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Dienstag, 8. Juli 2014
Unverhofftes Wiedersehen in Tervo

Ein spontaner Anruf genügte, und es kam nach vierzehn Jahren ohne alle Umschweife sofort zu einem Wiedersehen. (So viel, nebenbei, zur Reserviertheit der Finnen.) Auf der letzen Fähre des Jahres nach Island waren wir uns begegnet. Damals setzte sie als Au-pair über, blieb zwei Winter und einen kurzen Sommer und ging dann von der baumlosen Atlantikinsel zurück in die Wälder Finnlands. Ein paar Jahre verbrachte sie in der Arbeiterstadt Tampere, dann kam ein Hilferuf von ihrer Schwester. Die war nach dem Unfalltod des Vaters auf den elterlichen Hof zurückgekehrt, um die allein zurückgebliebene Mutter zu unterstützen, hatte aber zwei heftige Bandscheibenvorfälle erlitten, konnte nichts mehr heben, was sollte aus dem Hof werden? ‟Ich komme”, hatte Annukka geantwortet und war Bäuerin im tiefsten Savo geworden, fünfzig Kilometer hinter Kuopio.
Die Straße nach Tervo ist asphaltiert, aber kaum befahren, einmal wird sie breit wie eine Autobahn ohne Mittelstreifen: Start- und Landebahn für Kampfjets im rückwärtigen Grenzraum zu Rußland. Dann wieder Wald, ein paar schmale Äcker, Wald. Fahren. Alte Blockhäuser als Scheunen am Wegrand. Dann massige schwarze Rinder auf einer Weide, dahinter ein paar hingewürfelte kleine Holzhäuser von unbestimmer Farbe und ein neuer Stall: der Hof.

Annukka kommt aus dem Haus, in Holzfällerhemd und Gummistiefeln, das lange Haar mit einem simplen Gummiband unter einer John-Deer-Mütze zum Pferdeschwanz gefaßt, aber silberne Ohrringe in den Ohren. Sie sprudelt gleich los, wie früher; auf Englisch, auf Schwedisch, dazwischen ein paar Brocken Deutsch, und wenn’s ganz schnell gehen muß, flutscht ein Satz auf Finnisch dazwischen. Besonders nachdem ein schwerer Pickup auf den Hof gerumpelt ist, aus dem die Schwester Minna stieg und sich zu uns gesellte. Drinnen im Haus hat die Mutter einen Imbiss mit dem guten finnischen Roggenbrot vorbereitet. Im Haus ist seit dem Tod des Vaters sicher nichts mehr gemacht worden. Annukka baut sich nebenan ein kleines Holzhaus um, in dem nach dem Krieg eine Flüchtlingsfamilie aus Karelien einquartiert war. Sie hat jetzt ein Bad eingebaut, und einen großen, klobigen Kaminofen, um die zugige Bude im Winter ausreichend warm zu bekommen. Zu mehr reicht das Geld nicht. Der Hof wirft sichtlich kaum mehr als ein bescheidenes bis dürftiges Auskommen ab, zwanzig Angus-Rinder besitzen sie, weitere zwanzig ziehen sie für den Nachbarn auf. Eigentlich zu wenig, um zu dritt davon leben zu können. Milchvieh würde ihnen zu viel Arbeit machen. Drei Frauen allein auf einem Hof, und drei Hunde. Die Mutter ist zu alt, um noch richtig anzupacken, Minna darf und kann nichts Schweres heben, Annukka stemmt die schwere Arbeit auf dem Hof allein. Sie ist sehnig und starkknochig, zwei tiefe Linien um den Mund verleihen ihrem Gesicht die Feinheit von eingegrabenem Schmerz, aber sie ist immer noch lebhaft wie früher, aufgeschlossen, helle, und klar und eindeutig, wie jemand, der seinen Platz im Leben gefunden hat: Ich habe gewählt, mich entschieden; es ist vielleicht nicht das Leben, von dem ich einmal geträumt habe, aber ich versuche, das Beste daraus zu machen, und jetzt ist es gut so, wie es ist. Was sollte ihr die Welt anhaben können? – Ein unvorhergesehenes, gutes Wiedersehen und ein Besuch, der Eindruck auf mich gemacht hat.

Annukka und einer ihrer Jungbullen

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