Samstag, 14. Januar 2012
B.C. “Kompass ohne Nadel”
“Does anyone read Bruce Chatwin these days?” fragte Blake Morrison schon im September 2010 im Guardian. “His friend and biographer Nicholas Shakespeare reports a conversation in Australia in 2001, when a young journalist asked: "Who was Bruce Chatwin?" And another generation has since emerged who are even less likely to have heard of him.”
So dachte ich auch, und was brachte meine Lieblingsfrühstückssendung im Radio heute morgen? Den Bericht von einem Besuch bei Chatwins jetzt 73jähriger Witwe Elizabeth in ihrem Haus “Homer End” in Oxfordshire, wo sie seit Mitte der Achtziger Black-Welsh-Mountain-Schafe züchtet, also schon in einer Zeit, in der ihr Mann noch sehr agil durch die Weltgeschichte reiste. 2010 hat sie gemeinsam mit seinem Biografen Nicholas Shakespeare Chatwins Briefe herausgegeben. Ob sie Shakespeare damals gesagt hat, was sie heute im Radio von sich gab? Sie findet seine Biografie mißraten, weil die Person darin nicht Chatwin sei.
Angesichts einer solchen Naivität versteht man vielleicht schon etwas besser, warum Chatwin fast immer ohne sie auf Reisen ging. Oder man versteht trotz Shakespeares wohlmeinenden Erklärungsversuchen noch weniger, warum die beiden, der mondäne Luxus-Nomade und die Schafbäuerin, überhaupt miteinander verheiratet waren. Doch gehörte wohl eine gehörige Portion schäfischen Stoizismus’ dazu, mit einem Typen wie Chatwin verheiratet zu sein – und auch noch seine Briefe zu edieren, in denen sie z.B. über sich lesen kann, wie sehr sich ihr Mann darauf freute, in der Provence Besuch von Filmemacher James Ivory zu bekommen, während er ihr lediglich schrieb, ihm gingen die frischen Hemden aus, sie solle welche schicken. Gleichzeitig schrieb er an Ivory: “Der Pferdefuß ist, daß Mrs C auch nach Frankreich kommen will.”
Die beste Besprechung der Briefausgabe erschien in der Harvard Review, und darin fragt Laura Albritton sehr zurecht: “The question one should ask about any writer’s letters is: Does exposing private documents, never intended for the general public, reveal something central about the writer’s process or the man himself? In other words, does the violation of privacy somehow become justified by the contribution such letters make to Literature?” Und sie antwortet selbst sehr höflich zurückhaltend: “In the case of Under the Sun, the answer is not entirely clear.” - In other words, the answer is very clear. Ich schätze Chatwins Prosastil in seinen Büchern sehr. Aber ich glaube nicht, daß ich seine gesammelten privaten Briefe lesen werde.
So dachte ich auch, und was brachte meine Lieblingsfrühstückssendung im Radio heute morgen? Den Bericht von einem Besuch bei Chatwins jetzt 73jähriger Witwe Elizabeth in ihrem Haus “Homer End” in Oxfordshire, wo sie seit Mitte der Achtziger Black-Welsh-Mountain-Schafe züchtet, also schon in einer Zeit, in der ihr Mann noch sehr agil durch die Weltgeschichte reiste. 2010 hat sie gemeinsam mit seinem Biografen Nicholas Shakespeare Chatwins Briefe herausgegeben. Ob sie Shakespeare damals gesagt hat, was sie heute im Radio von sich gab? Sie findet seine Biografie mißraten, weil die Person darin nicht Chatwin sei.
Angesichts einer solchen Naivität versteht man vielleicht schon etwas besser, warum Chatwin fast immer ohne sie auf Reisen ging. Oder man versteht trotz Shakespeares wohlmeinenden Erklärungsversuchen noch weniger, warum die beiden, der mondäne Luxus-Nomade und die Schafbäuerin, überhaupt miteinander verheiratet waren. Doch gehörte wohl eine gehörige Portion schäfischen Stoizismus’ dazu, mit einem Typen wie Chatwin verheiratet zu sein – und auch noch seine Briefe zu edieren, in denen sie z.B. über sich lesen kann, wie sehr sich ihr Mann darauf freute, in der Provence Besuch von Filmemacher James Ivory zu bekommen, während er ihr lediglich schrieb, ihm gingen die frischen Hemden aus, sie solle welche schicken. Gleichzeitig schrieb er an Ivory: “Der Pferdefuß ist, daß Mrs C auch nach Frankreich kommen will.”
Die beste Besprechung der Briefausgabe erschien in der Harvard Review, und darin fragt Laura Albritton sehr zurecht: “The question one should ask about any writer’s letters is: Does exposing private documents, never intended for the general public, reveal something central about the writer’s process or the man himself? In other words, does the violation of privacy somehow become justified by the contribution such letters make to Literature?” Und sie antwortet selbst sehr höflich zurückhaltend: “In the case of Under the Sun, the answer is not entirely clear.” - In other words, the answer is very clear. Ich schätze Chatwins Prosastil in seinen Büchern sehr. Aber ich glaube nicht, daß ich seine gesammelten privaten Briefe lesen werde.
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