“Irgendwann, wenn die Leichtigkeit der frühen Jahre dahin ist, wenn der wahre Glanz verflogen und der Stolz gebrochen ist, bleibt jeder großen Hure nur noch die nackte Arroganz. Wenn die Hure aber schlau ist und genügend Erfahrung besitzt, wenn sie wirklich schön ist, die halbe Welt ausgenommen hat und sich alles kaufen kann, bevor der letzte aller Träume unerfüllt bleibt, dann wird sie diese Arroganz in Perfektion beherrschen. Sie wird diese Arroganz durch die Straßen tragen und durch die marmornen Hotelhallen, und gelegentlich wird sie diese Arroganz aufblitzen lassen wie ein kaltes, makellos gewetztes Messer. Die Côte d'Azur ist eine dieser großen Huren. Wahrscheinlich sogar die eleganteste, betörendste, durchtriebenste von allen.
Unten in Cannes stolziert sie dir entgegen, die betagte Diva, in ihrem Licht und in ihrer Grandezza, vor dem glitzernden Meer und den alten Häusern, den Gassen und den Bistros, in denen die derbgesichtigen alten Männer sitzen, barfuß in blauen Segeltuchschuhen vor ihrem Pastis. "Un Gin Tonic, Monsieur? Avec Plaisir!" Um schlanke 23 Euro erleichtert sie dich. Eiskalt lächelnd, damit du gleich weißt, woran du bist. Die Arme. Sie muss gelitten haben in den vielen Jahren. Wie jede Hure leidet, die alt wird und deren größte Gönner, deren Erfinder längst fort sind... Oder tot. Heute muss sich die Riviera mit dem Gemüse abgeben. Mit den Brad Pitts, Madonnas und George Clooneys. Den jämmerlichen Erben der altehrwürdigen Garde.”
(Die blaue Diva, von Marc Bielefeld, Der Spiegel, 14.1.2008)
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