Als “Mutterhöhle der Eisenbahn”, wie Walter Benjamin, treten uns Bahnhöfe kaum noch entgegen. In den Niederlanden ähneln sie immer mehr hektischen und überfüllten Einkaufsmalls mit Gleisanschluß im Keller, und in Deutschland sind die Zeiten längst vorbei, in denen man für Millionen Goldmark (aus Reparationsleistungen) prachtvolle Kathedralen für die Eisenbahn und ein Zeitalter der Moderne errichtete wie den Anhalter Bahnhof in Berlin, von wo man “zu Kaisers Zeiten” nach Istanbul oder via Direktverbindung nach Neapel, zu Schiff weiter nach Alexandria und von dort wieder per Bahn nach Kairo und Khartum reisen konnte. Höchstens "schüchtern und verstaubt", glaubte Joseph Roth 1924 in seinem Bekenntnis zum Gleisdreieck, würden "die zukünftigen Gräser zwischen metallenen Schwellen blühen".
Nicht nur mit dem Anhalter Bahnhof ist es anders gekommen. Aus vielen, vielen Bahnhöfen wurden nur noch “Haltepunkte” ohne Gebäude und Personal, während die Bahn Millionen Steuergelder für ungeeignete Neubauten à la “Stuttgart 21" im Untergrund versenkt. Auf den Brachflächen des Berliner Gleisdreiecks zählte die Berliner Behörde für Landschaftspflege schon vor dreißig Jahren mehr als 400 Pflanzenarten, die keineswegs schüchtern zwischen den ehemaligen Schwellen wuchsen und wie die sonst nur in Süddeutschland vorkommende, wärmeliebende Steinweichsel oder Felsenkirsche sechs bis zehn Meter in die Höhe schossen. Wer heute mit der Bahn durch Deutschland fährt, sieht doch immer wieder von Goldrute, Birken, Knöterich und Waldreben überwucherte stillgelegte Gleisanlagen. Natur auf dem Rückeroberungsvormarsch. Und siehe, es ist gut so.
“Unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschließen. Da kam der Film das iPhone und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daß wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen.”
(Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 499)
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