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Dienstag, 16. Juli 2013
Historische Substanz: Kalemegdan, Zemun
Blick vom Gardoš über Zemun nach Belgrad

Das einzige größere zusammenhängende Areal, das im Zentrum Belgrads heute von der langen und bewegten Geschichte der Stadt kündet, ist die große Festung auf dem Kalkbergsporn über dem Zusammenfluß von Donau und Save. Nach ihrem ehemaligen Burghof, türk. Kale meydani, wird sie Kalemegdan genannt. Der eigentliche Kalemegdan ist heute ein vielbesuchter Park, voll “Hoher Linden Honigduft” (Ivan Lalić). Als die Römer anrückten, fanden sie auf dem Felsplateau bereits eine runde Palisadenanlage der Kelten vor. Nach seiner Eroberung machten sie eines ihrer genormten Militärlager daraus. Dieses römische castrum wurde von Goten und Hunnen zerstört; danach baute nahezu jeder Eroberer die Burg auf dem Felsen nach seinen Anforderungen und Wünschen um.
Die ersten starken Mauern erhielt sie von den Byzantinern. Kaiser Manuel I. soll die Arbeiten persönlich beaufsichtigt haben. Nach der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 machte Stefan, der Sohn des dort gefallenen serbischen Fürsten und Heerführers Lazar, Belgrad zum Mittelpunkt eines kleinen serbischen Reichs, das allerdings die Oberherrschaft des osmanischen Sultans anerkennen und ihm Heeresfolge leisten mußte. Daher gehörte auch eine Abteilung serbischer Panzerreiter unter Stefan Lazarević zur türkischen Armee, die 1402 von den Mongolen Tamerlans (Timur Lenk, “der hinkende Eiserne”) bei Ankara vernichtend geschlagen wurde. Sultan Bayezid I. und seine dritte Frau Olivera, eine Schwester Stefan Lazarevićs, gerieten in die Gefangenschaft Tamerlans.

“There whiles he lives, shall Bajazeth be kept,
And where I go be thus in triumph drawn;
And thou, his wife, shalt feed him with the scraps
My servitors shall bring thee from my board”
(Marlowe, Tamburlaine the Great, IV. Akt)

Wegen fortgesetzter Demütigungen soll sich der Sultan nach wenigen Monaten umgebracht haben. In Marlowes Worten he “brains himself against the cage”.
Scarlatti (Il gran Tamerlano), Händel (Tamerlano) und Vivaldi (Bajazet) machten abendfüllende Opern aus dem düster-romantischen Stoff.

Stefan Lazarević kam auf seinem Rückzug durch Konstantinopel. Dort verlieh ihm Kaiser Johannes VII. als erstem serbischen Herrscher den Titel eines Despoten und erhob ihn damit in den zweithöchsten Rang des Byzantinischen Imperiums, der für Herrscher abhängiger Reiche und den Kronprinzen reserviert war. In der Nordostecke der Kalemegdan-Festung steht heute noch das “Tor des Despoten”, das Stefan Lazarević errichten ließ. Die Ungarn setzten ihm eine Generation später das doppeltürmige Zindan-Tor vor. Den nachfolgenden Osmanen diente es, wie der türkische Name Zindan erkennen läßt, als Kerker. Als die Habsburger im Zuge der offensiven Türkenabwehr Ungarn und seine Krone erobert und auch ihre Grenzfeste Belgrad (damals Griechisch-Weißenburg) übernommen hatten und die eher noch für mittelalterliche Belagerungen angelegte Festung mit neuzeitlichen Erdwällen und Sternbastionen umgaben, lagerten sie den schon bestehenden beiden Haupttoren noch ein drittes vor, das barocke Portal Kaiser Leopolds I.
Das Kalkplateau, auf dem die Oberburg liegt, gehört schon zu den waldreichen Mittelgebirgszügen der zentralserbischen Šumadija (=Waldland), doch von den Türmen und Bastionen der Zitadelle blickt man über Save und Donau weit über die Pannonische Tiefebene Richtung Ungarn.
Im Mittelgrund davor und hinter den tristen Wohnblocks von Neu-Belgrad liegt die letzte Stadt Österreich-Ungarns: Semlin. Man sieht es an den sogenannten Banater Häusern und an der Anlage und dem Verlauf der Straßen: hier war einmal Ungarn. Obwohl der Ort unter seinem serbischen Namen Zemun längst ein Teil von Belgrad geworden ist, hat er im Kern um den Gardoš-Hügel etliche seiner alten Straßenzüge aus k.u.k.-Zeiten bewahrt, die ihm einen vormodernen, fast dörflichen Charakter belassen.

Zemun

Das allgemeine Tempo in Zemun ist langsamer als in Belgrad. Fast beschaulich geht es vor allem in dem alten Viertel am Donauufer zu, wo früher meist Fischer lebten. Die billigen, kleinen Gaststätten, in denen sie für wenig Geld ihren Fang gleich aus der eigenen Küche auf den Tisch brachten, sind heute zwar etwas besser aufgemachte Restaurants für betuchtere Belgrader Bürger, aber noch immer ist es hier ganz gemütlich. Nur ganz so bunt gemischt wie früher ist die Einwohnerschaft Zemuns seit den Vertreibungen in den Neunziger Jahren nicht mehr. Viele alteingesessene Ungarn, Kroaten und Juden sind damals notgedrungen weggezogen. Aber viele Zemuner, die blieben, setzen sich noch immer stolz von den Belgradern ab. Sie unterlassen es nicht, zu betonen, daß sie eben “Zemunci” sind und nur, wenn es unvermeidlich ist, einmal südlich der Save übernachten.

“Žarko Radaković hatte seine Kindheit und Jugend in Zemun verbracht und trug seine Stadt wie ein Amulett bei sich. Mit Hilfe der Entfernung vom Gardos zum Restaurant “Venecija” durchmesse ich die deutschen Städte. Ich sehe die Kriegsinsel, den Nebel über der Donau und die nassen Dächer Zemuns, schrieb er in einem Brief an Nikola. Ob das Leben in Deutschland für Menschen wie mich mörderisch ist? Ist Deutschland – im Gegensatz zu Österreich, das immer in unmittelbarer Berührung stand zu den Räumen einer andersgearteten Mentalität... – der Morast Mitteleuropas, angefüllt mit einem starken Menschenschlag, der stets alle Katastrophen überlebt? Tatsache ist, daß sich Deutschland zu einem schönen, reichen, paradiesischen Land emporgearbeitet hat. Niemand besitzt eine Maschinenindustrie wie die Deutschen. Niemand! Auch die Häuser sind Maschinen. Die Menschen sind Maschinen.”
(Dragan Velikić: Erinnerung an Zemun, 1994)

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