Da nun einmal Ostern ist, in Island traditionell das Fest der letzten Schneestürme, hier noch etwas Erbauliches zur Seelsorge am Gletscher:
‟Vorläufig möchte ich nur hervorheben, daß die Kirche aus Holz ist und ursprünglich mit Wellblech verkleidet war; davon ist jedoch nur noch das eine oder andere Stück übriggeblieben”, notiert der Entsandte des Bischofs in seinem Bericht. ‟Kistenbretter in den Fenstern; die Außentür fest zugenagelt. Der Kirchhof sieht auch ziemlich verwahrlost aus; kein Kreuz bildet mehr einen rechten Winkel mit seinem Fundament; diese Monumente, einige aus verrostetem Eisen, andere aus morschem Holz, sehen alle wie betrunken aus.” Nein, um die Seelsorge scheint es zumindest aus dem Blickwinkel der Kirche am Gletscher nicht gut bestellt zu sein. Der Pfarrer repariert lieber Primuskocher oder ist unterwegs, um Pferde zu beschlagen.
Doch seine Gemeindeschafe sind’s zufrieden: ‟Sira Jón hat früher wenig verkündet, und jetzt verkündet er noch weniger. Zum Glück würde manch einer sagen. Nun ist es aber nicht so, daß wir hier gegen Lehren sind, und am allerwenigsten, wenn man sich nicht nach ihnen zu richten braucht.”
Der Pfarrer in der Gemeinde am Gletscher scheint in der Tat weniger ein Mann der Theorie als der handfesten Praxis zu sein. ‟Am 18. Juni, als Professor Doktor Otto Lidenbrock hierherkam, war der Gemeindepfarrer eifrig damit beschäftigt, ein Pferd zu beschlagen, und das war er auch jetzt wieder. Der Hufschmied war von der gleichen Art wie sein Vorgänger und beschlug das Pferd zu Ende, ehe er Gäste begrüßte. Das Pferd war ein großknochiger Gaul, der gerade in der Frühjahrsmauser war und noch nicht wieder gut im Futter stand.”
‟Um hross veit maður ekki nema eitt með vissu”, erklärt der Gletscherpfarrer. ‟Von einem Pferd weiß man nur eins mit Sicherheit: Es gehört keiner Kirchengemeinde an, ist nicht getauft, nicht erlöst; meist sitzt ein Betrunkener im Sattel. Obendrein besteht kein Bedarf für Pferde in einem Land, in dem Betrunkene und Nichtbetrunkene dazu übergegangen sind, Auto zu fahren. Dennoch hält man dieses Tier weiter, um damit großzutun, es zu quälen, darüber Lobgedichte zu machen und es zu essen... Meines Erachtens gehört das Beschlagen von Pferden zur Seelsorge.”
Die meisten pferdehaltenden Isländer nehmen die Seelsorge für ihre vierbeinigen Freunde ernst. So respektieren sie im allgemeinen, daß die Tiere ein Recht auf menschenfreien Urlaub haben. Man reitet sie im Winter bei Stallungen in der Nähe der Stadt und im Sommer auf dem Land ober bei Distanzritten übers Hochland; aber am Ende des Sommers kommen die allermeisten Pferde bis Weihnachten in weitläufige, offene Weidegebiete, wo man sie monatelang frei laufen läßt, damit sie sich ein wenig vom Menschen entwöhnen und ihren eigenen Willen wieder frei ausleben können. ‟Unsere Pferde brauchen das, sonst verlieren sie ihren eigenwilligen Charakter”, haben mir im Lauf der Jahre etliche Isländer versichert. Ich bin überzeugt, daß sie richtig und im Sinn der Tiere handeln.
‟Ja, ein wie gut geschnitztes Geschöpf ist doch das Pferd, so schön geformt, daß schon ein halber Strich mehr mit dem Schnitzmesser das ganze Werk zerstören würde”, wußte auch der weise Laxness. ‟Sieh dir den Huf an, in dem alle Finger der Welt sich vereinen: Klaue und Kralle, Hand und Patsche, Tatze und Flosse, Finne und Flügel. Sicherlich deshalb weil das Pferd etwas so Vollkommenes ist, hängt sein Wahrzeichen, das Hufeisen, bei uns über allen Türen, das Wahrzeichen von Glück, Fruchtbarkeit und Weib, das Gegenstück vom Kreuzeszeichen.”
‟Mit das Schönste und Großartigste, was man auf dem Lande erleben kann, ist der der Anblick von Pferden, die durchgehen, besonders viele zuhauf... Dann traben sie los, als flüchteten sie vor einem langsam fließenden glühenden Lavastrom, doch jede Bewegung ist blitzartig, als sei Wind in den Nerven... Plötzlich scheint es wie Feuer unter den Hufen dieser seltsamen Tiere zu fließen, sie rasen dahin wie der leibhaftige Sturm, über Geröll, Sümpfe und Schluchten, tauchen im Bruchteil eines Atemzugs den Rand des Hufs in den Brand, der unter ihren Füßen lodert, setzen über Wasserläufe, Klüfte und Klippen, rasen steile Abhänge hinauf, bis sie rettungslos eingeklemmt zwischen Steinblöcken ganz oben auf einem steilen Felsgrat stehen, sterben und gefressen werden von Vögeln.”
(Halldór Laxness: Atomstation)
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