Samstag, 19. Juli 2008
Passagen
In Anbetracht der hohen Galerie auf dem Bild ist unschwer nachzuvollziehen, dass Walter Benjamin in den Passagen des 19. Jahrhunderts einen “Rest vom Kirchenschiff” wiedererkannte und sie irgendwo in seinem labyrinthisch sich verästelnden Passagen-Werk auch “Tempel des Warenkapitals” nannte, “geile Straße(n) des Handelns, nur angetan, die Begierde zu wecken”. Sakralarchitektur zu profanen Zwecken also. Das passt sehr gut zu Überlegungen, die Benjamin wenige Jahre vorher in einem kurzen Fragment angerissen hat. Es beginnt: “Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.”
Den Nachweis dieser religiösen Struktur des Kapitalismus könne man vorläufig nur polemisch führen, das Netz zuzuziehen bleibe einer späteren Zeit vorbehalten, räumt er ein, aber wir könnten bereits drei grundlegende Merkmale für einen religiösen Charakter des Kapitalismus erkennen.
“Erstens ist der Kapitalismus eine reine Kultreligion, vielleicht die extremste, die es je gegeben hat. Es hat in ihm alles nur unmittelbar mit Beziehung auf den Kultus Bedeutung, er kennt keine spezielle Dogmatik, keine Theologie. Der Utilitarismus gewinnt unter diesem Gesichtspunkt seine religiöse Färbung.
Mit dieser Konkretion des Kultus hängt ein zweiter Zug des Kapitalismus zusammen: die permanente Dauer des Kultus. Der Kapitalismus ist die Zelebrierung eines Kultes sans rêve et sans merci. Es gibt da keinen „Wochentag“, keinen Tag der nicht Festtag in dem fürchterlichen Sinne der Entfaltung allen sakralen Pompes, der äußersten Anspannung des Verehrenden wäre.”
In der Folge des Kreuzzugs, den der Handel in den zurückliegenden Jahren erfolgreich gegen die Ladenöffnungszeiten führte, kann man diesen Satz inzwischen auch umdrehen: Die Ausübung des kapitalistischen Kults hat bald jeden Feiertag, an dem er einmal zwangspausieren müsste, abgeschafft und seine Festtage zum permanenten Alltag gemacht, damit das Volk ihm jeden Tag frönen und seine Opfer bringen kann.
Den dritten Punkt hätte Benjamin für mein Verständnis etwas ausführlicher erklären dürfen. “Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus”, heißt es da. “Ein ungeheures Schuldbewußtsein das sich nicht zu entsühnen weiß, greift zum Kultus, um in ihm diese Schuld nicht zu sühnen, sondern universal zu machen”. Für Benjamin scheint es auf der Hand zu liegen, wessen sich der Kapitalismus schuldig weiß. Ich glaube, seit dem Untergang des Ostblocks fühlt er sich überhaupt nicht mehr schuldig, sondern feiert sich selbst als das allen anderen überlegene und somit alternativlose Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. Seinen einstweiligen Triumph sieht er als endgültig an, weshalb ja auch Fukuyama nur drei Jahre nach dem Mauerfall schon das Ende der Geschichte verkünden konnte. Diesen ebenfalls zu den Charakterzügen einer Religion passenden Anspruch auf die Ewigkeit hat Benjamin in seiner Gleichsetzung des Kapitalismus mit einer Religion sehr wohl schon gesehen, aber natürlich ganz anders gewertet.
“Es liegt im Wesen dieser religiösen Bewegung, welche der Kapitalismus ist, das Aushalten bis ans Ende... bis an den erreichten Weltzustand der Verzweiflung (meine Hervorhebg.). Darin liegt das historisch Unerhörte des Kapitalismus, daß Religion nicht mehr Reform des Seins sondern dessen Zertrümmerung ist.”
Der Kapitalismus also eine (hohle und zerstörerische) Religion, ein Kult, ein ewiger anbetender Tanz um das Goldene Kalb, und die Passagen, neuerdings Malls genannt, seine Tempel. Und siehe da, in unserer noch immer gesuchten Stadt finden sich in der Galerie de la Reine (salve regina!) im Ostchor die Säulenheiligen dieses Kults aufgestellt.
Den Nachweis dieser religiösen Struktur des Kapitalismus könne man vorläufig nur polemisch führen, das Netz zuzuziehen bleibe einer späteren Zeit vorbehalten, räumt er ein, aber wir könnten bereits drei grundlegende Merkmale für einen religiösen Charakter des Kapitalismus erkennen.
“Erstens ist der Kapitalismus eine reine Kultreligion, vielleicht die extremste, die es je gegeben hat. Es hat in ihm alles nur unmittelbar mit Beziehung auf den Kultus Bedeutung, er kennt keine spezielle Dogmatik, keine Theologie. Der Utilitarismus gewinnt unter diesem Gesichtspunkt seine religiöse Färbung.
Mit dieser Konkretion des Kultus hängt ein zweiter Zug des Kapitalismus zusammen: die permanente Dauer des Kultus. Der Kapitalismus ist die Zelebrierung eines Kultes sans rêve et sans merci. Es gibt da keinen „Wochentag“, keinen Tag der nicht Festtag in dem fürchterlichen Sinne der Entfaltung allen sakralen Pompes, der äußersten Anspannung des Verehrenden wäre.”
In der Folge des Kreuzzugs, den der Handel in den zurückliegenden Jahren erfolgreich gegen die Ladenöffnungszeiten führte, kann man diesen Satz inzwischen auch umdrehen: Die Ausübung des kapitalistischen Kults hat bald jeden Feiertag, an dem er einmal zwangspausieren müsste, abgeschafft und seine Festtage zum permanenten Alltag gemacht, damit das Volk ihm jeden Tag frönen und seine Opfer bringen kann.
Den dritten Punkt hätte Benjamin für mein Verständnis etwas ausführlicher erklären dürfen. “Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus”, heißt es da. “Ein ungeheures Schuldbewußtsein das sich nicht zu entsühnen weiß, greift zum Kultus, um in ihm diese Schuld nicht zu sühnen, sondern universal zu machen”. Für Benjamin scheint es auf der Hand zu liegen, wessen sich der Kapitalismus schuldig weiß. Ich glaube, seit dem Untergang des Ostblocks fühlt er sich überhaupt nicht mehr schuldig, sondern feiert sich selbst als das allen anderen überlegene und somit alternativlose Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. Seinen einstweiligen Triumph sieht er als endgültig an, weshalb ja auch Fukuyama nur drei Jahre nach dem Mauerfall schon das Ende der Geschichte verkünden konnte. Diesen ebenfalls zu den Charakterzügen einer Religion passenden Anspruch auf die Ewigkeit hat Benjamin in seiner Gleichsetzung des Kapitalismus mit einer Religion sehr wohl schon gesehen, aber natürlich ganz anders gewertet.
“Es liegt im Wesen dieser religiösen Bewegung, welche der Kapitalismus ist, das Aushalten bis ans Ende... bis an den erreichten Weltzustand der Verzweiflung (meine Hervorhebg.). Darin liegt das historisch Unerhörte des Kapitalismus, daß Religion nicht mehr Reform des Seins sondern dessen Zertrümmerung ist.”
Der Kapitalismus also eine (hohle und zerstörerische) Religion, ein Kult, ein ewiger anbetender Tanz um das Goldene Kalb, und die Passagen, neuerdings Malls genannt, seine Tempel. Und siehe da, in unserer noch immer gesuchten Stadt finden sich in der Galerie de la Reine (salve regina!) im Ostchor die Säulenheiligen dieses Kults aufgestellt.
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