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Dienstag, 26. Oktober 2010
Krieg um Frauen


Nachdem sie zunächst jahrhundertelang von ihnen gelernt und vieles übernommen hatten, trieben die Achäer von Argos und Mykene aus selbst Handel mit den minoischen Kretern, von der Küste der Levante bis Sardinien, mit Ägypten, Troja und den Hethitern in Kleinasien, bevor sie Kreta “übernahmen”. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts v.u.Z. wurden auf der “Insel der hundert Städte”, wie man sie auch nannte, all die schönen minoischen Paläste niedergebrannt und zerstört – ein Vorbild, wie man dann mit Troja auch verfuhr? Einzig Knossos blieb verschont und wurde weiter genutzt, als Sitz der neuen Herren aus Mykene. “Die ungeheure Spannung im Innern entlud sich in rücksichtsloser Feindschaft nach außen.” Richtig. Aber es blieb noch genügend Sprengstoff für gewaltige Erschütterungen auch im Innern.
Wie schon gesagt, all die bis zur Rückkehr Agamemnons verübten Schändlichkeiten erschütterten die Griechen anscheinend nicht über die Maßen. Dann kehrte der Sieger über Troja zurück. Allerdings, muß man in Klammern sagen, kam er nicht als makellos strahlender Triumphator, sondern müde und ernüchtert wie alle desillusionierten langgedienten Frontsoldaten, die Jahr nach Jahr den Dreck in den Gräben gesehen, die Monotonie des Lagerlebens ausgehalten und vor allem selbst die Hände mit dem Blut von Menschen besudelt haben.

“Die Götter warfen Lose, die den Männern Tod, der Stadt Verderben brachten; doch der andre Krug blieb leer... Nun zeigt nur mehr der Rauch den Ort der Stadt”, läßt Aischylos ihn als erstes beim Eintreffen in Argos sagen, und er lehnt es zunächst ab, den von seiner Königin entrollten roten Teppich zu betreten, bis sie ihn überredet, um ihretwillen nachzugeben. Es ist der erste kleine Sieg Klytemnästras über den Gatten, der auf den großen agonalen vorausdeutet.
Nur Eine vermag das zu sehen: Kassandra, die Beutefrau. “Wenn Klytemnästra war, wie ich sie mir vorstellte, konnte sie mit diesem Nichts den Thron nicht teilen”, erkennt Christa Wolfs Kassandra vor dem Löwentor Mykenes, bevor man sie hineinkarrt, ins Schlachthaus.

Bekanntlich war der Krieg um Troja ein Krieg um Frauen.
Erklärtermaßen. Helena, das geraubte/entlaufene Früchtchen war nur der Vorwand, der prominente Auslöser, aber bei weitem nicht die einzige. Worum bricht denn der verhängnisvolle Streit zwischen dem Erfolgsgaranten Achill und Agamemnon aus, der “Achill das Vieh” so lange schmollen läßt, bis die Griechen am Rand der Niederlage stehen?
Caracci: Briseis e Achille Um zwei geraubte Frauen aus der Kriegsbeute, erst Chryseis:
“Jene lös ich dir nicht, bis einst das Alter ihr nahet,
wann sie in meinem Palast in Argos, fern von der Heimat,
mir als Weberin dient und meines Bettes Genossin!”

Als nächste Briseis:
“Ich hole die rosige Tochter des Brises
selbst mir aus deinem Gezelt”,
zetert der hehre Völkerfürst Agamemnon.

Und womit stachelt der nach Odysseus zweitgrößte Demagoge im griechischen Heer, der greise Nestor, im zweiten Gesang der Ilias das Heer zum Bleiben auf, welche Durchhalteparole ruft er aus?

“Ich sag', uns winkte der hocherhabne Kronion
Jenes Tags, da wir stiegen in meerdurchgleitende Schiffe,
Argos' Volk, die Troer mit Mord und Verderben bedrohend:
Rechtshin zuckte sein Blitz, ein heilsweissagendes Zeichen!
Drum daß keiner zuvor wegdräng' und strebe zur Heimkehr,
Eh' er allhier mit einer der troischen Frauen geruhet.”

("Geruhet"! Ich wüßte gern, welches altgriechische Verb der Schulmeister Voss in Eutin hier geschönt hat.)

Der Führer des Griechenheers, Agamemnon, geruhte natürlich auch selbst zu ruhen. Seit Chryseis hatte er anscheinend Geschmack an Priesterinnen gefunden, doch nach vollendetem Gemetzel an den Trojanern war ihm keine Geringere mehr genehm als König Priamos’ eigene Tochter, die “Männer umwickelnde” (so der Name) Kassandra, an der sich einst sogar Appolls göttliche Leidenschaft entzündet hatte.
“Siehe, geschleppt ward jetzo des Priamus Tochter Cassandra,
Fliegenden Haars, vom Tempel und Heiligtum der Minerva”, wußte noch Vergil in der Aeneis zu berichten. Und so stand auch sie nach Verschleppung und Überfahrt dann vor dem Löwentor.
Diese steinernen Löwen, jetzt kopflos, haben sie angeblickt. Diese Festung, einst uneinnehmbar, ein Steinhaufen jetzt, war das letzte, was sie sah. – Nah die zyklopisch gefügten Mauern, heute wie gestern, die dem Weg die Richtung geben: zum Tor hin, unter dem kein Blut hervorquillt. Ins Finstere. Ins Schlachthaus.

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