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Samstag, 7. April 2012
Auf dem Weg nach Hermannsburg, N.T.
Am nächsten Tag versuchten wir, wenigstens bis Hermannsburg durchzukommen. Es liegt ja kaum 130 Kilometer von Alice entfernt; ein Katzensprung, und die beiden Zufahrtsstraßen, der Larapinta Drive oder der nördlich davon am Fuß der Macdonnel Range nach Westen führende Namatjira Drive, sind größtenteils asphaltiert, doch ab und zu von einigen rostroten Schotter-und-Staub-Abschnitten mit üblen Schlaglöchern, Waschbrettern oder tief ausgefahrenen Spurrillen unterbrochen. Diese Abschnitte sahen jünger aus als die Asphaltstrecken; als hätte man die Straße an den ausgesetztesten Stellen dem Flugsand aus der Wüste überlassen oder die Asphaltdecke sogar wieder abgerissen. Jedenfalls war es gut, den Allradantrieb zu haben. Der Wagen rollte und rollte, vorbei an überfahrenen Kängurus und winzig kleinen Melonen, die wild gleich neben der Fahrbahn wuchsen. Sie schmeckten noch sehr bitter.
Das lange Fahren durch die gleichförmig karge Landschaft – im Norden das skoliotische Rückgrat der Bergkette, nach Süden eine verstaubt grüne Savanne mit locker stehenden Bäumen und leeren Flecken roter Erde dazwischen – ließ mehr als genug Zeit, sich im Anrollen Paster Harms, den ollen Knasterkopp, vorzustellen, wie er mit der langstieligen Pfeife in der Hand bequem im grünen Hermannsburg an der Örtze, nicht weit von Bergen-Belsen entfernt, auf seinem Ohrensessel saß und schmauchte wie Lehrer Lämpel, während seine von ihm ausgebildeten “Kinder” draußen in der heißen Welt unter auszehrenden Entbehrungen versuchten, den Hottentotten in Afrika und den Kanaken in der Südsee und Australien endlich den rechten Glauben beizubringen und so auch ihre Seelen zu retten.
Der so deutsch klingende Name und der Ort im Outback gehen tatsächlich auf das gleichnamige Hermannsburg in der Lüneburger Heide zurück. Dort gründete der Prediger Ludwig Harms, wenigen noch als der “Erwecker der Heide” bekannt, 1849 ein Missionsseminar. Es sollte vor allem ungebildeten Bauernsöhnen aus der Umgebung in der Nach-‘48er Zeit ein festes, restauratives Weltbild, eine Aufgabe und eine berufliche Perspektive bieten. Bei den eigenen Vorgesetzten in der hannoverschen Landeskirche war Harms seit längerem verpönter pietistischer Neigungen verdächtig. Er selbst verstand sich vor allem als strenggläubiger Lutheraner und politisch als Antidemokrat. So verwahrte er sich strikt gegen jede Art von Mitbestimmung oder gar die 1848 eingeführte Wahl von Kirchenvorständen und sonstigen “demokratischen Kram”. Seine Schüler, die “Kinder”, mußten ihm einen persönlichen Treueid leisten und ihn mit “Vater” anreden. Er unterwarf sie einem strikten Regiment mit einem von morgens bis spätabends streng klösterlich geregelten Tagesablauf. Doch als der erste Jahrgang seiner jungen Missionare vom Konsistorium der Landeskirche examiniert werden sollte, stellten die Prüfer eklatante Wissenslücken besonders auf geistlichem Gebiet fest. In allen anderen Fächern lautete die Note ohnehin: “defectus scientiae”. Pastor Harms focht das nicht an. Er war der Meinung, seine Bauernmissionare sollten mit Axt und Mistforke womöglich besser umgehen können als mit Buch und Feder und schickte sie mit der im Auftrag der Mission gebauten Zweimastbark Candace 1853 zunächst nach Ostafrika. (Ja, sie ist Namengeber und Vorbild für das Schiff, das 1969 mit Missionaren an Bord als Königin Kandace in der Schule der Atheisten Schiffbruch erleidet: "Hier sitz'Ich; hier will Ich fossilisieren." - "Auf einer Reise ist Àlles intressant; sèlbst das UnIntressante".) Der noch im 19. Jahrhundert die ostafrikanische Küste beherrschende Sultan von Maskat und Oman verweigerte den deutschen Missionaren allerdings die Landeerlaubnis, und so fuhren sie zurück nach Südafrika und errichteten in den Bergen von Natal eine erste Missionsstation mit Namen Hermannsburg. Eine zweite wurde 1864 in der indischen Provinz Madras gegründet. Beide standen unter peinlichster Aufsicht des Stammhauses in der Heide und mußten für jede Anschaffung, und sei es nur ein Buch, bei Harms brieflich um Genehmigung nachsuchen.
Im Jahr seines Todes, 1865, erhielt Ludwig Harms einen Brief aus Australien. Dort hatte John McDouall Stuarts erste Durchquerung des Kontinents die Aufmerksamkeit auf das riesige unerschlossene Innere gelenkt und den Missionaren neue Betätigungsfelder zur Bekehrung der unwissend im Heidentum befangenen Schwarzen dort aufgezeigt. Das mildtätige Werk der Heidenmission auf dem Fünften Kontinent sollte in ganz überproportionalem Maß von Deutschen betrieben werden. In den ersten sechzig Jahren der weißen Besiedlung wurde die Hälfte von sechzehn Missionsstationen von Deutschen eingerichtet und unterhalten. Einer der Gründe mag gewesen sein, daß deutsche Staaten zu der Zeit noch keine eigenen Kolonien besaßen, während englische Missionare sich im riesigen britischen Empire angenehmere Posten als im australischen Outback aussuchen konnten. Zudem standen die Protestanten in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Druck des Königs, die lutherische und die reformierte Konfession zu einer “unierten” Kirche zusammenzulegen. Nicht wenige Pfarrer und Gemeinden weigerten sich und wollten in jenen Jahren der Massenauswanderungen lieber Deutschland verlassen. Das galt u.a. auch für die altlutherische Gemeinde im brandenburgischen Klemzig (heute Klepsk in Westpolen). Ihr Pastor, August Ludwig Christian Kavel, reiste Anfang 1836 nach Hamburg, um Möglichkeiten eines Exodus’ seiner Gemeinde nach Rußland oder Amerika zu sondieren. Dort hörte er, daß man für die erst zwei Jahre zuvor formell gegründete Kolonie Südaustralien dringend Siedler suchte, und reiste weiter nach London, um George Fife Angas zu treffen, den Vorsitzenden der South Australian Company, die in der Kolonie Land erwarb und an integre Siedler weiterverkaufte. (Die Deportation oder Einreise von Sträflingen nach Südaustralien war, anders als im Rest Australiens, gesetzlich verboten.)
Von November 1838 bis Januar 1839 landeten vier englische Schiffe mit knapp 600 deutschen Emigranten aus Klemzig in Adelaide. 1841 folgten noch einmal 224 Auswanderer. Sie gründeten um Adelaide fünf Dörfer, und die deutsche Gemeinde in Südaustralien gedieh und suchte für die ständig wachsende Zahl ihrer Mitglieder Pastoren bei den diversen Missionsgesellschaften in der alten Heimat, darunter auch in Hermannsburg. Am 27. Juli 1865 schrieb Harms seinem Superintendenten Karl Hohls nach Südafrika, daß Gott ihrer Mission ein neues Einflußfeld eröffnet habe. Im Inneren von “Neu-Holland” seien zahlreiche Eingeborenenvölker entdeckt worden, die als lernfähig gälten. Zwölf lutherische Gemeinden dort hätten ihn dringend ersucht, Missionare für die Heidenmission zu entsenden. (Ludwig Harms: In treuer Liebe und Fürbitte, Gesammelte Briefe von 1830 - 1865, Münster, 2004)
Am 24. August 1866 trafen die ersten fünf Hermannsburger in Adelaide ein, vier Missionare und ein Schmied, der ihnen als Gehilfe zur Hand gehen sollte, Hermann Heinrich Vogelsang aus Osnabrück.
Kein Mitglied der Südaustralischen Missionsgesellschaft hatte das Innere des Landes je mit eigenen Augen gesehen, aber sie beauftragten die beiden neuen Missionare Johann Friedrich Gößling und Ernst Homann, mit Vogelsang und einem weiteren deutschen Laienbruder namens Ernst Jacob am Killalpaninna oder Lake Hope im Lake Eyre-Becken 720 Kilometer nördlich von Adelaide eine Missionsstation für die Eingeborenen zu errichten. In dem Jahr hatte es vergleichsweise viel geregnet, und der See enthielt sogar Wasser. Doch das änderte sich in den folgenden Hitzeperioden. 1871 kehrte Homann händeringend an die Küste zurück, um seine Vorgesetzten von der Unhaltbarkeit der Lage zu überzeugen. Vergeblich. Man schalt ihn einen Kleingläubigen und schickte einen Brunnenbohrer und einen Ersatzmann in die Wüste. Der kapitulierte nach zwei Jahren ebenfalls. Heinrich Vogelsang und seine Frau hielten als letzte aus, doch die Missionstätigkeit am Lake Hope kam 1873 zum Erliegen.
Wir hatten auch so ein Ausnahmejahr erwischt, denn die schwarz verkohlten Baumstämme draußen trugen alle frisches Grün. In einigen flachen Senken standen sie sogar mit den Füßen in bräunlich-violettblau schimmernden Wasseransammlungen. Die Herzogin mußte glatt aussteigen und ein kleines Tänzchen vollführen. (Das darf ich aber im Bild nicht zeigen. Darum hier eins ohne savannengrasbehüpfende Elfe.)
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