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Dienstag, 12. Oktober 2010
Nauplia
Zwischen drei und halb vier in der Nacht trafen wir in Nafplio ein. Erstaunlicherweise hatte noch ein Kiosk geöffnet, wo wir Wasser kaufen konnten. (Selbst das nehmen sie einem heute ja vor dem Besteigen eines Flugzeugs ab.) Wir rollten hinab zum Hafen, stellten den Wagen auf einem leeren Parkplatz unter einen Baum und klappten die Rücklehnen zurück. Für die paar Stunden bis zum Hellwerden lohnte sich kein Hotelzimmer mehr.
Der erste Sonnenstrahl, der über die Berge fiel, weckte mich. Die anderen schliefen noch. Ich öffnete leise die Wagentür und stieg aus. Mild, war das erste Wort, das mir einfiel. Mild war die Luft, war die Temperatur und war das Frühlicht, das durch leichten Frühdunst in die weite Bucht von Nauplia rieselte. Die Felsen der Berge am jenseitigen Ufer leuchteten in gedämpftem Rosa, die Inselfestung im Hafen mit dem putzig klingenden Namen Bourtzi strahlte schon in einem kräftigeren, warmen Sonnengelb.
Ich dehnte und reckte mich wie ein alter Kater nach dem Mittagsschlaf, überquerte die schmalen Gleise der Peloponnes-Eisenbahn und ging die wenigen Schritte bis zur Hafenmauer, an der ein paar kleinere Frachter unter türkischer Flagge und einige Fischerboote festgemacht hatten. Von diesem Hafen waren schon vor 3300 Jahren Schiffe nach Ägypten ausgelaufen. Der Goldene Pharao Amenophis III. ließ Neply in ein Register seiner Fernhandelsorte aufnehmen. Nur siebenhundert Jahre später wurde es vom benachbarten Argos überwältigt und diente ihm als Hafen, und vierhundert Jahre darauf wurde es von seinen Einwohnern verlassen. Die Byzantiner gründeten den Ort neu, aber nach dem Fall Konstantinopels bauten die Venetianer die eigentliche heutige Altstadt, das “Napoli di Romania”, und das war sein Glück, denn wie sich mir auch auf dieser Reise wieder bestätigen sollte, konnten Griechen vielleicht eine Akropolis befestigen und eindrucksvolle Tempel bauen, aber keine schönen Städte. Griechenstädte sind wahllose Agglomerate gesichtsloser, oft nicht einmal fertiggestellter Billighäuser. (Ähnlich sieht es Richard Clogg in seiner Concise History of Greece für die gesamte Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg: “There continued to be a marked reluctance to invest in anything other than bricks and mortar, and particularly the latter, as apartment blocks constructed of reinforced concrete cut an unattractive swathe through Athens, Salonica and, increasingly, many provinicial towns, sometimes giving the impression that the country was one vast building site.”)
Wo es in Griechenland eine erkennbar geplante Stadtanlage mit schönen Plätzen und ausgewogenen Proportionen gibt, waren Venetianer am Werk. In Nafplio haben sie auf etlichen Gebäuden mit Reliefs des Markuslöwen unabweisbar ihren Stempel hinterlassen, und ihr ehemaliges Arsenal ist noch immer das stattlichste Gebäude, auf das die ganze Stadtachse ausgerichtet ist, aber es reicht eigentlich schon, sich das regelmäßige Netz der Altstadtgassen am Fuß des Burgbergs und vor allem die Plätze anzusehen, um Bescheid zu wissen. Der schönste von ihnen ist der Syntagma- oder Verfassungsplatz, der auch so heißt, weil in der ehemaligen türkischen Moschee mit ihrer noch immer markanten Kuppel nach der griechischen Unabhängigkeit 1825 das erste griechische Parlament zusammentrat. Nafplio war damals die Hauptstadt des freien Griechenlands.
Dann kam König Otto. Nein, nicht Rehakles, sondern von Wittelsbach. Nachdem zwei andere fürstliche Kandidaten dankend abgelehnt hatten, wählte ihn die griechische Nationalversammlung auf sanften Druck der europäischen Großmächte 1832 zum König von Griechenland. Noch minderjährig traf er mit seinem bayerischen Regentschaftsrat in Nafplio ein und brachte vor allem das bayerische Reinheitsgebot fürs Bierbrauen mit. Als er mit zwanzig selbst die Regierungsgeschäfte übernehmen durfte, zeigte sich, daß der junge Mann ganz alte Vorstellungen von Monarchie im Kopf hatte. Eine Verfassung etwa hielt er für überflüssigen neumodischen Quatsch, bis ihn ein Putsch des Militärs, der sich zu einem allgemeinen Volksaufstand ausweitete, Mores lehrte.
Er tröstete sich durch eine Affäre mit einer ehemaligen Mätresse seines eigenen Vaters, Lady Jane Digby (interessante Biographie übrigens). Die Dame war in erster Ehe mit dem britischen Vizekönig von Indien und später noch dreimal verheiratet, hatte fünf Kinder und mindestens zehn namentlich bekannte hochrangige Liebhaber; zuletzt heiratete sie mit 46 einen fast halb so alten syrischen Scheich, lebte mit ihm abwechselnd ein halbes Jahr im Beduinenzelt und das andere Halbjahr in ihrem Palast in Damaskus.
“No European woman had visited Palmyra between Lady Hester (Stanhope) and Jane Digby and the British consul in Damascus was determined to stop her making such a foolhardy journey”, schreibt John Ure in seinem Buch über englische Exzentriker mit einem Faible für die Wüste (In Search of Nomads). “Jane set out none the less accompanied by a good-looking young sheikh called Medjuel, who defended her at the risk of his life when their caravan was attacked by horsemen from a hostile tribe. He escorted her with gallantry at every step of the way, and – given her notorious susceptibility and remarkable beauty – it was hardly surprising that she fell in love with him and he with her... No one expected the relationship to last, but last it did.”
Währenddessen war Otto Basileus längst von den Griechen außer Landes gejagt worden und hatte sich in einer Residenz in Bamberg verkrochen, wo er täglich eine Stunde mit seiner Frau Gemahlin auf Griechisch konversierte. Heinrich Heine dichtete auf ihn:
“Herr Ludwig ist ein mutiger Held,
Wie Otto, das Kind, sein Söhnchen;
Der kriegte den Durchfall zu Athen,
Und hat dort besudelt sein Thrönchen.”

Der Bayer Otto von Griechenland in seinem bayerischen Exil, 1865


Ich widmete dem Thronbesudler in leise spöttischem Gedenken meinen ersten griechischen Mokka auf dem Verfassungsplatz. “Griechenland, mein liebes Griechenland”, sollen angeblich seine letzten Worte gewesen sein. Mein Griechenland, ich geb’s zu, war immer noch eher das von Theodorakis, Maria Farantouri und Costa Gavras und all den anderen Griechen, die 1974 die Obristenjunta zum Teufel jagten. Fünf Jahre danach war ich zum letzten Mal in Griechenland gewesen. Das war über dreißig Jahre her, und Griechenland konnte natürlich nicht mehr das gleiche Land sein wie damals. Ich war neugierig, in welche Richtung es sich verändert hatte; aber große Hoffnungen machte ich mir nicht.

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