Ganz sicher hat Belgrad einmal bessere Zeiten erlebt als diese. Nur ist davon nicht mehr viel zu sehen. Als wir uns mit der befreundeten Autorin Spomenka K. “am Pferd” treffen, wie die Belgrader sagen, wenn sie das bronzene Reiterstandbild ihres Knez Mihailo auf dem Platz der Republik meinen, wirft sie einen resignierten Blick auf das Nationalmuseum dahinter. In sämtlichen Fenstern seiner pompösen, aber angegammelten Fassade aus dem 19. Jahrhundert sind die Rolläden herabgelassen. Spomenka macht mir Besucher das Ausmaß der Misere mit einem Satz deutlich: “Bald werden wir so weit sein, auch noch Stolz in die Feststellung zu legen, dass alle unsere wichtigen Museen seit zwanzig Jahren geschlossen sind”, seufzt sie.
Wir spazieren über den langgestreckten Waageplatz (Terazije) am Hotel Moskva vorbei, erbaut 1906 im Wiener Sezessionsstil und lange das nobelste Hotel Jugoslawiens am zentralen Platz der Hauptstadt. Seine Eröffnung war ein Staatsakt, der vom König persönlich vorgenommen wurde.
Das Moskva hat im Gegensatz zu anderen Prachtbauten entlang der Straße beide Weltkriege (im Zweiten diente es als Hauptquartier der Gestapo) und etliche Restaurierungen überlebt und war danach Treffpunkt führender Künstler. Der jugoslawische Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić hatte seinen eigenen, für ihn reservierten Tisch im bekannt guten Restaurant des Hotels.
Bald biegen wir in die Nemanjina ein, die vom Slavica-Platz hinab zum Hauptbahnhof und zur Save führt. An ihr liegen mehrere Ministerien, und hier steht auch noch immer mahnend im Zustand der Beschädigung das ehemalige Gebäude des Generalstabs, das 1999 von der NATO bombardiert wurde. Die Fassade klaffend aufgerissen, Geschossdecken durchschlagen, das Treppenhaus über mehrere Etagen eingestürzt, sieht es, wenn man seine Vorgeschichte nicht kennt, wie ein Bürohaus aus, dessen Abbrucharbeiter gerade in die Mittagspause gegangen sind.
Zwischen den öffentlichen Gebäuden stehen fünf- oder sechsgeschossige Altbauten aus der Vorkriegszeit, die Fassaden, wo der Putz nicht bröckelt, dunkelgrau von den Schlieren der Autoabgase. Renovierungsbedarf: erheblich und dringend. Im Inneren aber befinden sich sehr weitläufige und geräumige Wohnungen für das ehemalige städtische Großbürgertum.
Eine von ihnen besuchen wir. Hohe Decken und große Fenster, die viel Licht einlassen, wenn die Jalousien geöffnet sind. Ganze Zimmerfluchten, mit breiten Schiebetüren zu öffnen, mehrere Flure, altes Eichenparkett in den Zimmern, echter Terrazzofußboden im Bad und in der Küche, dahinter nicht nur eine Speisekammer und ein Hauswirtschaftszimmer, sondern auch noch eine kleine Schlafkammer für das Dienstmädchen. Alles hier ist noch im Originalzustand der Dreißiger Jahre. Der verdiente Widerstandskämpfer und Publizist, dem die Wohnung nach dem Krieg zugewiesen wurde, hat auch die Einrichtung übernommen und sie, abgesehen von ein paar Hausgeräten, bis zu seinem Tod nie erneuert. Ein bewohntes Museum bürgerlicher jugoslawischer Alltagskultur.
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