Montag, 11. Februar 2008
Rotterdamer Sprungturm
Früher hießen Hochhäuser poetisch überhöht "Wolkenkratzer", bildeten "Skylines" und waren die Speerspitze einer avantgardistischen Architektur. Dann kamen sie in einen schlechten Ruf, wurden Synonyme für Unpersönlichkeit und technische Hybris und dienten als Sprungtürme für Leute, die das alles nicht mehr aushielten. Monotonie und Unpersönlichkeit und die damit verbundenen psychologischen und soziologischen Probleme wurden eng mit der himmelstrebenden Bauweise verknüpft. Hochhäuser sind aber auch, selbst wenn es sich um Doppelhäuser handelt, Unikate. Deshalb sind sie besonders geeignet, Identität zu stiften. Ein bestimmtes Hochhaus statt einer Straße als Adresse angeben zu können, ist in Holland durchaus keine Blamage. So viel Wohnhaus auf einem Fleck prägt das örtliche Bewusstsein. Die Behauptung der Rotterdamer etwa, dass sie sich trotz verwaister Straßen, trotz dürftigen Nachtlebens, trotz ihrer nicht vorhandenen Innenstadt am Nabel Europas befänden, wird so verständlich... (Aus: POLIS, Zeitschrift für Architektur und Stadtentwicklung, 13 (2001), H. 3, S. 26-30)
Nicht vorhandene Innenstadt, dürftiges Nachtleben? Das sehen die Rotterdamer ganz anders. “Den Haag, das ist doch so eine verschlafene Bürokratenstadt, in der nichts los ist”, sagen M+W, zwei junge holländische Journalisten, und führen uns natürlich erst einmal ins Dudok, eine nach dem Stararchitekten der niederländischen Moderne benannten Brasserie, brechend voll und mit den Ausmaßen, dem Charme und dem Lärmpegel einer Bahnhofshalle ausgestattet. Tatsächlich war es einmal die Empfangshalle einer Versicherung. Aber schön hell ist es, denn die Fensterflächen sind, niederländisch-calvinistischen Anforderungen gemäß, riesig. (Eine Filiale des Dudok gibt es natürlich auch in Den Haag. Und der Apfelkuchen mit Schlagsahne ist grandios.)
Später soll es einmal an die Wilhelminapier gehen, Rotterdams geplanten Nachbau der Skyline von Manhattan. Doch das schieben wir noch ein wenig auf, denn, wie die ZEIT letztes Jahr meldete, wartet Architekt Rem Koolhaas noch immer darauf, dort endlich mit dem Bau seines Hochhauskomplexes De Rotterdam beginnen zu können. “Die Vorverkäufe für das Ensemble aus acht neben- und übereinander arrangierten Großklötzen, fast eine Skyline für sich, laufen schleppend.” Eine “Skyline” ist anscheinend etwas, das sich selbst Rotterdamer vielleicht doch lieber von außen und aus der Ferne besehen. Noch besser wäre bloß virtuell am Bildschirm.
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