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Sonntag, 6. Januar 2013
Ein persönlicher Blick auf Hollands Gesundheitssystem

Wenn sich auch nur ein Bruchteil der Zigtausend Holländer, die Neujahr ins Wasser gingen, so erkältet hat wie wir, werden die sparsamen niederländischen Gesundheitspolitiker sorgenvolle Mienen aufsetzen, denn Kostenvermeidung ist deren oberstes Gebot.
Darum schreibt das niederländische System jedem verbindlich vor, einen festen Hausarzt zu haben. Und zwar nicht aus Gründen persönlicher Betreuung, sondern weil er in erster Linie gründlicherer Behandlung als kostengünstiger Schnellerlediger und Abwimmlerwiegler vorgeschaltet ist. An ihm führt im Krankheitsfall kein Weg vorbei. Seine Sprechzeiten sind getaktet. Je nachdem, welche Beschwerden man bei einer telefonischen Terminabsprache angibt, darf er sich 10, 15 oder gar 20 Minuten Zeit für eine Diagnose und angemessene Behandlung nehmen. Als ich einmal, froh einen Termin bekommen zu haben, gleich mehrere Dinge abklären wollte, erhielt ich die herzerwärmende Abfuhr: "Was tut am meisten weh? Für alles andere haben wir jetzt keine Zeit."
Bei bestimmten Symptomen nach dem Prinzip der freien Arztwahl gleich einen passenden Facharzt aufzusuchen, “dat kan niet” in Holland. Denn Fachärzte sind zu teuer. Gynäkologische Kontrolluntersuchungen beispielsweise führt in den Niederlanden mal eben der Allgemeinmediziner durch – alle 5 Jahre. Frauen aus anderen Ländern, die etwas lebensverlängerndere Vorsorgeintervalle gewöhnt sind, werden von holländischen Ärzten als wehleidige Sissies angesehen.
Als eine Bekannte einmal bei ihrem huisarts eine Vorsorgeuntersuchung regelrecht einforderte, erhielt sie von ihm die ablehnende Antwort: “Ach wissen Sie, wenn man so oft und gründlich sucht, dann findet man doch auch etwas.”

Über derartige Denkweisen und Zustände im niederländischen Sozial- und Gesundheitswesen brachte der Deutschlandfunk erst vorgestern einen kurzen Bericht. Darin wurde z.B. dargelegt, daß ein Vater in den Niederlanden nach der Geburt eines Kindes Anspruch auf ganze 2 Tage Vaterschaftsurlaub hat. Krippenplätze sind rar und kosten sehr viel Geld, das Kindergeld beträgt dagegen 190 Euro – im Vierteljahr.
“Anders als ihr Ruf, sind die Niederlande nach wie vor in vielen Belangen eine sehr konservative Gesellschaft”, stellte der Deutschlandfunk fest. “Bis vor Kurzem war es für Frauen ganz normal, nach der Geburt ihres Kindes den Beruf an den Nagel zu hängen. Krippenplätze gab es nicht, wer sein Kind nicht selbst aufzog, galt oft als Rabenmutter. Folge: In Sachen Berufstätigkeit waren die Niederländerinnen lange Zeit europäisches Schlusslicht.”

Einen unbestreitbaren Vorzug hat das niederländische Gesundheitssystem allerdings: Es gibt keine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Alle werden nach denselben Kostenminimierungsregeln mehr oder weniger behandelt. Ein anderer Bekannter schleppte sich letzte Woche mit 40 Grad Fieber zum Hausarzt. Der diagnostizierte eine Lungenentzündung – und verschrieb eine Packung Paracetamol. “Sollte es in fünf Tagen nicht besser sein, können Sie noch einmal wiederkommen.”

Seine kroatische Frau hat auch durch die Kinder viele Erfahrungen mit holländischen Ärzten gesammelt, die sie immer wieder ins Grübeln brachten. Inzwischen hat sie sich ein Urteil gebildet. “Das holländische Gesundheitssystem”, sagt sie überzeugt, “ist eine Mischung aus Kalvinismus und Esoterik. In keinem anderen Land des Westens glaubt man so fest an Prädestination und an die Selbstheilungskräfte der Patienten.”

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