Montag, 12. Januar 2009
Das bronzezeitliche Grab von Kivik
Vor der Zeitmauer standen dann auch wir vor der Bronzetür zum Steinhügelgrab in Kivik, angelegt im “vorolympischen” Zeitalter des Minos vor rund 3000 Jahren. Erst vor gut der Hälfte der Zeit waren die Menschen dort in Kontakt mit dem uns vertrauten römisch-christlichen Kulturkreis und seinen Vorstellungen, Überlieferungen und Traditionen getreten. Was sich im Innern des Hügels befand, in seiner mutterschoßlichen Höhle, war also durch anderthalb Jahrtausende Fremdheit von uns getrennt.
Aber, Anknüpfungspunkte und Verbindungen gab es auch schon in der Zeit davor. Ob man nun “Kulturwanderung” oder eine Wanderung von Bevölkerungsgruppen (Indogermanen) annimmt, jedenfalls gelangte die Kenntnis der Technik der Bronzeherstellung aus ihrem Ursprungsgebiet in Mesopotamien entweder über den Kaukasus (Kurgankultur), via Anatolien oder über Kreta und die anschließende mykenische Kultur in den Norden. (Im Austausch fand man Bernstein aus der Ostsee in mykenischen Gräbern.) Auch der kreisrunde Grabhügel von Kivik mit seiner mit Steinplatten ausgekleideten Grabkammer läßt sich als Kurgan ansprechen. Und was zeigen diese Steinplatten? Geschwungene Linien, die sich wohl als Umrisse bootsförmiger Äxte deuten lassen, wie man sie im Norden aus Stein schon sehr viel früher, im späten Neolithikum, den aus dem Süden bekannt gewordenen gegossenen Äxten aus Kupfer oder Bronze nachbildete. Und unter dem Grabhügel fanden sich noch Reste einer Siedlung aus der Steinzeit. Welche Kontinuität, die sich über Jahrtausende spannt! Und zugleich Verbindungen, die schon in jener frühen Zeit Tausende von Kilometern überbrückten.
Weiter zeigen die Steinplatten in der Grabkammer große, mit Kreuzen oder Speichen versehene Kreise, die gemeinhin als Sonnenscheiben interpretiert werden. Viele, viele Funde deuten für die Nordische Bronzezeit (die eine relative Wärmeperiode war, wärmer als heute; noch) auf eine kultische Verehrung der Sonne hin. (Die Grabkammer von Kivik ist in Nordsüdrichtung zur Sonne ausgerichtet.) Denken wir allein an die vor zehn Jahren erst gefundene, bislang älteste konkrete Himmelsdarstellung auf der Bronzescheibe von Nebra, die etwa 500 Jahre älter ist als das Kivikgrab und 200 Jahre älter als die bis dahin ältesten Himmelsdarstellungen in Ägypten und die sich u.a. als Peilscheibe für die Bestimmung der Sonnwendpunkte und Tagundnachtgleichen benutzen ließ. Auch eine goldene “Sonnenbarke” wurde ihr später aufgenietet. Dürfen wir eine solche in Kivik wiedererkennen, kultisch begleitet von einer Prozession langgewandeter Frauen (?) und Männer, von denen einer eine Axt (?) hebt, während ein weiterer in ein großes gekrümmtes Horn stößt? Luren, wie bislang rund 60 aus der Bronzezeit gefunden wurden.
Die Prozession setzt sich auf einem anderen Bildstein fort, diesmal begleitet von schwertgegürteten Figuren und einem Mann auf einem von Pferden gezogenen Streitwagen, wie er damals seit langem im Ursprungsgebiet der Bronzeherstellung und von den wandernden indogermanischen Völkern verwendet wurde. War er zugleich mit dem begehrten Metall und dem Sonnenkult in den Norden gebracht worden? Im bronzezeitlichen Sonnenwagen von Trundholm (um 1400 vuZ.) kommt beides zusammen. Und wenn man genau hinschaut, sieht man, daß auch auf den Steinbildern von Kivik die Räder des Wagens genauso gezeichnet sind wie die einzelnen "Sonnenräder" auf dem Nachbarstein. Auch hier ein Sonnenwagen?
Die Bronzezeit war eine klimatisch begünstigte, reiche Zeit im Norden. Das belegen die mehr als 20.000 erhaltenen mächtigen Grabhügel und Depotfunde mit ihren kostbaren Beigaben, darunter viele aus Gold, die von technisch und künstlerisch hochstehenden Spezialwerkstätten und Handwerkern angefertigt wurden. Das Netz der Handelsbeziehungen reichte praktisch über ganz Europa bis in den Nahen Osten. Erhaltene Überreste von Häusern aus der Bronzezeit belegen, daß damals in Dänemark und Schweden viel größer gebaut wurde als in all den nachfolgenden Jahrhunderten der vorrömischen und römischen Eisenzeit bis weit ins frühe Mittelalter hinein. Das damals entwickelte dreischiffige Langhaus hatte eine Seitenlänge von bis zu 30 Metern und mehr als 250m² Wohnfläche unter einem Dach. (Das Vieh blieb aufgrund des wärmeren Klimas damals noch außerhalb der Häuser.)
Im Lauf des 7. vorchristlichen Jahrhunderts hat der Handelsaustausch der antiken Mittelmeerwelt mit dem Norden nachgelassen, um 600 vuZ. hörte er vollständig auf. Die Latène-Kultur der Kelten legte sich wie ein Sperriegel vor die Alpen, usurpierte und absorbierte anscheinend völlig die alten Handelsbeziehungen. Für Jahrhunderte gelangte kein einziger Gegenstand aus Süd- oder Mitteleuropa mehr in den Norden. Grabhügel wie der aus Kivik, damals noch dreimal so hoch wie heute und gut sichtbar direkt am Ufer der Ostsee gelegen, bildeten für die Nachfahren imposante Zeugnisse einer vergangenen größeren und besseren Zeit. Wir Heutigen können das kulturelle Wissen, das er enthält, nicht mehr vollständig entschlüsseln, aber es “dringt in die Zeit wie die Kunde aus einer zugleich furcht- und fruchtbaren Höhle - in ihrem Dunkel scheint alles möglich.” Man begibt sich durch den gewundenen Gang hinein, wird durch den Strudel der Jahrhunderte in ungeschiedene Frühzeiten zurückgesaugt, streift das alte ab und tritt neugeboren wieder heraus in ein neues Jahr. Der uralte Hügel von Kivik, ein guter Ort, um den Jahreswechsel zu begehen.
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