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Donnerstag, 21. Februar 2013
D.H. Lawrence

Ich sage es gleich, ich halte nicht sehr viel von David Herbert Lawrence. Lady Chatterley’s Lover ist ein Schmachtschinken und seine Reisebücher, nun ja, die Etruscan Places habe ich irgendwann zur Seite gelegt, und in Sea and Sardinia geht mir der dauerexaltierte Ton auf die Nerven. Aufregung aber nicht aus Begeisterung, sondern aus Ablehnung. Man fragt sich, warum der Kerl, seine arme Frau im Schlepptau (eine entfernte Verwandte Manfred von Richthofens übrigens), überhaupt nach Sardinien gereist ist; und man findet eigentlich bloß die Antwort, weil er Sizilien, den Ätna und vor allem die Sizilianer noch schlimmer fand:
“das stumpfste Volk der Erde”, “bar jeden Gefühls”. Einerseits.
“So entsetzlich leibhaft miteinander. Da ergießt sich einer über den andern wie zerlassene Butter über Pastinaken.” Andererseits. Und wo Lawrence schon außer Rand und Band beim Verdammen in Bausch und Bogen ist, gleich auch Italien in toto:
“so sanftmütig wie gekochte Makkaroni.”

Sardinien gefällt ihm erst ab dem Augenblick, in dem er plötzlich zu erkennen meint: “das war Cornwall”.
Es geht doch nichts über merry old England. Wiedererkennen, anheimeln ist eben der höchste Genuß des Touristen. “Niagara? Hat mich gleich an unser Schaffhausen erinnert.” Man kennt solche Sprüche. “Et fählt bloß vom Balkon die Aussicht op dä Dom.”
Sardinien “war so ähnlich, daß meine alte Sehnsucht nach keltischen Landschaften in mir wach wurde... viel hinreißender, aufrührender als der liebliche Glanz von Italien”. Einerseits. Doch er liebt die “Rundungen” von Granit in den “keltischen Landschaften”, “und ich hasse die ausgezackte Dürre des Kalksteins”. Andererseits. Ja, was denn nun?
Die Emphase seiner Ablehnung läßt den Erzähler völlig widersprüchliche Urteile zusammenklauben, wie sie ihm impulsiv gerade einfallen, als wüßte er nicht mehr, daß er drei Seiten vorher genau das Gegenteil behauptet hat. Bei einem überlegten Schriftsteller ist solche Widersprüchlichkeit nicht unbeabsichtigt, sondern stilisiert, Stil und letztlich Pose: Seht her, was für ein komplexer, sogar in sich widersprüchlicher Geist ich doch bin!
In dieser Pose läßt sich Lawrence zu Sätzen hinreißen, die selbst in Anbetracht der anderen Zeitläufte, Ansichten und Redeweisen damals zwischen den Weltkriegen, den, der sie äußert und auch noch auf Papier druckt, auf ewig verdächtig machen. Vehement widerspricht er im Vorübergehen der Abschaffung der Todesstrafe: “ein großer Fehler.” “Wäre ich Diktator würde ich den Älteren sofort hängen lassen... weil der sichere Herzensinstinkt einen Mann als übel erkennt, würde ich diesen Mann vernichtet haben.” Lukaschenko & Spießgesellen könnten es nicht besser ausdrücken.
Aber wichtiger ist ihm eine andere, daraus resultierende Frage: Wo gibt es überhaupt noch Männer?

“Mit Schrecken begreift man, daß die männliche Rasse in Europa fast ausgestorben ist. Da gibt es nur noch Helden nach dem Vorbild Christi und Frauenverehrer wie Don Juan und gleichheitswütigen Barbaren. Den alten, harten, unzähmbaren, männlichen Schlag gibt es nicht mehr. Seine stolze Eigenheit wird erdrückt. Die letzten Funken verglühen in Sardinien und Spanien. Und übrig bleibt das Herden-Proletariat und die Herden-Gleichheit der Mischlinge”.

Das ist mir vielleicht ein Brüderle.

Nun könnte man diesen D.H. Lawrence natürlich einfach in die Literaturgeschichte entsorgen und dem großen Vergessen darin überlassen, wenn der Kerl nicht manchmal Sätze in den Raum stellte wie Monolithe. Da stehen sie so vollendet, daß man kein Jota daran ändern will und kann. Das merkt man spätestens, wenn man sie einmal mit ihren Übersetzungen vergleicht, wie es Hans-Ulrich Treichel in seinem Sardinien-Buch mit dem ersten Satz von Lawrence tut. “Es überkommt einen – man muß reisen”, hat Georg Goyert übersetzt. Das ist ein Satz, untadelig, aber kein Monolith. Das Original schlägt man auf, und da steht einleitungslos und herrlich anti-pascalsch:

“Comes over one an absolute necessity to move.”

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