Vor der Errichtung der Staudämme lag der Wasserspiegel der Donau in diesem Abschnitt ihres Laufs einige Meter tiefer. Da gab es im Bereich der steinernen Barriere, durch die sich der Fluß sein Bett graben mußte, mehrere Stromschnellen, auf Serbisch vir. Solche verblockten Stellen schränken die Ausweichmöglichkeiten für Fische in dem ohnehin schmalen Flußbett zwischen den Bergen weiter ein; mit einfachen Methoden sind sie dort leichter zu fangen als da, wo der Fluß breit dahinströmt.
Als Mitte der Sechziger Jahre jugoslawische Archäologen vor Beginn der Dammbauarbeiten die zu flutenden Ufer des Eisernen Tors absuchten, wurden sie auf halbem Weg durch das enge Durchbruchtal fündig: Auf einer schmalen Lößterrasse über den Katarakten von Lepinski vir, zwischen Hochwasserlinie und den steilen Bergen, entdeckten sie neben den Resten eines römischen Wachturms Spuren sehr viel älterer menschlicher Besiedlung aus der Steinzeit. Bei genauerer Untersuchung und ersten Grabungen stießen die Forscher unter diesen neolithischen Siedlungsspuren, die sie der in diesem Raum beheimateten Starčevo-Kultur zuschrieben, auf noch ältere Siedlungsschichten mit Resten einer bis dahin völlig unbekannten und bis heute singulär gebliebenen Kultur. Achteinhalbtausend Jahre vor unserer Zeit haben sich an dieser Stelle Menschen niedergelassen und sind für zwei Jahrtausende geblieben – eine dauerhafte Siedlung deutlich vor dem bisher angesetzten Beginn der neolithischen Revolution in Europa.
Die Möglichkeiten, sich an diesem windgeschützten und klimatisch begünstigten Ort stets ausreichend mit Fisch aus der Donau zu versorgen, müssen einfach zu gut gewesen sein, um weiterzuwandern. (Die Auswertung der Knochenfunde hat ergeben, daß sich die Bewohner in der Mittleren Steinzeit zu mindestens 60 Prozent von Fisch ernährt haben. In der Jungsteinzeit wurden dagegen mehr Wild und Haustiere verzehrt.)
Möglicherweise hat man den Fluß (oder seinen Geist) sogar anthropomorphisiert und kultisch verehrt. An den Kopfseiten der mit senkrechten Steinplatten eingefaßten Herdstellen im Inneren der damaligen Behausungen standen auf flachen Sockeln über einem bereits aus Kalkmörtel hergestellten Estrich mehr als halbmetergroße Steinskulpturen: stilisierte Menschenleiber mit runden Köpfen, Glupschaugen und fischmäulig herabgezogenen, offenen Mündern. Keiner weiß mehr, wen oder was sie darstellen sollten.
Leider läßt sich diese einzigartige Fundstätte aus der Frühzeit der Besiedlung Europas nicht besichtigen. Es gibt sie nicht mehr.
Bald nach dem Abschluß der Grabungen stieg das Wasser der Donau infolge der neuen Staudämme und überflutete auch die Erdterrasse am Lepinski vir. Die Artefakte waren jedoch alle geborgen worden und fanden in einer Rekonstruktion des Originalstandorts etliche Meter hangauf einen neuen Platz. Es ist im Prinzip ein bißchen so wie in Altamira; sehr naturgetreu gemacht, aber eben doch nur nachgemacht, eine Replik, nicht das Original, was man als Besucher heute zu sehen bekommt.
Als wir am westlichen Donauufer entlang auf Lepinksi vir zufuhren, braute sich oben ein Gewitter zusammen. Bald zuckten die ersten Blitze, es knallte ganz gewaltig, und der Donner rollte zwischen den Bergwänden mächtig verstärkt hin und wieder. Dann begann es zu schütten. Wir rannten vom Parkplatz durch niederstürzenden Regen zu dem hohen, rettenden Glasdach, das sich heute über die “Fundstelle” und das Museum spannt, und waren froh, darunter Schutz zu finden. Nicht nur wir. Zwar waren wir fast die einzigen menschlichen Besucher, aber um ein wenig die Hitze herauszulassen, die sich unter der vorhergehenden Sonneneinstrahlung in der hohen Halle angestaut hatte, waren sämtliche Fenster weit geöffnet, und offenbar hatten auch viele, viele Insekten aus den umgebenden Wäldern keine Lust, sich naßregnen zu lassen. Überall in der Halle summte und brummte und schwärmte es, und in Ermangelung von Bäumen ließen sich viele geflügelte Besucher auf den weißen Bodenfliesen nieder.
(Mit Schmetterlingen kenne ich mich leider gar nicht aus. Könnte mir darum bitte jemand, der die hier abgebildete Art kennt, ihren Namen verraten?)
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