Sonntagmorgen um sieben, nein, nicht in Griechenland, aber ein Stückchen weiter südlich als Piran liegt sie schon, die Colonia Pietas Iulia Pola, die dem vielleicht illyrischen Stamm der Histrier nach einer Niederlage im Jahr 177 v.u.Z. von den Römern abgenommen wurde. Die bis heute erhaltenen römischen Prachtbauten, ein dem divus Augustus geweihter Tempel und das Amphitheater, mit Platz für etwa 23.000 Menschen eins der größten, das die Römer je errichteten, stammen aus der augusteischen Kaiserzeit. Nicht nur sie überdauerten das Imperium Romanum, Pula selbst blieb noch mehr als ein halbes Jahrtausend nach dem Untergang des Imperiums (ost-)römisch. Als nach den Goten im 6. Jahrhundert slawische Stämme auf die Halbinsel Istrien einwanderten, konnten sie nämlich das befestigte Pula und andere antike Küstenstädte nicht einnehmen.
Pula blieb bis ins hohe Mittelalter, bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts nominell byzantinisch, faktisch unabhängig. Dann erkannte es vertraglich die Oberhoheit Venedigs an und baute und stellte ihm fortan seine Galeeren für dessen Flotte zur Verfügung, blieb selbst aber trotz seines großartigen Naturhafens in ruhigerem Fahrwasser. Nach dem Ende der Republik Venedig, die sich Habsburg-Österreich im Frieden von Campo Formio 1797 und auf dem Wiener Kongreß einverleibte, hatte das Städtchen nur noch weniger als 1000 Einwohner.
Etwas von dieser Verschlafenheit war noch zu spüren, als wir am Sonntagmorgen in aller Frühe durch die Gassen der Altstadt am Fuß des Stadthügels mit der Festung spazierten. Außer uns waren nur Katzen unterwegs, Stadt und Hafen schliefen noch, Klöppel und Glockenseile hingen schlaff von offenen Gewölbebögen. Manche der alten Häuser wirkten ganz schön baufällig und wenig aufgeräumt. „Wir sind eben wieder einen Schritt näher am Balkan”, kommentierte die Belgrader Vojvotkina.
Die Nase führte uns zu einer Bäckerei, die gerade geöffnet hatte. Nach und nach tröpfelten auch weitere Kunden herein, wie vor 200 Jahren neue Bürger zugezogen waren. Als Österreich infolge des sich anbahnenden Risorgimentos in Italien auf die Suche nach einem neuen Heimathafen für seine von Venedig „übernommene” Kriegsflotte ging, hatte der aus Dänemark frisch angeworbene Marinekommandant Birch Dahlerup das naheliegende Triest ins Auge gefaßt und dessen Ausbau befohlen.
1856 legten der Kaiser und seine Sissi persönlich den Grundstein für ein neues Marinearsenal in Pula. Da hatte der Däne, frustriert von den Hofintrigen in Wien und der von ihm so bezeichneten „Dornröschenschlafkrankheit“ der venezianischen Schiffsbesatzungen, längst seinen Hut genommen, und des Kaisers erst 22 Jahre alter Bruder, Erzherzog Ferdinand Maximilian, war zum Oberkommandierenden der Flotte ernannt worden.
Die Einwohnerzahl Pulas hatte sich durch die Bautätigkeiten bereits versechsfacht. In den folgenden 20 Jahren stieg sie auf 25.000 und verdoppelte sich bis 1910 noch einmal. Pula, heute kaum vorstellbar, war eine Boomtown höchsten Grades geworden. Der Hafen umfaßte inzwischen eine Reede zwischen Festland und der Insel Brioni, Liegeplätze, Arsenale, Werften, Docks, Kasernen, Marineakademie, Hydrographisches Amt mit Sternwarte, die Marinesektion des k.u.k. Kriegsministeriums und vieles mehr, alles gesichert von nicht weniger als 28 Forts rund um die Stadt. Am Ende des Ersten Weltkriegs fiel das alles samt der Flotte und ganz Istrien an die Siegermacht Italien. Pula sank zur Bedeutungslosigkeit herab und lebt, heute kroatisch, zu großen Teilen von Touristen, die von hier aus vor allem Titos ehemalige Sommerresidenz Brioni besuchen. Pula bleiben die bröckelnden Bauten, die Katzen und die barbusige Sirene am alten Rathaus, die offenherzig ein bißchen mehr vorweist als ihre gotischen Alters- und Geschlechtsgenossinnen nördlich der Alpen. Wenn sie nicht so alt wäre, hätte ich sie gern Sissi genannt.
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