Samstag, 14. November 2009
Tallinns schöne Altstadt und eine Stele in der Ästhetik des Faschismus
Das Buchara habe ich nicht wiedergefunden. Stattdessen stießen wir in einer kleinen, schmalen Straße mit dem schlichten Namen Sauna auf das “Schwarze Schaf”, Must Lammas, in dem sehr Leckeres aus der Küche Georgiens auf den Tisch kam. Auch von der klaren Wintersonne war der Jahreszeit gemäß nichts zu sehen, es blieb ein eher feuchter, dunkler Herbstabend, dem das gelblich trübe Licht der alten Gaslaternen entlang der Straßen und naß glänzendes Kopfsteinpflaster gut zu Gesicht standen.
Die Kommerzialisierung des Mittelalters hatte natürlich seit damals enorme “Fortschritte” gemacht, kaum eine Kaschemme in entsprechend alten Gewölben, die keinen Bänkelsänger vor der Tür stehen hatte und deren Kellnerinnen nicht in langen, handgefärbten Leinenkleidern und Spitzenhaube ihre sowieso schon anstrengende Arbeit verrichten mußten. Aber auch von diesem Touristennepp abgesehen, quirlte Leben in der Altstadt, spazierten viele Menschen umher, bevölkerten die Terrassen der Restaurants auf dem Rathausplatz bis spät in den Abend, saßen in den Cafés der Nebenstraßen. Wir tranken einen ordentlichen Wein in einem tief unter der Erde gelegenen Kellergewölbe, flanierten durch Haupt- und Nebengassen, auch hinauf auf Schloß- und Domberg mit seinen von St. Petersburg oder Paris inspirierten Palais wie dem von Martin Gropius, in dem heute die estnische Akademie der Wissenschaften residiert, und ließen uns anschließend wieder unten in der Bürgeraltstadt für Normalsterbliche nahe der malerischen Katharinengasse in einem kopfsteingepflasterten Innenhof mit Häusern aus Spätgotik und Renaissance zu einem späten Kaffee nieder. Das alles vermittelte mir eine Vorstellung, was aus dem ebenso mittelalterlichen Visby hätte werden können, wenn es auch nach dem 15. Jahrhundert organisch weiter gewachsen wäre. Tallinn ist in seinem Zentrum eine sehr schöne Stadt, nur bei einem Anblick hat es mir die Sprache verschlagen: Seit Juni dieses Jahres steht auf dem Vabaduse Väljak, dem Freiheitsplatz, das offizielle Monument für den Freiheitskrieg 1918-20, eine über 23 Meter hohe Stele aus von innen erleuchteten, gefrosteten Glasplatten, gekrönt vom Kreuz eines damals geschaffenen militärischen Ordens, dessen Emblem im Zweiten Weltkrieg auch die estnische Division der Waffen-SS verwendete. So bruch- und distanzlos glaubt die heutige zweite Republik in Estland also an vorsowjetische Zeiten anknüpfen zu können, daß sie eine faschistische Stele als Freiheitsdenkmal errichtet. Dieses Denkmal ist ein Skandal. In Estland selbst hat es aber wohl nur einen verhaltenen Denkmalsstreit ausgelöst, der dem Vernehmen nach die breite Öffentlichkeit nicht wirklich interessiert hat.
Die Kommerzialisierung des Mittelalters hatte natürlich seit damals enorme “Fortschritte” gemacht, kaum eine Kaschemme in entsprechend alten Gewölben, die keinen Bänkelsänger vor der Tür stehen hatte und deren Kellnerinnen nicht in langen, handgefärbten Leinenkleidern und Spitzenhaube ihre sowieso schon anstrengende Arbeit verrichten mußten. Aber auch von diesem Touristennepp abgesehen, quirlte Leben in der Altstadt, spazierten viele Menschen umher, bevölkerten die Terrassen der Restaurants auf dem Rathausplatz bis spät in den Abend, saßen in den Cafés der Nebenstraßen. Wir tranken einen ordentlichen Wein in einem tief unter der Erde gelegenen Kellergewölbe, flanierten durch Haupt- und Nebengassen, auch hinauf auf Schloß- und Domberg mit seinen von St. Petersburg oder Paris inspirierten Palais wie dem von Martin Gropius, in dem heute die estnische Akademie der Wissenschaften residiert, und ließen uns anschließend wieder unten in der Bürgeraltstadt für Normalsterbliche nahe der malerischen Katharinengasse in einem kopfsteingepflasterten Innenhof mit Häusern aus Spätgotik und Renaissance zu einem späten Kaffee nieder. Das alles vermittelte mir eine Vorstellung, was aus dem ebenso mittelalterlichen Visby hätte werden können, wenn es auch nach dem 15. Jahrhundert organisch weiter gewachsen wäre. Tallinn ist in seinem Zentrum eine sehr schöne Stadt, nur bei einem Anblick hat es mir die Sprache verschlagen: Seit Juni dieses Jahres steht auf dem Vabaduse Väljak, dem Freiheitsplatz, das offizielle Monument für den Freiheitskrieg 1918-20, eine über 23 Meter hohe Stele aus von innen erleuchteten, gefrosteten Glasplatten, gekrönt vom Kreuz eines damals geschaffenen militärischen Ordens, dessen Emblem im Zweiten Weltkrieg auch die estnische Division der Waffen-SS verwendete. So bruch- und distanzlos glaubt die heutige zweite Republik in Estland also an vorsowjetische Zeiten anknüpfen zu können, daß sie eine faschistische Stele als Freiheitsdenkmal errichtet. Dieses Denkmal ist ein Skandal. In Estland selbst hat es aber wohl nur einen verhaltenen Denkmalsstreit ausgelöst, der dem Vernehmen nach die breite Öffentlichkeit nicht wirklich interessiert hat.
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