Find more about Weather in Piran, LJ
Dienstag, 8. November 2011
Zürich, Novemberlicht



Noch einmal in die Schweiz, noch einmal Zürich, herbstlich diesmal, Novembernebel. Die Seefläche fast ein Spiegel, jeder Schwan verdoppelt. Die Badeanstalten auf dem Wasser winterfest verschlossen, leise schwappt es dunkel um die Planken. Der Garten des Café de la Terrasse am Bellevue leer, Gartenstühle und Tische auch aus den Innenhöfen hinter der Bahnhofstrasse verschwunden. Die Stadt hat sich nach drinnen geräumt, erwartet den Winter.

Auch wenn es die “Samstagsgesellschaft” nicht mehr gibt, lese ich Max Frisch. Montauk diesmal. Ich finde, diese Erzählung wie ein Tagebuch eignet sich ganz besonders für die Lektüre in einem Hotelzimmer. Gedanken eines trotz recht junger Geliebten imgrunde recht einsamen alten Mannes (“Er ist nicht verliebt. Er freut sich.”), der der Öffentlichkeit gern etwas vorlügt: “Leben ist langweilig, ich mache Erfahrungen nur noch, wenn ich schreibe.”
Persönlich und distanziert zugleich, intim und sich gleichwohl nicht ausliefernd. Entspricht es nicht der Situation in Hotels? Mit gänzlich Fremden Wand an dünner Wand und einander doch fremd bleibend. So auch die Situation des Lesers gegenüber dem Erzähler in Montauk. Man erfährt Dinge, die man vielleicht gar nicht wissen möchte, zugleich behält er sich vor, nicht alles und nicht einmal Authentisches über sich preiszugeben: “Ich spiele meine Rolle.”
Wieder ein Spiel mit Identität wie schon im Stiller: “Ich bin nicht Stiller.”
Nachdem das sommerliche, fast mediterrane Flair dem trüben, allseits die Stadt umlagernden Novemberdunst gewichen ist, finden im Nebel Stillers Worte über Zürich und die Schweiz mehr Widerhall als im goldenen Oktoberlicht:

“Meine Zelle ist klein wie alles in diesem Land, sauber, so daß man kaum atmen kann vor Hygiene, und beklemmend gerade dadurch, daß alles recht, angemessen und genügend ist. Nicht weniger und nicht mehr! Alles in diesem Land hat eine beklemmende Hinlänglichkeit. – Ein humanes Gefängnis, man kann nichts dagegen sagen, und darin liegt die Gemeinheit... Man ist nicht unmenschlich. Nur, versteht sich, Ordnung muß sein, auch ein gewisser Ernst. Schließlich sind wir in einem Untersuchungsgefängnis.”
“Ich ersuche Sie in Ihrem eigenen Interesse, jede Kritik an unserem Land fortan zu unterlassen”, sagt der Schweizer Verteidiger. “Man ist hier sehr empfindlich.”

... comment