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Sonntag, 13. Oktober 2013
Blick nach Duino

Wieder ein Sonntagmorgen, wieder hat sich das Wetter beruhigt, der Sturm ist abgeflaut, die Wogen haben sich geglättet. Die ersten Wassersportler trauen sich bereits wieder in wackligen Fahrzeugen aufs Meer und sind froh, den Sturm los zu sein. Aber die Bora ist nicht nur ein lästiges Ärgernis und bringt in heftigen Böen von den Alpen herabstürzende Kaltluft und ebenso schnell fallende Temperaturen mit sich, sondern sie fördert auch Poesie und sogar hohe Gedankenlyrik.

Je mehr die Wolken sich heben und verziehen, desto klarer zeichnet sich in der frisch gewaschenen Luft das jenseitige Ufer des Golfs ab. Triest ist gut zu sehen, und in der Vergrößerung durch das Teleobjektiv treten sogar die Duineser Schlösser hervor.
Angeblich im Brausen der Bora will Rilke dort drüben im Winter 1911/12 die ersten Verse seiner Duineser Elegien gehört haben: "Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?" – Ja, schreien muß man schon, wenn man die Bora übertönen will.

Bestimmt vornehm im Ton, aber vernehmlich in der Dringlichkeit hatte der einsame Rilke in der Pariser Wüste auch vorher schon gerufen. Er wartete wieder einmal auf eine Einladung von seiten seiner reichen Gönnerinnen. Im September 1911 wurde er endlich erhört: "Welcher Segen, dass Sie mich in Duino verbergen wollen: als ein Flüchtling, wie unter fremdem Namen, will ich mich dort aufhalten, nur Sie sollen wissen, dass ichs bin", schrieb er an Marie von Thurn und Taxis, die ihn seit der Veröffentlichung des Malte Laurids Brigge sponserte und 1910 schon einmal auf ihr Schloß in Duino nahe beim damals noch k.u.k.-österreichischen Triest eingeladen hatte. Jetzt bot sie ihm das Schloß neuerlich als Wintersitz an.

Marie von Thurn und Taxis und Rilke

Im Oktober vor 101 Jahren traf Rilke im Wagen der Fürstin von Thurn und Taxis in Duino ein. Mitte Dezember reiste sie wieder ab, um nicht in Wien die rauschenden Opernbälle zu verpassen. Rilke: "Nun ist wieder Einsamkeit. Für mich ist's der Urstoff." Er steckte sein kleines Notizbuch ein und ging spazieren. Auch bei Sturm. Die zehn Duineser Elegien sind 1912 “ja nicht erarbeitet worden, da hat er ja nicht am Schreibtisch gesessen. Sondern die sind ihm im Toben der Bora visionär eingegeben worden”, erzählte ein begeisterter Rilke-Kenner dem Deutschlandfunk. “Das sind ja Offenbarungen. Das erinnert an Mohamed, der den Koran empfangen hat. – So sind religiöse Mythen entstanden.”

Na ja. Aber Rilkes Neunte, in jenem Winter drüben in Duino zumindest begonnen, ist wirklich großartig. Ich stehe auf der Piraner Terrasse und schaue über das von “eines Windes Lächeln” noch grau aufgewühlte Meer hinüber, während ich lese, Auszüge:

Warum, wenn es angeht, also die Frist des Daseins
hinzubringen, als Lorbeer, ein wenig dunkler als alles
andere Grün, mit kleinen Wellen an jedem
Blattrand (wie eines Windes Lächeln) –: warum dann
Menschliches müssen...?
... weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar
alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das
seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein Mal
jedes, nur ein Mal. Ein Mal und nichtmehr. Und wir auch
ein Mal. Nie wieder. Aber dieses
ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur ein Mal:
irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.

Und so drängen wir uns und wollen es leisten,
wollens enthalten in unsern einfachen Händen,
im überfüllteren Blick und im sprachlosen Herzen.
Wollen es werden. – Wem es geben? Am liebsten
alles behalten für immer . . . Ach, in den andern Bezug,
wehe, was nimmt man hinüber?
Bringt doch der Wanderer auch vom Hange des Bergrands
nicht eine Hand voll Erde ins Tal, die Allen unsägliche, sondern
ein erworbenes Wort...
Sind wir vielleicht hier, um zu sagen: Haus,
Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster, –
Hier ist des Säglichen Zeit, hier seine Heimat.
Sprich und bekenn.

Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm
kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem...
Drum zeig ihm das Einfache, das von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet,
als ein Unsriges lebt...
Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos und unser..
... Und diese, von Hingang
lebenden Dinge verstehn, daß du sie rühmst; vergänglich,
traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu.
Wollen, wir sollen sie ganz im unsichtbarn Herzen verwandeln
in – o unendlich – in uns! Wer wir am Ende auch seien.

Erde, du liebe, ich will. Oh glaub, es bedürfte
nicht deiner Frühlinge mehr, mich dir zu gewinnen.

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