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Montag, 22. September 2014
Quinkan Art






Am nächsten Morgen geht es von der Küste landeinwärts in die Berge. Ein paar Anstiege, ein paar Serpentinen durch Regenwald und wir kommen auf eine offene Hochebene, auf der vor allem Mangos und Kaffee angebaut werden; dahinter Savanne mit allmählich wieder dichter werdendem Busch- und Baumbestand, bis sich aus dem grünen Wald das Sandsteinplateau von Laura erhebt. Es ist an die zehntausend Quadratkilometer groß, und seine steilen Randklippen sind von etlichen Schluchten zerfurcht. Darin Felsüberhänge, ausgewaschene Höhlen und am Fuß Trümmerfelder von großen, tonnenschweren Felsblöcken, überall öffnen sich Wölbungen und Hohlräume im Sandstein, die in der Regenzeit Schutz vor den massiven Wolkenbrüchen und ergiebigen Regenfällen bieten. Die Aborigenes haben sie seit Anbeginn ihrer Landnahme als Versammlungsplätze, als Wohnorte in der Regenzeit und als geheiligte Stätten der Initiation junger Männer und geheimer Riten eingeweihter Männer genutzt.

Am regionalen Kulturzentrum in Laura treffen wir Roy. Er ist als Ranger und Guide beim Zentrum angestellt und wird uns zu einigen der mehr als tausend Fundstellen alter und sehr alter Felsbilder führen. Leider hat Roy keinen Führerschein, und so dürfen wir selbst das große Buschtaxi über schmale, sandige und teils felsige Waldpfade steuern. Der hochrädrige LandCruiser wühlt sich wie auf Schienen durch Sand und tiefe Furchen, während Zweige auf beiden Seiten gegen Spiegel und Seitenfenster peitschen. Ziel sind die Galerien von Quinkan-Bildern, tief im Busch verstreut. Quinkan sind nach Roys Auskunft böse Geister, die in Felsspalten hausen und Menschen ins Verderben locken wollen. Sie sind auf den Felsbildern sehr dünn dargestellt, haben große, runde Augen und eigentümliche Schlappohren. Abgebildete Tiere bezeichnet Roy als Totemtiere bestimmter Clans: Krebs, Fisch, Yamswurzel, Känguru und Emu. Letztere sollen besonders hoch angesehene Clans bezeichnen, weil ihre Mitglieder in sehr viele Geschichten aus der ‟Traumzeit” eingeweiht waren. Roy kennt sie nicht und überhaupt auch nur Versatzstücke der Geschichten, die die Bilder möglicherweise erzählen. Er benennt meist Motive, die man mit ein bißchen Vorwissen fast auch allein von ihnen ableiten könnte. ‟This Flying Foxes, yeah. They live here, sleep in the cave, hanging upside down, yeah.”

Aber Roy stammt auch nicht aus dieser Gegend, wie die wenigsten Aborigenes, die heute um Laura leben. Die ursprünglich hier ansässigen Eingeborenen standen den Weißen im Weg, die nach der Entdeckung von Gold am Laura River nach 1873 in Scharen in die Gegend strömten. Die meisten Schwarzen wurden deportiert, und wer sich wehrte wurde massakriert. 1922 dezimierte grassierende Lungenentzündung die Eingeborenen weiter. Später siedelte man welche aus anderen Gegenden als billige Arbeitskräfte hier an. Die Kontinuität in der Weitergabe der lokalen Geschichten war abgerissen. Die zugezogenen Aborigenes kannten sie nicht, und sie kannten bald kaum noch die Stätten, an denen ihre Vorgänger ihre Clanzeichen und Geschichten auf den Felswänden ihrer Wohnplätze und geheiligten Stätten verewigt hatten. Sie interessierten sich nicht für sie, es waren nicht ihre Bilder und nicht ihre Geschichten, und die traditionelle Lebensweise war nicht mehr die ihre. Sehr viele langweilten und soffen sich in abgeschotteten ‟communities” langsam zu Tode.

‟We now know that people’s rights to land vary according to the links they have with the ancestral beings that created or traversed the landscape and were transformed into its physical features [...] Their travels are represented by myth sequences (colloquially called ‘songlines’), which form paths linking sites over a wide area and are expressed in song cycles and ceremonial reenactments.”

So faßte Mike Davies in seiner Archeology of Australia’s deserts (2013) den Kern der seinerzeit von Chatwin bei uns bekannt gemachten Songline-Tradition bei den Aborigenes zusammen. ‟Rock paintings and engravings are grounded in a totemic mythology that articulates ritual relationships between people and place [...] Most rock art is conceptually linked in some fashion to the place where it occurs and most relates to the ‘dreaming’. Painting of totemic designs in rockshelters appears to have been exclusively the work of senior initiated men” – und die heute um Laura lebenden Aborigenes kamen aus anderen Gegenden und waren dementsprechend nicht in die Songlines und Place dreamings eingeweiht, die zu den Felsbildern der Quinkan-Kunst gehörten.

Weiße Forscher fanden die bemerkenswerten Felsbilder in den Wäldern wieder und versuchen sie zu rekonstruieren. Als sie die Aborigenes nach ihnen befragten, wollten diese zunächst gar nicht glauben, daß die Bilder von Menschen gemalt worden waren. (Smith:2013, Edwards:1966)
Roy bekräftigt nur mantrahaft das hohe Alter der Quinkan-Kunst, das tief bis ins Dunkel der Vorgeschichte zurückreicht. Es ist allerdings bis heute nicht zweifelsfrei und kaum exakt nachgewiesen, ältere Abbildungen wurden im Lauf der Jahrhunderte immer wieder übermalt, sodaß sich auf den Felswänden oft ein buntes Palimpsest übereinanderliegender Bilder und Farbschichten findet. Die frischeren Darstellungen reichen bis in die Zeit des Goldrauschs oder sind vielleicht noch jünger. Am sogenannten ‟Giant Horse” sieht man nicht nur ein großes Pferd in gelbem Ocker, sondern auch seinen Reiter, der gerade abgeworfen wird und gekleidet und bewaffnet ist wie ein Cowboy. ‟Sorcery, yeah”, stößt Roy hervor. Die Aborigenes, die dieses Bild gemalt haben, wollten den weißen Reitern damit Hals- und Beinbruch auf den Leib hexen. Der Weiße, der diese Bilder heute erforscht, macht uns am nächsten Tag darauf aufmerksam, daß zu der Gruppe auch eine mit demselben Ocker gemalte Frauenfigur gehört. ‟Ich denke, diese Aborigene ist vorher von dem Reiter vergewaltigt worden, und der Schadenszauber des Malens ist Teil oder Wunsch einer Rachehandlung. Aber genau weiß das keiner mehr.”

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