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Samstag, 21. Januar 2012
Leben wie ein Wilder
Mit 17 ging er zur See, mit 22 hatte er sich an der Börse ein kleines Vermögen zusammenspekuliert, mit 33 alles verloren und einen Bankencrash hinter sich. Vielleicht aus Trotz bekamen er und seine Frau im gleichen Jahr noch ein fünftes Kind. Im nächsten ließ sie ihn verarmt zurück und zog mit den Kindern in ihr Heimatland. Er folgte ihr, blieb ein halbes Jahr arbeitslos und ohne Einkünfte, kehrte dann völlig abgebrannt nach Hause zurück. Einem Freund schrieb er: “Der schlimmste Kannibale ist nichts im Vergleich mit einem dänischen Vermieter.”

Er hatte von dort kaum mehr als die Kleider, die er am Leib hatte, mitgenommen. Sie wurden vom ewigen Tragen immer fadenscheiniger. Er sah aus wie ein Landstreicher, trug aber einen protzigen falschen Ring am Zeigefinger und ein hochfahrendes Wesen zur Schau, das jeden brüskierte. Dabei verdiente er sein einziges Geld mit dem Austeilen von Reklameflugblättern. Wochenlang aß er höchstens trockenes Brot und Reis, zeigte deutliche Spuren von Mangelernährung. Ebenso der kleine, sechsjährige Sohn, den seine Frau ihm als einziges von den Kindern mitgegeben hatte. Als der Kleine im Winter ernsthaft krank wurde, hatte er nicht einmal das Geld, mit ihm zum Arzt zu gehen.
An diesem Tiefpunkt beschloß er, sein Leben zu ändern und, nachdem er in allen bürgerlichen Karriereversuchen gescheitert war, etwas Vernünftiges zu werden: Künstler.

Doch was konnte man dem von kreativen Innovationen übersättigten und an Motiven und Sujets ausgesaugten Paris noch als neu und interessant offerieren? Das Ferne und Exotische natürlich, das Fremde und ganz Andere. So jedenfalls dachte er, weil ihm das alte, verknöcherte Europa mit seiner durch Geld die Welt beherrschenden Bourgeoisie ohnehin zum Hals heraushing (und ihm keine neue Chance auf einen Aufstieg mehr gab). Seit langem träumte er den alten Aussteigertraum vom einfachen Leben jenseits der Zivilisation in einem tropischen Garten Eden, wo man sich nicht in entfremdeten Arbeitsprozessen ausbeuten lassen mußte, sondern von den süßen Früchten leben konnte, die an den keinem und allen gehörenden Bäumen wuchsen.
Mit 38 schrieb er seiner Frau aus heiterem Himmel ins winterkalte Kopenhagen:
“Ich gehe nach Panama, um wie ein Wilder zu leben.”

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