Russischer Badeort an der Ostsee mit fünf oder sechs Buchstaben? Bis 1941 hätte man noch Hanko oder Hängö (oder Russisch Гангут) ins Kreuzworträtsel schreiben können. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion aber zog sich die Rote Armee im Dezember ‘41 aus dem Hafen an der äußersten Südwestspitze Finnlands zurück, den sie sich nach dem Winterkrieg gerade erst wieder hatte abtreten lassen. Zwar war Hangö spätestens seit der Wikingerzeit ein Lande- und Hafenplatz auf dem alten Seeweg nach Rußland und Nowgorod, und die Schweden hatten es später befestigt, aber erst die Russen gründeten auf der sandigen Halbinsel 1874 eine kleine Hafenstadt, die in ihren ersten fünfzig Jahren für rund 300.000 finnische Auswanderer das Sprungbrett zur Welt wurde. Die reiche Oberschicht Rußlands entdeckte und okkupierte Hangö bald als einen herrlichen, nach Süden gerichteten Badeort. Die weißen Holzvillen aus der Zarenzeit, eine orthodoxe Kirche und das große Kasino stehen heute noch, hell herausgeputzt, als gründerzeitliche Perlen ins Grün lichter Kiefernhaine eingebettet.
Wir waren aus dem Norden die milde, helle Sommernacht durchgefahren – auch nachdem die Sonne endlich unter den Horizont gedippt war, so hell, daß nicht einmal der Vollmond besonders ins Auge fiel –, und irgendwann in aller Frühe in Hangö angekommen, stellten den Wagen am Strand ab, drehten die Seitenscheiben runter und die Sitzlehnen zurück, guckten auf das zarte Blau, in das Himmel und Meer gleichermaßen getaucht waren, und schliefen zum Zwitschern der ersten Vögel ein.
Mag sein, daß schon ein früher Jogger vorbeigekommen war, aber wir wachten vom Quietschen einer nicht geölten Fahrradkette auf, als eine einzelne ältere Frau langsam vorüber radelte. Sie blieb für eine ganze Weile der einzige sichtbare Mensch außer uns. Es war Sonntag, und wir hatten den Sandstrand, über dem schon wieder die Sonne aufstieg, und die im Halbschatten der Kiefern liegenden Wege zwischen den schmucken Villen in ihren Gärten für uns allein. Unseren Aufbruch nach Süden zögerten wir bis zum letztmöglichen Augenblick hinaus. Näkemiin Finnland!
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