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Dienstag, 29. Januar 2013
Isländische Sturheit triumphiert

Unorthodoxe Dickschädel, das müssen ja schon die ersten Menschen gewesen sein, die sich unter den harten Bedingungen des frühen Mittelalters entschlossen, ausgerechnet ins kalte Island auszuwandern. Die Isländersagas erzählen bekanntlich mit Vorliebe von solchen Dickschädeln. Und Eigensinnigkeit wird in Island mit einem nachsichtigen bis spitzbübischen Grinsen bis heute als nationale Charaktereigenschaft angesehen. Sie hat die Isländer immer wieder befähigt und bewogen, Dinge ganz anders anzugehen, als man von ihnen erwartete oder es ihnen vorschreiben wollte.
Jüngstes Beispiel war der Zusammenbruch der isländischen Banken in der Finanzkrise 2008. Damals lag das ganze Land am Boden, die Volkswirtschaft drohte zu kollabieren, und wie immer in solchen günstigen Lagen traten die Neoliberalen von IWF, Weltbank und EU, die notorisch bekannte Troika, in Köln auch bekannt unter dem Namen “Närrisches Dreigestirn” oder “Die Drei von der Bankstelle” (sorry), sogleich mit ihren selbstlosen gutgemeinten Ratschlägen auf den Plan und verschrieben mit der gleichen nicht lernfähigen Dummheit wie Ärzte in früheren Jahrhunderten, der Patient müsse erst einmal kräftig zur Ader gelassen werden.
Der isländische Patient aber war eben ein Sturkopf und tat so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was das international erfahrene Ärzteteam verordnen wollte. Mit dem bekannten Resultat, daß sich die isländische Volkswirtschaft sehr viel schneller erholt hat, als ihr je ein Experte damals zugetraut hätte. Sie wuchs im letzten Jahr um 3%, die Arbeitslosigkeit liegt bei vergleichsweise moderaten 5%.
Eine, wenn nicht die wichtigste Maßnahme der Isländer bestand darin, ihre zuvor privatisierten und durch Spekulationsgeschäfte marode gewordenen Banken eben nicht zu retten, sondern sie allesamt bankrott gehen zu lassen. Und heute? Heute geht sogar ein erzkonservativer und -marktliberaler Sender wie Fox News hin und befragt den Präsidenten Islands auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, wie, um alles in der Welt, diese erstaunlichen Isländer denn dieses exzeptionelle Wunder hinbekommen hätten.


Das Erste, was Ólafur Ragnar den Amerikanern erklärt, ist, daß er nie verstanden habe, warum Banken die heiligen Kühe (eigtl. Kirchen) der modernen Wirtschaft seien. “Wir schafften eine ziemlich bemerkenswerte Erholung, indem wir entgegen den etablierten orthodoxen Ansichten vorgingen, die in den USA und Europa vorherrschen.” Peng! Satte präsidiale Ohrfeige von einem Zwergstaat für die führenden ökonomischen Weltmächte.
Und gleich noch eine hinterher an die Adresse ihrer doktrinären “Wirtschaftsweisen” und zweier europäischer Nachbarländer Islands, an Großbritannien und die Niederlande: “Diese Banken waren Privatunternehmen, die ihre Vorstände und Aktienbesitzer belohnten. Warum sollte, als sie scheiterten, der Steuerzahler den Preis dafür bezahlen und die Lasten tragen?”
Das war natürlich ein Statement in Sachen Icesave, der kollabierten isländischen Bank mit Ablegern in den beiden Ländern. Die Isländer weigerten sich eben mit Ólafur Ragnars Argument seit 2008 und bis heute, einen Rechtsanspruch der ausländischen Anleger, die beim Zusammenbruch der Bank ihr Vermögen verloren hätten, wenn ihre eigenen Regierungen nicht eingesprungen wären, auf Entschädigung anzuerkennen.
Die englische und die niederländische Regierung versuchten nahezu alles, um sich das Geld von den isländischen Steuerzahlern zurückzuholen, doch die stimmten in Referenden, die übrigens Ólafur Ragnar Grímsson auf Druck der Straße initiiert hat, zweimal entschieden dagegen.
Holland und England drohten und erpreßten vereint, ihr Veto gegen einen damals gewünschten Beitritt Islands zur EU einzulegen. “Wir werden die Isländer so oder so wissen lassen, daß wir unser Geld zurückwollen, und wir werden es auch kriegen”, schäumte der niederländische Finanzminister Wouter Bos öffentlich im Fernsehen, und der damalige englische Premier Gordon Brown brachte sogar Antiterrorgesetze gegen Island in Anschlag. Die isländischen Dickköpfe blieben stur. Daraufhin verklagten Großbritannien und die Niederlande Island schließlich vor dem EFTA-Gerichtshof in Luxemburg. Der hat nun vorgestern in seinem Urteil Island von allen Anklagepunkten freigesprochen. Wie titelte die taz: “Reykjavíks Sturheit zahlt sich aus”. “London und Den Haag müssen nun die Gelder abschreiben [und] erleiden darüber hinaus einen schweren Prestigeverlust.” Nach etlichen verlorenen Kabeljaukriegen kann sich das stolze Albion (noch dazu im Bündnis mit der Wirtschaftsmacht der Vereinigten Niederlande) einmal mehr nicht gegen das kleine Island durchsetzen.

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