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Samstag, 30. August 2008
Mutabor. Märchen aus einem friedliebenden Staat Europas
Im Gegenteil, nur drei Tage nach der einseitigen Proklamation hat die Bundesregierung flugs die Unabhängigkeit des Kosovo förmlich anerkannt. Aber dieses Recht auf Selbstbestimmung gilt nach der differenzierten Auffassung der Kanzlerin eben nicht für jedes Volk auf der Welt. Wo kämen wir da auch hin? “Jetzt wollen wir aber mal schön die Kirche im Dorf lassen”, hätte sie mit dem Lieblingsspruch ihres Vorgängers den Anspruch der Osseten und Abchasen auf Selbstbestimmung salopp zurückweisen können; sie tat es lieber mit obigem Zitat am 15. August bei ihrer Pressekonferenz in Sochi.

Sind die Abchasen und Osseten etwa keine eigenen Völker? Abchasien ist das antike goldreiche Kolchis, das schon die Argonauten als Voraustrupp griechischer Kolonisten suchten, um das Goldene Vlies zu rauben, mit dem die Kolcher Gold aus den Flüssen des Kaukasos wuschen. Die Medea der griechischen Tragödie war Abchasin. Die abchasische Sprache, schon früh erforscht, gilt unter Sprachwissenschaftlern als hoch entwickelt. “Linguistisch-theoretisch gesehen ist die abchasische Sprache auf dem höchsten Niveau der menschlichen Rede. Unter den Sprachen, mit denen sie verwandt ist, nimmt diese Sprache denselben Platz ein wie Englisch unter den europäischen Sprachen“, schrieb der schottisch-georgische Sprachwissenschaftler Nikolai Marr. Die Sprache der Osseten ist nicht einmal eine kaukasische wie das Georgische, sondern gehört zu den iranischen und damit indoeuropäischen Sprachen, denn die Osseten sind die Nachfahren der völkerwanderungszeitlichen Alanen und als solche schon gar nicht mit den Georgiern verwandt.

Aber solche ethnischen, sprachlichen und historischen Kriterien spielen in der aktuellen Politik natürlich keine Rolle, wenn sie den Eigeninteressen nicht gerade nützen, sondern eher lästig bis hinderlich sind. Die Osseten und Abchasen erklären sich nun mal für das falsche Lager. Ihre bisherigen Beherrscher, die Georgier, hingegen biedern sich so weitgehend dem “unseren” an, dass Präsident Saakaschwili sich bei seinen Fernsehauftritten grundsätzlich von der georgischen und einer Europafahne flankieren lässt, obwohl Georgien meiner unmaßgeblichen Meinung nach von Europa noch ziemlich weit entfernt auf der zu Asien gehörenden Südseite des Kaukasus liegt. Wer sich aber so entschieden gegen die Anderen in Stellung bringt, wie das Georgien unter Saakaschwili tut, muss einer der Unseren sein oder schleunigst werden. “Georgien in die NATO”, tönt es allerorten im westlichen Bündnis (am lautesten anscheinend in seinen neuen östlichen Mitgliedsstaaten). Wer sich so nachdrücklich dafür hergibt, dem Fußfassen des Westens, sprich der USA, im ehemaligen Machtbereich des alten und neuen Rivalen Russland den Boden zu bereiten, kann kein Aggressor sein, selbst wenn er einen Konflikt eskaliert und Krieg vom Zaun bricht.

Die geschwinde Vertuschung dieser Tatsache in der westlichen Berichterstattung über den jüngsten Kaukasuskrieg war wieder mal ein Lehrstück darüber, wie weitgehend unsere Nachrichtenpolitik Meinungsmache und nicht Information ist.
Selbst die bestimmt nicht prorussischer Sympathien verdächtige Welt meldete am Morgen des 8. August zunächst eine georgische “Großoffensive” auf Südossetien. Sobald der aber russische Panzer entgegenrückten, kam die große Volte, und der Aggressor, Georgien, erschien zunehmend im verklärenden Heiligenschein des Opfers. Erst hieß es schon am nächsten Tag, die Georgier zögen wieder aus Ossetien ab, dann folgte die Meldung “Russland greift Georgien an zwei Fronten an”, und unter dem Foto von den Sportschützinnen beider Länder, die sich in Peking friedfertig umarmten, stand: “Stunden zuvor hatten Luftangriffe der Russen auf zivile Ziele in Georgien der Bevölkerung unendliches Leid zugefügt.”

Das Sahnestückchen auf dem i-Tüpfelchen (frei nach Hinrich Romeike) bei dieser Medienschau, das zukünftig in jedes Proseminar für angehende Publizisten und Medienwissenschaftler gehört, aber sicher bald wieder von YouTube verschwinden wird, ist jene Liveschaltung von FOX News nach San Francisco, wo eine Zwölfjährige mit ihrer Tante saß, die zu jenen “hundreds of thousands” gehörten, die der Bombenterror auf Georgien vertrieben hatte. Nach einer kurzen Schilderung der Lage sagte das Mädchen: “Bevor ich mehr sage, will ich erklären, dass ich vor georgischen Soldaten geflüchtet bin, die unsere Stadt bombardierten, nicht vor russischen Soldaten, denen ich dafür danken will, dass sie uns dort rausgeholfen haben.” Der Moderator wendet sich an die Tante: “Well, a twelve year old girl...” Als die aber noch klarer erklärt: “Ich will hier sagen, wer die Schuld trägt. Es ist Mr Saakaschwili, der diesen Krieg angefangen hat und der der Aggressor ist”, funkt der Arsch (!) dazwischen: “Ich würde sie niemals unterbrechen, aber wir haben jetzt eine Werbeunterbrechung.” Als die Sendung wieder auf den Bildschirmen erscheint, kommandiert er: “Unsere Sendung endet in einer Minute, ich gebe ihnen 30 Sekunden, um ihre Gedanken zu Ende zu führen.” Dann zählt er in die Aussage der Frau: “Zehn Sekunden... fünf Sekunden... Danke.” Schnitt.

Du meine Güte, das ist so offenkundig, dass es selbst einem Privatsender wie FOX peinlich sein müsste.

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