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Montag, 15. Dezember 2008
Die Stille der Ameisen. J.M.G. Le Clézio: L'Africain
Wie in jedem Jahr rätselten auch in diesem die Auguren im Vorfeld der Buchmesse, auf wem die kritisch suchenden und sichtenden Augen des Nobelpreiskomitees schließlich wohlwollend ruhen bleiben würden. Louis Begley und Adolf Muschg sind wohl inzwischen etwas schwerhörig und hatten die an sich unüberhörbaren Zeichen aus Stockholm nicht mitbekommen, denen zufolge ein amerikanischer Autor wie Philip Roth schon allein wegen seiner unter Niveau angesiedelten Nationalliteratur keine Berücksichtigung finden konnte. Eine Doppelnominierung unter den von der ZEIT befragten Schriftstellerkollegen erhielt sonst nur noch der Modellschwede Per Olof Enquist. Einsam an der Spitze aber rangierte - und das spricht sehr für den Sachverstand der Autoren - die wohl eher im Arkanen dichtende dänische Lyrikerin Inger Christensen. Au ja, das wäre eine vortreffliche Wahl, dachte sich der Fahrtenbuchschreiber und blieb ungläubig. Das Nobelkomitee überraschte dann wieder einmal alle: Jean-Marie Gustave Le Clézio hatte wohl niemand auf seiner Liste. Mehr als dreißig Bücher hat er seit den sechziger Jahren zumindest im Ausland weitgehend unbeachtet veröffentlicht. Dabei gilt er als Kosmopolit und Weltenbummler, der sich überall und nirgends zuhause fühlt. Außer in Frankreich und England hat er in Nigeria, Thailand, Mexiko und Panama gelebt und war darüber hinaus viel auf Reisen. Der Spiegel apostrophierte ihn als “französischen Bruce Chatwin”. Er selbst erklärte allerdings, in seinem Leben habe er nur eine einzige wirkliche Reise gemacht, als achtjähriger 1948 zu seinem Vater, der seit zwanzig Jahren als Arzt in den Bergländern Nigerias und Kameruns praktizierte. Das Buch, das er vor vier Jahren darüber schrieb, trägt den Titel L'Africain und stellt den Versuch einer literarischen Annäherung an den unnahbaren Vater dar. Wie der Erzähler selbst erkennt, scheitert das Buch letztlich in diesem thematisch zentralen Vorhaben: “Heute bin ich fähig zu bedauern, daß ich diese Begegnung verpaßt habe [...] Dieser kleine Junge (er selbst zur Zeit des Wiedersehens mit dem Vater in Afrika) ist heute so fern von mir, daß keine Geschichte, keine Reise es mir erlaubt, ihn je wiederzutreffen.”
Das Afrika, in dem er zwischen den Weltkriegen die glücklichsten Jahre seines Lebens verbrachte, hat den Vater in den Jahren danach zunehmend desillusioniert, verbraucht und gebrochen. “Ich habe ihn nicht wiedererkannt, ihn nicht verstanden. Er war ein Fremder, ja mehr noch: fast ein Feind.” Zumindest ein Fremder ist der Vater ihm geblieben, und er bleibt es auch dem Leser bis zum Ende des Buchs, das ihn wieder einholen sollte, das aber auch sprachlich in einer überwiegend kühl distanzierten Haltung des referierenden Nennens und Beschreibens verharrt.
Nur wenige Male versucht sich die Sprache einzuleben, etwas Gestalt werden zu lassen, zu verlebendigen. Einer dieser Anlässe ist sicher als eine Schlüsselszene des Buchs gedacht. “Die Afrikaner sagen, daß ein Mensch nicht an dem Tag geboren wird, an dem er den Bauch seiner Mutter verläßt, sondern an dem Ort und in dem Augenblick, wo er gezeugt wird.” - Diesem Gedanken folgend, phantasiert der Erzähler die Nacht seiner eigenen Zeugung als eine “voller knisternder erotischer Spannung” bei einem Fruchtbarkeitsfest der Nkom im Bergland Nordkameruns. Doch über bis auf eine Hüftschnur nackte Frauen, die wild ekstatisch zu dröhnenden Trommelrhythmen tanzen, und ähnliche Stereotype kommt die Szene nicht hinaus.
Eine andere, eine der eigenen afrikanischen Kindheitserinnerungen des Jungen ist es, die mich am meisten beeindruckt hat, weil in ihr wirklich lebendig Empfundenes zur Sprache kommt.
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