Dafür, daß es momentan wohl der brisanteste Konfliktherd weltweit ist, hört man in unseren Nachrichten in letzter Zeit verdammt wenig aus Syrien und seinen Nachbarländern. Nicht einmal der notorische Großdemagoge Achmadinedschad ist mehr zu vernehmen. Ist er ein halbes Jahr vor der Wahl eine “lame duck” wie amerikanische Präsidenten ohne Wiederwahlmöglichkeit? Was ist los im Iran? In einem Land, dem alle eine Schlüsselrolle in Syrien zumunkeln, über dessen innere Verhältnisse wir durch unsere westlichen Berichterstatter aber seit so langen Jahren schon so herzlich wenig erfahren. Ein Land, in dem nach dem Bild, das sie uns vermitteln, so gut wie alles unter der Burka oder den braunen Kaftanen der schiitischen Mullahs verdeckt oder erstickt wird. So hört man immer wieder von Greuelurteilen, nach denen Frauen und (in geringerer Zahl) Männer, die fremdgegangen sind, zum Tod verurteilt und barbarisch gesteinigt werden.
Umso mehr rieb man sich die Augen, wenn man sich letzte Woche auf arte den Film der Iranierin Sudabeh Mortezai “Im Basar der Geschlechter” ansah und daraus erfuhr, daß es in dieser atavistischen Rechtssprechung zugleich die völlig legale Institution der “Ehe auf Zeit” gibt, die beliebig oft auf jede beliebige Länge abgeschlossen werden kann, von 99 Jahren bis hinab zu einer halben Stunde. Der klingende arabische Terminus nikah al-mut’a bedeutet schlicht und klar “Genußehe”. – Wie schräg/bigott/heuchlerisch/pragmatisch ist das denn? Bedeutet das nichts anderes als die theologische Sanktionierung von Prostitution durch den schiitischen Klerus? Keineswegs, sagen die Mullahs und Ayatollahs im Film, denn eine Frau muß nach jeder Zeitehe mindestens zwei Monatsblutungen abwarten bis zur nächsten. (Damit es im Fall von Nachwuchs keine unklare Vaterschaft gibt, versteht sich. Für Männer gilt die Wartezeit nicht.) Außerdem hat der Mann jeweils den vollen Brautpreis – in Relation zur vereinbarten Dauer der Ehe – zu zahlen. Nähere Bestimmungen lassen sich auf vielen Seiten im Internet nachlesen. Vermutlich war bloß ich so ahnungslos – und deshalb auch so verblüfft über diese anscheinend völlig normale Institution im Iran, über die sich Männer und Frauen und Geistliche im Film in aller wünschenswerten Offenheit äußern. Iran, das unbekannte Wesen.
Nun aber Syrien. Seit dort vor mehr als einem Jahr der offene Bürgerkrieg ausbrach, wurden wir – anfangs fast allabendlich – mit verwackelten Filmchen aus den Handys der Aufständischen über Greueltaten der syrischen Armee, Offensiven und Eroberungen der Rebellen versorgt, denn Assad, klar, ist der Böse. Angesichts dessen, was man hier in Erfahrung bringen konnte, und bei der anfänglichen Kräfteverteilung konnte daran auch kaum Zweifel aufkommen. Wie es zunächst aussah, wurden da doch ausschließlich nahezu unbewaffnete Demonstranten von der Armee eines Diktators zusammenkartätscht. Außerdem wird das Regime Assads ja von anderen “Bösen” unterstützt: von der Volksfront zur Befreiung Palästinas, von der Hisbollah im Libanon, vom Iran und von Rußland.
Im März 2012 warf Human Rights Watch dann aber den Rebellen begründet vor, ihrerseits Gefangene zu foltern, Lösegelder zu erpressen und willkürlich Erschießungen vorzunehmen. Die Lage sei inzwischen “wesentlich unübersichtlicher”, entschuldigte gewissermaßen der Spiegel. “Zudem haben sich in den Provinzen inzwischen Dutzende kleiner, unabhängiger Milizen gegründet, deren Handeln sich jeder Kontrolle entzieht und zumindest in Teilen von Rachegelüsten und lang gehegtem Hass aufs Regime bestimmt wird.”
Die Formulierung “Dutzende kleiner, unabhängiger Milizen” klingt fast verharmlosend, wenn man sich einmal anschaut, welche “Koalition der Willigen” die USA in diesem Fall zusammengebracht haben, um wieder einmal Freiheit und Demokratie und Menschenrechte und sonst nichts in ein armes unterdrücktes Land des Nahen oder Mittleren Ostens zu bringen.
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