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Samstag, 26. Juli 2008
Die dynastische Perspektive
Ereignisgeschichte, Strukturgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte... “Meine Damen und Herrn, das sind alles schöne und wichtige Disziplinen unserer Wissenschaft”, sagte mein alter Geschichtsprofessor vor langer, langer Zeit, “aber wenn Sie die Geschichte des alten Europa verstehen wollen, dürfen Sie eins nie außer Acht lassen: die dynastische Perspektive. Zu viele Dinge in seiner Geschichte sind durch den biologischen Zufall, durch Erbfälle und strategische Hochzeiten bestimmt worden, als dass man nicht immer auch darauf einen Blick werfen sollte.”
Es klang damals so hoffnungslos altmodisch, wollte er uns in der Hochblüte der Annales-Schule oder der Bielefelder Schule Wehlers etwa auffordern, den Gotha oder das Goldene Blatt zu studieren? Sicher nicht, aber bei der Betrachtung historischer Vorgänge den Blick auch auf diese Zusammenhänge und Faktoren lenken, denen oft genug ausschlaggebende Bedeutung beikam. Bekanntlich nicht zuletzt beim Aufstieg der Habsburger. “Tu felix Austria...”

Um sich nach dem Tod des Vaters in der Schlacht von Nancy gegen ihren gierigen Taufpaten, König Ludwig von Frankreich, in ihren Erblanden behaupten zu können, gewährte die gerade zwanzigjährige Maria von Burgund im sogenannten Großen Privileg den niederländischen Provinzen und Städten wieder die von ihrem Vater beseitigten Rechte auf Selbstregierung, die sie fortan eifersüchtig wahren sollten (und mit der sofortigen Hinrichtung von zwei alten Räten Herzog Philipps feierten). Noch im gleichen Jahr willigte sie in die bereits abgesprochene Ehe mit dem Habsburger Erbprinzen Maximilian. Ein Jahr später kam ihr Sohn Philipp zur Welt, zwei Jahre darauf ihre Tochter Margarete. Noch einmal zwei Jahre später nahm die begeisterte Reiterin auf Einladung des eng mit dem burgundischen Herzoghaus liierten Adolf von Kleve und Ravenstein an einer Falkenjagd bei dessen Schloss Wijnendale, südlich von Brügge, teil, stürzte dabei vom Pferd, brach sich den Rücken und starb, nur 25 Jahre alt, drei Wochen später an den Folgen einer Fehlgeburt.

Adolf wurde Vormund der Kinder, während Maximilian bald darauf zum deutschen König gewählt und als Nachfolger seines sich aus der Politik zurückziehenden Vaters ins Reich abberufen wurde.

Als der alte Kaiser 1493 starb und Maximilian ihm auch im Kaisertum nachfolgte, ließ er Philipp, den man inzwischen den Schönen nannte, mit 16 für volljährig erklären und verheiratete ihn zwei Jahre später mit Johanna, der zweiten Tochter der Katholischen Könige von Kastilien und Aragon, um ein Bündnis mit ihnen gegen Frankreich zu bekräftigen. Der Überlieferung nach verliebte sich Johanna auf den ersten Blick so unsterblich in ihren zukünftigen Ehemann, dass sie eifersüchtig alle weiblichen Wesen aus seiner Umgebung entfernt und nach seinem frühen Tod mit 28 lange den Sarg bei sich behalten und immer wieder geöffnet haben soll. Als Johanna die Wahnsinnige sperrte ihr Vater Ferdinand sie für den noch fast fünfzig Jahre dauernden Rest ihres Lebens in die Mauern des Convento de Santa Clara von Tordesillas ein (in dem ein Dutzend Jahre zuvor die Welt zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt worden war). Immerhin hatte Johannas Mutter, Königin Isabella, Johanna und Philipp testamentarisch zu Miterben ihres Königreichs Kastilien bestimmt. Sollte König Ferdinand die Herrschaft über Spanien und die halbe Welt künftig etwa mit seiner durchgeknallten Tochter teilen?

Des schönen Philipps Schwester Margarete war gleich nach dem Tod ihrer Mutter Maria - mit zwei Jahren - zur zukünftigen Ehefrau des französischen Dauphins Karl ausgeguckt und zur Erziehung nach Frankreich gebracht worden. Als sie elf war, entschied sich ihr zukünftiger Gemahl und König auf einmal anders. In dem Jahr hatte nämlich Margaretes Vater Maximilian die erst dreizehnjährige Herzogin Anne von der Bretagne zu seiner zweiten Frau ausersehen und zur Trauung den Grafen Polheim als seinen Stellvertreter in die Kathedrale von Rennes geschickt. Natürlich war Frankreich gegen diesen weiteren Umklammerungsversuch Habsburgs, und so erhob der inzwischen regierende Karl VIII. selbst Ansprüche auf die Braut. Maximilian protestierte zwar, musste aber aus der Ferne zusehen, wie sein Schwiegersohn in spe mit der Handhabe, dass der Kaiser die Ehe mit Anne nicht vollzogen und er, Karl, als ihr Lehnsherr vorher nicht seine Zustimmung erteilt habe, nun seine eigene Frau heiratete. So kam die Bretagne an Frankreich.

Gegen einige zuvor von Frankreich annektierte Territorien aus dem burgundischen Erbe ließ sich der Kaiser für die persönliche Schmach durchaus entschädigen und nahm die am französischen Hof etwas überflüssig gewordene Margarete zurück. Zwei Jahre später verheiratete er die Fünfzehnjährige nach Frankreichs Einfall in Neapel ebenfalls in einer Prokurationshochzeit mit dem siebzehnjährigen spanischen Thronfolger Johann. Im April 1497 wurde in Burgos die wirkliche Hochzeit gefeiert. Durch die beiden so kurz aufeinander folgenden Hochzeitsfeiern waren die königlichen Kassen derart angegriffen, dass dem Almirante des Ozeanischen Meeres, Don Cristóbal Colón, vorläufig der Geldhahn für seine dritte Reise nach “Indien” zugedreht wurde. Stattdessen ging das königliche Brautpaar auf seine Hochzeitsreise zu Johanns älterer Schwester nach Portugal. Unterwegs wurde der Infant von einem heftigen Fieber befallen, am 6. Oktober 1497 starb er. Margarete brachte noch ein totes Kind zur Welt und sah sich bald zum zweiten Mal in die Niederlande zurückexpediert. Das Haus Kastilien-Aragon besaß keinen männlichen Thronerben mehr. Bis die später für wahnsinnig erklärte Johanna mit ihrem schönen Philipp von Habsburg im flandrischen Gent einen Sohn in die Welt setzte. Durch den kleinen Karl (V.) sollte das Haus Habsburg auch noch das soeben entstehende spanische Weltreich erben.

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