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Dienstag, 10. April 2012
"Niemandsland"


Landvermesser, Prospektoren und Viehtreiber drangen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts immer weiter ins Zentrum Australiens vor, und es kam nicht selten zu bewaffneten Zusammenstößen mit – oder zutreffender gesagt: Massakern an den hoffnungslos unterlegenen Ureinwohnern. Bei Moorundie am Murray River knallten Weiße 1839 mal eben dreißig Aborigenes über den Haufen. Der vom südaustralischen Gouverneur darauf zum “Resident Magistrate and Protector of Aborigines on the Murray River” ernannte Grundbesitzer John Eyre hielt in seinem Tagebuch fest:

“the only idea of the men was retaliation, to shoot every native they saw [...] if nothing be done to check it, the whole of the Aborigonal tribes of Australia will be swept away from the face of the earth.”
(Edw. John Eyre: Journals of expeditions of discovery into Central Australia, 1845)

Eyre sollte recht behalten. Nur wenige Jahrzehnte später waren bereits ganze Stämme ausgerottet. Bei einer einzigen sogenannten “Strafaktion” ließ der Chef der berittenen Polizei von Alice Springs, William Willshire, mehr als 150 der in der Umgebung lebenden Arrernte massakrieren. Insgesamt sollen während seiner Amtszeit zwischen 500 und 1000 Eingeborene umgebracht worden sein.



Wie man einen ganzen Erdteil trotz offensichtlich vorhandener Bewohner kurzerhand zur Terra nullius erklärt und dementsprechend zweihundert Jahre lang mit Land und Bewohnern zu verfahren beliebt, läßt sich in groben, aber sehr deutlichen Zügen in Sven Lindqvists gleichnamigem (leider noch nicht auf Deutsch, aber wenigstens auf Englisch erschienenen) Buch aus dem Jahr 2005 nachlesen, das so etwas wie eine Chronik der weißen Verbrechen an den Aborigenes darstellt.
Am Beispiel der Wave Hill-Farm im Northern Territory zeichnet Lindqvist in wenigen Strichen paradigmatisch nach, was im Innern Australiens passiert ist. Die Farm umfaßt Weideland von annähernd 100.000 km². Das ist dreimal so groß wie Belgien. In den 1880er Jahren wurde es dem Aboriginevolk der Gurindji einfach weggenommen. Es war ja offiziell Niemandsland, Terra Nullius. Der Wikipedia-Artikel über den Gurindji strike schreibt zu der brutalen Enteignung:

“Aboriginal groups in this predicament found their waterholes and soakages fenced off or fouled by cattle, which also ate or trampled fragile desert plant life, such as bush tomato. Dingo hunters regularly shot the people's invaluable hunting dogs, and kangaroo, a staple meat, was also routinely shot since it competed with cattle for water and grazing land. Gurindji suffered lethal "reprisals" for any attempt to eat the cattle – anything from a skirmish to a massacre. The last recorded massacre in the area occurred at Coniston in 1928.”




Zu der Zeit befand sich das Land längst im Besitz der Vesteys. Sie hatten sich aus einem Liverpooler Fleischerladen ins britische Oberhaus und zu einem Adelstitel hochverdient. Das Geheimnis ihres Erfolgs hieß Kühlfleisch. Sie kauften Viehfarmen in Südamerika, Neuseeland und Australien und verschifften das Schlachtfleisch tiefgekühlt in Schiffen ihrer firmeneigenen Reederei nach England. Für seine Versorgung Englands mit argentinischem Rindfleisch während des Ersten Weltkriegs wurde William Vestey zum Baron erhoben. Da ihm eine ausnahmsweise Befreiung von der Einkommenssteuer jedoch leider nicht bewilligt wurde, verlegte er den Firmensitz zeitweilig nach Buenos Aires, nach Chicago, dann nach Paris, während die Firma weiterhin den englischen Groß- und Einzelhandel dominierte. Die Vesteys waren frühe global player, deren Imperium 1995 teilweise zusammenbrach, inzwischen aber wieder einen in siebzig Ländern operierenden Privatkonzern, die Vesteys Group, darstellt. Der heutige (3.) Lord Vestey besitzt natürlich ein Londoner Stadthaus im vornehmen Viertel Belgravia, seit 1921 den 24 km² großen Landsitz Stowell Park in Gloucestershire und ein Ferienhaus in Nizza; ein geschätztes Privatvermögen von 650 Millionen Pfund nicht zu vergessen, was seinen präsumptiven Nachfolger William Guy Vestey auf Rang vier einer vom Guardian erstellten Liste der reichsten Erben Englands bringt.




Dieses gewaltige Vermögen rafften die Vesteys u.a. mit brutalster Ausbeutung ihrer Landarbeiter zusammen. Ein Untersuchungsausschuß der Regierung des Northern Territory hielt noch 1930 schriftlich fest, “that they [die Vesteys] had been ... quite ruthless in denying their Aboriginal labour proper access to basic human rights.”
Der Aborigene Billy Bunter Jampijinpa, der damals auf Wave Hill Station lebte, erklärte:

“We were treated just like dogs... We lived in tin humpies you had to crawl in and out on your knees. There was no running water. The food was bad – just flour, tea, sugar and bits of beef like the head or feet of a bullock. The Vesteys mob were hard men. They didn't care about blackfellas.”

Weißen Farmarbeitern wurden dagegen wenigstens der gesetzliche Mindestlohn gezahlt und menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung gestellt. “In der Praxis betrieb man die Fleischproduktion Nordaustraliens mit eingeborener Arbeitskraft, die man mit dem Zugeständnis bezahlte, auf dem Land wohnen bleiben zu dürfen, das man ihr vorher gestohlen hatte”, bringt Lindqvist das System auf den Punkt.

1966 begannen die Gurindji einen Streik mit dem ultimativen Ziel, ihr Land zurückzubekommen. Dieser Streik hielt neun Jahre lang an und wuchs zu einer nationalen Angelegenheit, die die Rechtssprechung ganz Australiens zu den Landrechten änderte. 1975 erhielten die Gurindji von Premierminister Whitlam etwas mehr als 3000 km² ihres Landes (also gerade einmal 3% vom Gesamtbesitz der Wave Hill Station) rückübereignet. Anregungen, endlich vernünftige Wohnbedingungen und Sozialleistungen für die schwarzen Arbeiter zu schaffen, lehnte Vesteys ab und investierte stattdessen in Hubschrauber und Road trains. Die Arbeiter wurden entlassen und sind seitdem arbeitslos. So macht man das, wenn die Lohnsklaven nicht spuren, wie seine feine Lordschaft in London oder New York oder Nizza oder auf der Privatjacht das will.



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