. Wegen der überdurchschnittlich hohen Zinsen, die Kaupthing zahlte, legten auch mehr als 100 britische Kommunen ihr Geld bei der Bank an. Zusammen etwa 1 Milliarde Euro. Von dem, was die Bank an Gewinn erwirtschaftete, kaufte sich ihr Chef Björgólfur Guðmundsson (ja, der Vater von Björgólfur Thor) 2006 für mehr als 100 Millionen Euro aus der Portokasse den englischen Fußballclub West Ham United.
Insgesamt brachten britische Anleger Kapital von annähernd 10 Milliarden Euro bei isländischen Banken unter. Deren Buchvermögen war damit zuletzt fast neunmal größer als das BIP des gesamten Landes.
Doch auch daheim auf der Insel lebte man derweil nicht schlecht - von geborgtem Geld. Kredite nämlich waren problemlos zu bekommen. Neuwagen etwa wurden auf Wunsch zu 100% finanziert. Ähnliches galt für Häuser und Eigentumswohnungen. Das Geld für die Kredite borgten sich die Banken im Ausland.
“Die Nettoauslandsverschuldung Islands wuchs im letzten Jahrzehnt fünfmal so stark wie das BIP und liegt momentan bei 312% des BIPs - 80% davon entfallen auf die isländischen Banken”, weiß der Spiegelfechter. “Die USA haben zum Vergleich nur eine Nettoauslandsverschuldung von 25% des BIPs. Island hat sich über die Jahre zu einer gigantischen Schuldenblase entwickelt, von der die Isländer freilich profitierten. Das Zauberwort der Wikinger-Blase hieß „Carry Trade“. Man leiht sich in einem Land Geld, in dem es Kredite zu sehr günstigen Zinsen gibt – sehr beliebt sind da Japan und die Schweiz. Diese Kredite werden dann von der Zentralbank in die Landeswährung umgetauscht und man bietet ausländischen und inländischen Kunden hochverzinste Anlagen in der einheimischen Währung an, die mit den günstigen Krediten wieder zurückgezahlt werden, während die Einlagen der Kunden investiert werden.”
Jetzt platzte die Blase. Anzeichen dafür gab es schon länger. Schon im April munkelte die Financial Times Deutschland in einem Dossier von bevorstehenden Angriffen von Hedge Fonds auf die isländische Währung. Denn wenn selbst private Konsumenten Kreditverträge in Fremdwährungen abschlossen und das gesamte BIP des Landes gerade mal ausreicht, um etwa 1 Zehntel der Verbindlichkeiten der Banken abzudecken, dann ist die Währung des kleinsten Landes der Welt, das sich freie Wechselkurse leistet, natürlich sehr verwundbar gegen die Angriffe potenter internationaler Währungsspekulanten.
Als jetzt die Finanzkrise den als wackelig eingestuften isländischen Banken jede Möglichkeit abschnitt, sich weiter mit geliehenem Geld zu versorgen, um ihre Verbindlichkeiten bedienen zu können, brauchte es die Attacke der Hedge-Fonds gar nicht mehr. Eines der ehemals so stolzen Privatisierungsflaggschiffe nach dem anderen kroch zahlungsunfähig wieder unter die Fittiche des isländischen Staats. Dieser kann aber die kompletten Ansprüche der internationalen Anleger und Gläubiger, wie oben dargelegt, nicht im Entferntesten rasch befriedigen, und so trat Ministerpräsident Geir Haarde mit einem Entschluß an die Öffentlichkeit, der die Bonität des Landes auf Jahre ramponieren dürfte: Island werde ausländischen Anlegern keine Garantien gegen den Verlust ihrer Einlagen bei den mittlerweile wieder verstaatlichten isländischen Banken geben.
Das war die Ankündigung, auf die Gordon Brown mit seinem Antiterroreinsatz reagierte. Anstelle einer Handvoll skrupelloser Banker erklärte er damit kurzerhand ein ganzes Volk zu Angehörigen eines Terrorstaats. Natürlich ist es auch ein innenpolitischer Schachzug im Kampf um sein politisches Überleben, aber es ist ebenso ein höchst unfreundlicher Akt gegenüber einem Land, das die Briten immerhin in seiner Eigenschaft als langjähriger NATO-Partner und Mitglied in der “Allianz der Willigen” als Verbündeten ansehen müßten, und gegenüber einem kleinen Volk, dessen Angehörige jetzt mit einem dramatischen Rückgang ihres Lebensstandards für das über die Verhältnisse Leben der letzten Jahre drastisch bestraft werden. Die Inflation liegt mittlerweile bei mindestens 15%, die isländische Krone, in der die Isländer nach wie vor entlöhnt werden, befindet sich im freien Fall, für ihre laufenden Kredite in harten Fremdwährungen müssen die Isländer daher nun bald von ihnen nicht mehr aufzubringende Summen aufwenden, der Immobilienmarkt, wenn nicht sogar der gesamte Konsumsektor und vor allem auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln, von denen der absolute Löwenanteil gegen harte Währung auf die kalte Insel importiert werden muß, von einem nahezu vollständigen Einbruch bedroht sind.
Aber Schwierigkeiten anderer Nationen und erst recht deren Gefühle haben das angebliche Mutterland der Fairness noch nie geschert, sobald eigene Interessen im Spiel waren. Und so findet man schon heute beim britischen T-shirt-Versand Spreadshirt eine entsprechend dumpfbackige Kollektion gehässigster Island-Anfeindungen. Mr. Brown kennt offenbar das Gemüt seiner Landsleute und Wähler.

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