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Sonntag, 10. Oktober 2010
Grün, nicht blau
Am Abend des Abflugs hatte es in Amsterdam aus dunklen Wolken geregnet, die fast die Erde berührten, wie üblich in den letzten Tagen, den letzten Wochen. Nach der nächtlichen Landung in Athen wehte uns trotz der mitternächtlichen Stunde eine laue, mittelmeerische Brise an. Wir reisten diesmal zu viert; mein persönlicher Pleonasmus, die wojwodinische Herzogin, mein Bruder und Der Koloß von Maroussi des verrückten Henry Miller. Im Verlauf der Reise sollten uns noch einige schrille Typen begegnen.
Zu sehen gab es zunächst wenig. Die Leitplanken, Betonwände, Mittel- und Seitenstreifen einer Autobahn, die aussah wie alle Autobahnen, glitten aus dem Dunkel kommend und wieder in ihm verschwindend wie die Schleifen von Endlosbändern am Rand unserer Blickfelder vorüber, die Schilder der Ausfahrten leuchteten im Scheinwerferlicht grün auf, nicht im gewohnten Blau. Grün, nicht blau, das war zunächst der Unterschied zwischen Griechenland und Mitteleuropa.
Aber die Gerüche, die durchs geöffnete Seitenfenster strömten! Zuerst roch es nach Kerosin, dann nach Erde und trockenem Gras, nach einer Chemiefabrik, die Marzipanaroma herstellte, nach Ouzo und Anis, nach Abwässern und Kloake, nach Mastix und Kiefern.
“Man sollte auf der ‘Heiligen Straße’ nicht in einem Auto dahinrasen, das ist Gotteslästerung”, merkte Miller vom Rücksitz an. “Diese Straße ist keine Straße des Christentums, die Füße frommer Heiden haben sie auf dem Weg zur Weihe in Eleusis geschaffen. Dieser Prozessionsweg weiß nichts von Leiden, von Märtyrern, von Geißelung des Fleisches. Auch heute spricht hier, wie schon vor Jahrhunderten, alles von Erleuchtung, von betörender, freudvoller Erleuchtung. Das Licht nimmt eine übernatürliche Beschaffenheit an. Man muß zweitausend Jahre der Unwissenheit und des Aberglaubens von sich abwerfen, des krankhaften, widerlich unterirdischen Lebens und Lügens. In Eleusis erkennt man, daß es keine Rettung gibt, wenn man sich einer irrsinnigen Welt anpaßt.”
ELEFSÍNA war ein grünes Schild in dunkler Nacht in einer irrsinnigen Welt. Zweitausend Jahre lang wurden sie ekstatisch gefeiert, aber nun gab es schon seit über fünfzehnhundert Jahren keine Mysterien mehr. (Nur meine Vorbehalte gegen Granatäpfel waren geblieben.) Das grüne Schild blieb genauso schnell am Wegrand zurück wie KORINTHOS, bewohnt von Pelasgern schon vor der Einwanderung der ersten Griechen, später war hier Sisyphos König. Für eine Quelle auf Akrokorinth verriet er die Abwege des Zeus mit der Nymphe Aigina, war schlauer als der Tod und schlug in ihn Ketten, sodaß kein Mensch mehr sterben mußte. Für mich eine viel größere Tat als die des Herakles, dem Nemeischen Löwen das Fell über die Ohren zu ziehen, [ARCHEA NEMEA 500m] sst... vorbei. Wir verließen die Autobahn. Eine gewundene Landstraße, keine Beleuchtung mehr, die Nacht noch dunkler, so dunkel wie keine Nacht im dauerbeleuchteten Gewächshausholland. Ich trat auf die Bremse, hielt mitten im Nirgendwo, stieg aus, legte den Kopf in den Nacken: Was für ein Sternenhimmel! (Und in den Pays bas regnete es aus einer dichten Wolkendecke.) Milch heißt auf Griechisch gala, milchig galaktodes und galaxías die Milchstraße. Da oben war sie, zum Greifen deutlich. Und viel, viel mehr Sterne, als ich beim Namen nennen konnte. Ehrfürchtiges, stummes Staunen unten auf Erden, minutenlang. Dann einsteigen und weiterfahren. Ich hatte uns im stillen ein Ziel gesteckt, dort wollte ich an unserem ersten Morgen in Griechenland die Sonne aufgehen sehen und am Hafen oder auf einem der hübschen, kleinen Plätze, die ich von damals noch in Erinnerung hatte, frühstücken. Miller auf der Rückbank plauschte es aus: “In ein paar Stunden sollten wir in Nauplia sein, in der Nähe so atemberaubender Orte wie Argos, Tiryns, Mykenä und Epidauros.”

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