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Freitag, 14. Dezember 2007
Wirklichkeit ist das, was wirkt
In seiner Einleitung zur Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797 kommt Fichte sogleich auf die Anteile von Freiheit und Notwendigkeit in unseren Erkenntnissen und Vorstellungen zu sprechen: “Auch bei der flüchtigsten Selbstbeobachtung wird jeder einen merkwürdigen Unterschied zwischen den verschiedenen unmittelbaren Bestimmungen seines Bewusstseyns, die wir auch Vorstellungen nennen können, wahrnehmen. Einige nemlich erscheinen uns als völlig abhängig von unserer Freiheit, aber es ist uns unmöglich zu glauben, dass ihnen etwas ausser uns, ohne unser Zuthun, entspreche. Unsere Phantasie, unser Wille erscheint uns als frei. Andere beziehen wir auf eine Wahrheit, die, unabhängig, von uns, festgesetzt seyn soll... Wir können kurz sagen: einige unserer Vorstellungen sind von dem Gefühle der Freiheit, andere von dem Gefühle der Nothwendigkeit begleitet.”
Das Gefühl der Notwendigkeit, so Fichte weiter, leiten wir aus unseren Erfahrungen ab, und es komme der Philosophie die Aufgabe zu, die Grundlage unserer Erfahrungen zu ergründen. Dazu müsse sie eine Erklärung suchen, die selbst außerhalb der Erfahrung zu liegen habe. Da der Mensch als denkendes Wesen jedoch schlechthin über nichts anderes als den Schatz seiner Erfahrungen verfüge, müsse der Philosoph abstrahieren, d.h. “das in der Erfahrung Verbundene durch Freiheit des Denkens trennen.”
In der Erfahrung denken wir die äußeren Dinge und das erkennende Ich ungetrennt zusammen, in der philosophischen Ergründung jenseits der Erfahrung muss ich nach Fichte methodisch beide voneinander trennen, was aber so leicht nicht zu gehen scheint: “Ein Ding soll gar mancherlei seyn: aber sobald die Frage entsteht: für Wen ist es denn das? wird niemand, der das Wort versteht, antworten: für sich selbst, sondern es muss noch eine Intelligenz hinzugedacht werden, für welche es sey”, erklärt er und folgert daraus, dass nicht in den außer uns liegenden Dingen, der Welt oder der Materie “das erste, anfangende, unabhängige” zu finden ist, aus dem sich alles andere herleitet; vielmehr müsse das aller Erfahrung Vorausliegende in dem anderen Bestandteil unserer Erfahrung liegen, im erkennenden Ich.
“Die Intelligenz erhaltet ihr nicht, wenn ihr sie nicht als ein erstes, absolutes hinzudenkt.” Dem kantschen “Ding an sich” stellt Fichte ein absolutes, unbedingtes “Ich an sich” gegenüber, und er hebt es sogleich aus dem Bereich der Erfahrung heraus, “denn es ist nicht bestimmt, sondern es wird lediglich durch mich bestimmt” oder “gesetzt”, wie es in §1 der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/95 heißt: “Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses blossen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines blossen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Product der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird... und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung; aber auch der einzig-möglichen, wie sich aus der ganzen Wissenschaftslehre ergeben muss.
Man hört wohl die Frage aufwerfen: was war ich wohl, ehe ich zum Selbstbewusstseyn kam? Die natürliche Antwort darauf ist: ich war gar nicht; denn ich war nicht Ich. Das Ich ist nur insofern, inwiefern es sich seiner bewusst ist.
Sich selbst setzen und Seyn sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich.
Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Seyn... und ausser dem Ich ist nichts.”
Jeder Zen-Meister hätte mich im Fortgang solcher Spekulationen unbemerkt an einen der auf dem Sand verstreut liegenden scharfzackigen Lavasteine geführt und mich in dem Moment, in dem ich über einen stolperte, still lächelnd angesehen. Kann ganz schön weh tun, wenn man mit den Zehen gegen so ein Nichts stößt.
Vielleicht griffe diese spöttische Entgegnung oder Entgegensetzung eines Nicht-Ich (Wissenschaftslehre §2: “das dem Ich entgegengesetzte ist = Nicht-Ich”) fichtologisch ebenso zu kurz wie Goethes Kommentar, als Studenten Fichte einmal die Scheiben einwarfen: “Sie haben also das absolute Ich in großer Verlegenheit gesehen und freilich ist es von den Nicht Ichs, die man doch gesetzt hat, sehr unhöflich durch die Scheiben zu fliegen.” Und doch würde ich, nachdem sich der erste Schmerz gelegt hätte, erleichtert die anstößige Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. Wie sagte der Dokumentarfilmer Clemens Kuby, der jahrelang den Heilkräften von Schamanen und Heilern auf der Spur war, heute im Radio: “Mir ist klar geworden, dass alle diese Heiler das auch wissen, nämlich dass unser Gehirn nicht unterscheiden kann zwischen Wahrheit und Illusion. Dafür ist es nicht gebaut und das ist die Chance. Ich kann also auch mit einer Illusion eine Wirklichkeit erschaffen. Denn Wirklichkeit hat nichts mit Wahrheit zu tun. Wirklichkeit ist das, was wirkt.” - Wundervolle deutsche Sprache!
Das Gefühl der Notwendigkeit, so Fichte weiter, leiten wir aus unseren Erfahrungen ab, und es komme der Philosophie die Aufgabe zu, die Grundlage unserer Erfahrungen zu ergründen. Dazu müsse sie eine Erklärung suchen, die selbst außerhalb der Erfahrung zu liegen habe. Da der Mensch als denkendes Wesen jedoch schlechthin über nichts anderes als den Schatz seiner Erfahrungen verfüge, müsse der Philosoph abstrahieren, d.h. “das in der Erfahrung Verbundene durch Freiheit des Denkens trennen.”
In der Erfahrung denken wir die äußeren Dinge und das erkennende Ich ungetrennt zusammen, in der philosophischen Ergründung jenseits der Erfahrung muss ich nach Fichte methodisch beide voneinander trennen, was aber so leicht nicht zu gehen scheint: “Ein Ding soll gar mancherlei seyn: aber sobald die Frage entsteht: für Wen ist es denn das? wird niemand, der das Wort versteht, antworten: für sich selbst, sondern es muss noch eine Intelligenz hinzugedacht werden, für welche es sey”, erklärt er und folgert daraus, dass nicht in den außer uns liegenden Dingen, der Welt oder der Materie “das erste, anfangende, unabhängige” zu finden ist, aus dem sich alles andere herleitet; vielmehr müsse das aller Erfahrung Vorausliegende in dem anderen Bestandteil unserer Erfahrung liegen, im erkennenden Ich.
“Die Intelligenz erhaltet ihr nicht, wenn ihr sie nicht als ein erstes, absolutes hinzudenkt.” Dem kantschen “Ding an sich” stellt Fichte ein absolutes, unbedingtes “Ich an sich” gegenüber, und er hebt es sogleich aus dem Bereich der Erfahrung heraus, “denn es ist nicht bestimmt, sondern es wird lediglich durch mich bestimmt” oder “gesetzt”, wie es in §1 der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/95 heißt: “Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses blossen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines blossen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Product der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird... und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung; aber auch der einzig-möglichen, wie sich aus der ganzen Wissenschaftslehre ergeben muss.
Man hört wohl die Frage aufwerfen: was war ich wohl, ehe ich zum Selbstbewusstseyn kam? Die natürliche Antwort darauf ist: ich war gar nicht; denn ich war nicht Ich. Das Ich ist nur insofern, inwiefern es sich seiner bewusst ist.
Sich selbst setzen und Seyn sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich.
Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Seyn... und ausser dem Ich ist nichts.”
Jeder Zen-Meister hätte mich im Fortgang solcher Spekulationen unbemerkt an einen der auf dem Sand verstreut liegenden scharfzackigen Lavasteine geführt und mich in dem Moment, in dem ich über einen stolperte, still lächelnd angesehen. Kann ganz schön weh tun, wenn man mit den Zehen gegen so ein Nichts stößt.
Vielleicht griffe diese spöttische Entgegnung oder Entgegensetzung eines Nicht-Ich (Wissenschaftslehre §2: “das dem Ich entgegengesetzte ist = Nicht-Ich”) fichtologisch ebenso zu kurz wie Goethes Kommentar, als Studenten Fichte einmal die Scheiben einwarfen: “Sie haben also das absolute Ich in großer Verlegenheit gesehen und freilich ist es von den Nicht Ichs, die man doch gesetzt hat, sehr unhöflich durch die Scheiben zu fliegen.” Und doch würde ich, nachdem sich der erste Schmerz gelegt hätte, erleichtert die anstößige Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. Wie sagte der Dokumentarfilmer Clemens Kuby, der jahrelang den Heilkräften von Schamanen und Heilern auf der Spur war, heute im Radio: “Mir ist klar geworden, dass alle diese Heiler das auch wissen, nämlich dass unser Gehirn nicht unterscheiden kann zwischen Wahrheit und Illusion. Dafür ist es nicht gebaut und das ist die Chance. Ich kann also auch mit einer Illusion eine Wirklichkeit erschaffen. Denn Wirklichkeit hat nichts mit Wahrheit zu tun. Wirklichkeit ist das, was wirkt.” - Wundervolle deutsche Sprache!
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