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Samstag, 21. September 2013
Überraschungen in Split

Von Split wußte ich eigentlich nur, daß es einen leidlich erfolgreichen Fußballklub mit dem seltsamen Namen Hajduk besaß und die Überreste eines ehemaligen römischen Kaiserpalastes enthalten sollte. Da mich historische Gemäuer immer sehr anziehen, wollte ich auf unserer Balkanreise auch Split oder zumindest der Palastruine gern einen Besuch abstatten. Die Herzogin kennt meine Urbanophobie; so nennt sie meine Abneigung gegen zu große Städte (und zu groß ist jede Stadt, deren Ende ich nicht sehen kann). Darum versuchte sie mir Split auszureden. Häßliche, große (!), heruntergekommene, schmuddelige Industriestadt im transitorischen Postjugoslawien. So und ähnlich lauteten ihre mehrfach zur Abschreckung vorgebrachten Warnungen. Mir war Split egal, ich wollte die Ruinen des Palasts von Kaiser Diokletian sehen. Den ehemals nobelsten Alterssitz des Römischen Imperiums.

Diokletian kam vermutlich in der römischen Kolonie Salona zur Welt, gleich neben dem heutigen Split. Er war Dalmatiner aus angeblich einfachen Verhältnissen, der sich in der Armee hochdiente, bis sie ihn zum Kaiser ausrief, der dann aber durch die Einführung der Tetrarchie die Ära der Soldatenkaiser beendete. Seine “Agenda 300" zur Reformierung von Wirtschaft und Verwaltung schuf die Grundlagen für den römischen Zwangsstaat der Spätantike. Unnachgiebig ließ er auch Christen verfolgen, weil ihr Glaube seiner Staatsideologie zuwiderlief. (Er hatte offenbar ein scharfes Auge.) Seinem eigenen Führungssystem treu, trat er als einziger römischer Imperator freiwillig von seinem Amt zurück, akzeptierte die Rente mit 65 und bezog den Palast, den er sich nahe seinem Geburtsort an der Küste Dalmatiens hatte errichten lassen. Dort lebte er noch sieben bis zehn Jahre mit allen Annehmlichkeiten, aber ohne die Pflichten eines Kaisers.

Römische, venezianische und jüdische Architekturelemente in Split

Ich stellte mir ein ziemlich ausgedehntes Trümmerfeld mit ausgegrabenen Ruinen aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts vor. Vielleicht so etwas wie die Konstantinsbasilika in Trier, die nicht viel später erbaut worden ist. Ich hatte ja keine Ahnung, was uns erwartete.

Von wegen Trümmerfeld. Der Palast wird bewohnt. Seit dem Jahr 305 kontinuierlich bis heute. 17 Jahrhunderte hindurch haben sich Menschen darin eingenistet wie Felsentauben und Uferschwalben. Man muß sich das etwa so vorstellen, als wären die im Mittelalter im römischen Kolosseum eingebauten Wohnungen nicht abgerissen, sondern immer wieder umgebaut, erweitert, verkleinert, saniert, in Fluchten für Großfamilien oder zuletzt in Luxusapartments und Lofts für betuchte Singles umgewandelt worden. Der Diokletianspalast in Split ist keine archäologische Stätte oder ein Museum, sondern lebt und brummt wie ein Bienenstock. Es ist phantastisch! Da wurden für die bescheideneren Bedürfnisse nachfolgender Generationen unbekümmert gewaltige Portale verkleinert, Säulengalerien in mehrere Wohnetagen unterteilt, zugemauert und in die neuen Wände putzig kleine Fenster gebrochen. Die lange mit Bauschutt und Abfall verfüllten Kellergewölbe wurden wieder ausgeräumt und beherbergen heute eine Art Touristenmarkt mit vielen Kunstgewerbegalerien und (kitschigen) Andenkenständen.

Auf einen Teil der Palastmauer hat jemand, leicht zurückversetzt, ein Stockwerk draufgebaut, und nutzt die Mauer als fast herrschaftlichen Balkon, von dem aus er das unaufhörliche bunte Treiben unten beobachten kann, denn der Südwand des Palasts, ehemals unmittelbar am Wasser stehend, ist heute der breite Uferboulevard, die Riva, vorgelagert, der die Flaniermeile der Stadt darstellt. Hier trifft sich abends nach dem Abklingen der großen Tageshitze alles, was sehen und gesehen werden will. Außerdem legen hier die zahllosen kleinen und größeren Fähren an, die die vorgelagerten Inseln wie Brač und Hvar ansteuern, und daher lagern auch stets Gruppen gut gelaunter oder unausgeschlafen bis verkatert auf ihr Schiff wartender junger Rucksacktouristen in den Rabatten.

Der Palast bildet eine heute höchst verwinkelte Stadt in der Stadt, seine Mauern sind eine Art organischer Zellmembran, durch die Leben in die umgebende Altstadt (überwiegend aus dem 19. Jahrhundert) ein- und ausgeht. Auf einer Empore im hohen Peristyl spielen sehr junge Musiker sehr schöne Kammermusik, und die Besucher des ehemaligen Jupitertempels oder von Diokletians Mausoleum (gab es vielleicht noch 200 Jahre nach seiner Errichtung das Vorbild für Theoderichs Mausoleum in Ravenna ab?) setzen sich auf die umlaufenden hohen Stufen und hören zu, bis tiefere Bässe eines anderen Ereignisses dazwischenwummern: Auf dem an drei Seiten geschlossenen Platz zwischen den Kolonnaden der sogenannten Prokurative aus k.u.k. österreich-ungarischen Zeiten findet am Abend ein bis in die Nacht dauerndes Rock- und Blues-Festival statt. Eintritt frei für alle.

Es beweist sich wieder einmal die triviale Wahrheit: Überraschen kann nur das Unerwartete. Da hat sich die Frau an meiner Seite, die selbst Städte liebt, mir zuliebe alle Mühe gegeben, mir Split zu ersparen, und sogar schon Quartiere irgendwo weit draußen an der Küste organisiert, da läuft der verhinderte Waldschrat, mit dem sie liiert ist, mitten in dieses wimmelnde Gewusel hinein, und anstatt agoraphobe Anfälle zu kriegen, findet er’s einfach nur toll. “Wollen wir nicht hier bleiben?”, fragt er zur grenzenlosen Verblüffung der Frau mit Sternchen in den Augen. “Meinst du nicht, wir könnten hier, kurzentschlossen, noch ein Zimmer finden?”
Wir können. Biegen lediglich um zwei, drei Ecken außerhalb der Palastmauern und entdecken an einem, zugegeben, äußerlich nicht sehr einladenden Mietshaus ein Schild mit der Aufschrift “Apartmani”. Drinnen begrüßt uns eine freundliche junge Kroatin in einer gerade frisch renovierten Altbauwohnung, Parkett, Bad und Einrichtung so neu, daß unser Bett für die Nacht erst noch angeliefert und aufgebaut werden muß. Kein Problem, wir stürzen uns derweil wieder ins Getümmel, nehmen einen Sundowner auf der Riva, finden eine richtig leckere Pizzeria mit Holzofen und großer Terrasse und hören uns hinterher schön bluesigen Rock unter dem lauen Nachthimmel von Split an. Diese Stadt swingt und vibriert vor Leben.

Split, Riva

Mit diesem in mehrfacher Hinsicht überraschenden und überraschend-schönen Ausklang endet der ausgeuferte Bericht unserer Reise durch das ehemalige Jugoslawien.

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