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Freitag, 20. November 2015
Wer Arno sagt, muß auch Bargfeld sagen

Schriftstellerehepaar (kinderlos) sucht ruh. Dorfw., 3 Zi., Kü., mögl. Bad, evtl. Einzelhaus. MVZ mögl, Zuschr. erb A. Schmidt, Darmstadt, Inselstraße 42.

Mitte April 1958 antwortete Eberhard Schlotters Vater Heinrich aus dem Heidekaff Bargfeld, er habe womöglich ein Haus für das Schriftstellerehepaar (kinderlos) gefunden. Anfang Oktober reisten die Schmidts zwecks Besichtigung dorthin, und der fast mittellose Kaufinteressent legte eine „Akte Bargfeld” an, aus der ersichtlich wird, worauf er besonderen Wert legte.

"I. Ort: Bargfeld liegt 20 km NO von Celle (dies Sitz d. zuständigen Behörden) / Einwohnerzahl 350 (~ 45 Häuser)... Die Landstraße selbst hört im Ort auf, da weiterhin nur Moor und ödeheide; also keinerlei Durchgangsverkehr; absolute Stille garantiert (und durch 2 Übernachtungen erprobt). / Poststelle beim Gastwirt (dort auch ein öffentlicher Fernsprecher)... Keine Kirche (!)... Bei Wahlen 30% SPD-Stimmen.
II. Umgebung und Klima: ... Etwa 50% der gesamten Umgebung Wald. / Feuchte Niederungen von prächtigstem Moorcharakter... gegen NO sogenannte ‘Wilde Moore’, d.h. solche, in denen Wanderer, ohne irgend Aufsehen zu erregen, versinken können (panzersicher!). In dieser Richtung kann man 50 km gehen, ohne irgend ein Haus zu erblicken! / Heideflecken mit Wacholdern eingesprengt. Waldungen... die erforderliche Landschaft für Bücher mühelos hergebend. Mond, Nebel & Regen erste Qualität.
III. Haus: Im Erdgeschoß rund 45 m² Wohnfläche; oben... 20 m² / Schwache Punkte: kein Bad; kein Klo”.
(Der Rabe, 12, 1985)

Am 13. November 1958 wechselte das Heidehäuschen für 16700 DM den Besitzer und am 26.11.58 zogen die Schmidts nach Bargfeld. Natürlich tauchte das Dorf seitdem mehr oder weniger verfremdet als Schauplatz in Schmidts Texten auf.
Am Neujahrstag 1960 meldete er seinem Freund und Wohltäter Michels triumphierend: „Der Unterzeichnete hat, in den Tagen (und Nächten; zumal diesen letzteren – durchschnittliche Aufstehzeit 2 bis 3 Uhr morgens!) vom 31.11. bis 19.12. 1959 ein neues Buch, im Umfange von rund 400 Normalseiten zu Konzeptpapier gebracht. Der Titel lautet zur Zeit KAFF; auch MARE CRISIUM”.
(Alice Schmidt schrieb dazu ergänzend an die Michels: „Die letzte Woche stand er nur unter schwersten Schnäpsen”.)

KAFF war also das erste von Schmidts umfangreicheren Werken, das in der neuen Umgebung geschrieben wurde, und Bargfeld firmiert darin auch gleich auf der ersten Seite als Wohnort des Beamten aus dem „Individuumsschutzamt”, Dr. Martin Ochs (ja, klar, ein Anagramm von Arno Schmidt). Ebenso läßt sich hinter dem fiktiven Handlungsort Giffendorf unschwer das schöne Bargfeld wiedererkennen. Hier wie da heißt z.B. der zentrale Dorfplatz Eichenkamp. Zu deutlich aber sollte Bargfeld wiederum auch nicht zu identifizieren sein, denn was hätten die Nachbarn und Mitbürger dem zugezogenen und selbsternannten „Heidedichter” Schmidt wohl geflüstert, wenn sie in der „Kollektion von 50 Butzenantlitzen” im Dorfkrug eindeutig sich selbst porträtiert gesehen hätten. „Vorn 1 wollüstich fette Schtirn; an der Seite hingen die Ohren wie Lumpen – Der Hinterkopf dafür wie abgesägt... Schtarkbehaarte Sassen, Kerls mit ungeschnobenen Nasn... Der Abtritt eines Mundes: schlotterte um 3 Zeehne” - ich glaube, hier ist nichtmal die Wahl des Verbs unverdächtig. „Und überdem hätten die Herrschaftn sich doch wohl mal waschn dürfn”.
Auf diese Weise läßt sich der sturmfest erdverwachsene Niedersachse wohl kaum gern in Druckwerken verunsterblichen. Kein Wunder, daß der Dichter das (selbstentworfene) Tor zu seinem Elysium mit Kette und Vorhängeschloß sicherte.

Bargfeld, Gartentor Arno Schmidt

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Sonntag, 15. November 2015
Die Umsiedler A&A Schmidt
Massen von Flüchtlingen sind kein neues Phänomen in Deutschland. Durch Vertreibung und von den alliierten Siegermächten beschlossene Zwangsumsiedlungen aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reiches (Ost- und Westpreußen, Pommern, Schlesien, Sudetenland...) wurden bekanntlich in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 12-14 Millionen Menschen zu Flüchtlingen, die in den westlicheren Regionen des besetzten Deutschlands aufgenommen und untergebracht werden mußten. In manchen Gebieten, in Mecklenburg oder Schleswig-Holstein z.B., verdoppelte sich dadurch die Bevölkerungszahl innerhalb von ein bis zwei Jahren! Daran darf in diesen Tagen der Pegida-Hysterie wohl einmal erinnert werden.
Das Wichtigste in Schmidts Küche in Bargfeld
Zu den Millionen Flüchtlingen damals gehörten auch die Schmidts, Arno und Alice, aus Greiffenberg in Schlesien. Ratzeburg, britische Kriegsgefangenschaft an den Resten der Westfront in der Nähe des Dümmers, Dolmetscher an der Hilfspolizeischule Cordingen bei Walsrode im britisch besetzten Niedersachsen. Vier Jahre unter 14 anderen Mietparteien in einem möblierten Zimmer. Das waren die ersten Stationen dieser Flüchtlingsmisere. 1950 Umsiedlung nach Gau-Bickelheim bei Bad Kreuznach im Rheinhessischen, weil inzwischen 227 Mark oder zehn Monatsmieten an Mietschulden aufgelaufen waren. Kaum ein Jahr später Umzug noch weiter nach Südwesten nach Kastel bei Saarburg.
Die Landschaft an den Saarschleifen gefiel ihm anfangs recht gut: „Da ist es sehr einsam, hinten an der Saar”, lobte er rückblickend in der Kurzgeschichte Schlüsseltausch. Aber Kontakte? Gar Integration? Fehlanzeige. Die Schmidts blieben Zugezogene, über die ungut getuschelt wurde. Von „ungreifbarer Flüsterpropaganda” schrieb Schmidt in einem Brief an seinen Gönner Wilhelm Michels. Die steigerte sich zu öffentlicher übler Nachrede, als im Frühjahr 1955 gegen Schmidt (zusammen mit seinem Verleger und Herausgeber) wegen seiner Erzählung Seelandschaft mit Pocahontas Anzeige wegen „Gotteslästerung” und „Verbreitung unzüchtiger Schriften” erstattet wurde. Schmidt mußte fürchten, daß eine Verurteilung seine gerade erst in Aufschwung begriffene Schriftstellerlaufbahn in der restaurativen Adenauerrepublik zerstören würde, Schwierigkeiten, einen Verlag für seine Geschichten zu finden, hatte er bereits. Die Schmidts flohen wieder einmal, diesmal aus der „hochkatholischen trierer Gegend”, wie er in einem Brief an den kommunistischen Schriftstellerkollegen Werner Steinberg schrieb.
Durch die Intervention von bekannten Kollegen, die im Gegensatz zum breiten Publikum seine Bücher schätzten, des Schriftstellers und Akademiemitglieds Ernst Kreuder und des Malers und Leiters der „Neuen Darmstädter Rezension”, Eberhard Schlotter, bekamen die Schmidts eine Wohnung in Darmstadt, und ein Gutachten von Hermann Kasack, damals Präsident der dortigen Akademie für Sprache und Dichtung, sorgte dafür, daß der Prozeß gegen Schmidt eingestellt wurde.

Doch Darmstadt war für die Schmidts zu groß und zu eng zugleich. In seinen Briefen an Steinberg bezeichnete Arno es bald als sein „Neu-Weimar” und zielte damit vor allem auf dessen Rolle als in sich geschlossenes und kreisendes Künstlergewächshaus, in dem „widerlichste Cliquenwirtschaft” herrsche.
Schon nach einem Jahr fing Schmidt an, sich nach einem ihm gemäßeren Refugium umzusehen, so verzweifelt, daß sogar er, der stets Reiseunwillige, ans Auswandern übers Meer dachte: nach Irland.
„Ich meine, können wir mehr verlangen, als ein Land, nicht der Nato angehörig... praktisch menschenleer... Nebel, Moore, Wiesen, Wind, Haide, nischt wie Ossian und Joyce”. So Schmidt damals an Alfred Andersch.
Den Floh hatte ihm der gut katholische Kollege Heinrich Böll ins Ohr gesetzt, der 1978 dem Zeit-Magazin gestand: „Mitte der 50er-Jahre bin ich nach Irland geflohen. Ja es war eine Flucht, weil ich mich in Köln durch einen Hausbau hoch verschuldet hatte und Ruhe vor meiner Familie brauchte.” (Deutsch: ungenügend, Zeit-Magazin, 3. 11. 1978)
Das Ehepaar Schmidt erwog ernsthaft, Böll zu folgen, korrespondierte eifrig mit ihm, der rheinische Wahl-Ire auf Zeit suchte sogar nach einem Haus für die beiden, die sich mit ihrem Anliegen an die Irische Gesandtschaft in Köln wandten, und dann platzte der Traum. Die Iren verlangten für eine Einwanderungserlaubnis einen Nachweis von Ersparnissen, die zehn Jahre lang den Lebensunterhalt decken konnten.
„Jetzt bleibt nur noch die Haide”, schrieb Schmidt an Andersch.

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Freitag, 13. November 2015
Wallfahrt nach Giffendorf
Bargfeld. Blick zum Kronsberg

»Mänsch iss dos lankweilich.« – (Dabei schtand sie neben einer Distel, so hoch wie 1 Frau.)
»Siehstu: für diesedeine Unart hört jetzt der Weg auf.«
Dann allerdinx wieder herrlichste Wiesenplatitüden. III Bäume.
Nichts Niemand Nirgends Nie! : Nichts Niemand Nirgends Nie! : die Dreschmaschine rüttelte schtändig dazwischen...” – und produzierte Kaff.

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Dienstag, 10. November 2015
"Reglos im Kiefernwebicht". In der Südheide
Nach dem kleinen Schlenker über Königslutter und drei Generationen Reichsgeschichte fuhren wir endlich dem eigentlichen Ziel unseres Ausflugs entgegen, für das wir bei Kirchhorst die Autobahn verlassen hatten.
Giebelschmuck in der Celler Altstadt

Es kam Celle mit viel Fachwerk und dahinein geschnitzten Haussprüchen: „Wer auf Godt vertrauwet...” oder einfallsreicher-eigenwilliger: „Du wat do wut de lue snackt doch” samt possierlichem Giebelschmuck. (Schutzengel der Handschuhmachergilde oder Alien mit Flossen?) Als Dreingabe mit freundlicher Unterstützung unseres Exkurses: 1 Stück Welfenschloß, von Generation nach Generation verschandelt modernisiert: mittelalterliche Burg, Renaissanceschloß, barock „venezianisierte” Residenz, Pomp des 19. Jahrhunderts... alles drin, alles dran.
Gleich hinter diesem Südtor zur Lüneburger Heide wurde die letzte Bundesstraße dreistellig, die Landstraße dann war es sowieso. Samtgemeinde Lachendorf, bekannt für ihre Papiermühlen – ein gutes Vorzeichen. Wir waren schließlich unterwegs in »papierreiche Zeit«. Zur Samtgemeinde gehört Eldingen im Naturpark Südheide, „hauptsächlich geprägt durch Kiefern und Fichten” – viel Sand also, schön. Die Heideflächen mit Wacholder sowieso.
„Der eigentlich öde und traurige Theil des Wegs von Lüneburg bis Celle fängt hier an”, notierte der „Dänische Wieland” und Voß-Freund Jens Baggesen auf einer Reise durch Deutschland im Juni 1795 mit seiner jungen und bezeugtermaßen schönen Schweizer Frau Sophie, einer Enkelin übrigens Albrecht von Hallers. „Sand, Haide und Moor, umgeben von ewigen Tannen- und Fichtenwäldern, ist Alles, was man entdeckt. Nicht ein einziges Dach – kein Wasser – kein Mensch – kein Thier - selbst nicht die Luft, – wenn ich eine fürchterliche Menge von Raben ausnehme.”
Die Gemeinde Eldingen hingegen, „die im Ortsteil Bargfeld das Schmalwasser und die Köttelbeck aufnimmt”, ist berühmt durch ihren Schweinekrieg anno 1668, bei dem es sogar einen Toten gab. Noch 1928 wählten 40 Prozent der Eldinger die „Deutsch-Hannoversche Partei”. Deren vordringlichstes politisches Ziel: die Restauration der Welfendynastie. Schon 1930 liefen sie und ihre Wähler geschlossen zur NSDAP über. »Nich ärgern,« sagte mir Katrin unerschütterlich, »das sind doch gar keine Menschen. Sind doch Bauern.«

Als wir das Dorf endlich fanden, hing der niedersächsische Himmel noch von pferdeköpfigem Giebelkreuz zu Giebelkreuz tief zwischen die moosbedeckten Dächer gespannt. Nach einem dünn herabfädelnden Landregen lag der süße Geruch blühender Kartoffelfelder schwer in der Luft. Ein schmaler Bach ringelte sich seicht und klar im Heidesandbett unter der Straßenbrücke durch. Die Lutter, I presume.
Obwohl eigentlich nur drei Straßen in das Dorf führen, haben wir das gesuchte Anwesen nicht gleich auf Anhieb gefunden. Es gibt ja aber auch nebst etlichen Nebenerwerbsbauernhöfen ein Küchenstudio, Harms’ Modegeschäft und ein eigenes Taxiunternehmen dort, ein Spezialantiquariat nicht zu vergessen.

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Donnerstag, 5. November 2015
Richenza sichert den Welfen Sachsen
Die Wutanfälle Heinrichs des Stolzen nach der „Wahl” Konrads IIII. kann man sich vorstellen.
Dem ersten Reichstag des neuen Königs in Bamberg, wo die Großen des Reiches dem Staufer huldigen, bleibt er demonstrativ fern. Konrad läßt ein paar Wochen verstreichen, dann fordert er den Welfen auf, ihm die Reichsinsignien auszuliefern. Heinrich knirscht mit den Zähnen, erklärt sich aber bereit, wenn Konrad ihn im Gegenzug in seinen beiden Herzogslehen in Bayern und Sachsen bestätigt. Man vereinbart ein Treffen in Regensburg. Als Heinrich im Juni 1138 dort eintrifft, erwarten ihn lediglich zwei Abgesandte des Königs, die ihm das Reichskreuz mit der Heiligen Lanze darin, die achteckige Reichskrone und vielleicht weitere Insignien abnehmen und ihm vom König ausrichten, für die übrigen Fragen sei gerade keine Zeit, man könne sich darüber auf dem nächsten Reichstag im Juli in Augsburg verständigen. Heinrich der Stolze ist ein weiteres Mal düpiert. Und er weiß damit definitiv, daß der neue König keineswegs gewillt ist, ihm seine herausragende Machtstellung mit dem Doppelherzogtum zu belassen (was beim Charakter Heinrichs vermutlich auch einem politischen Selbstmord auf Raten gleichgekommen wäre).
In Augsburg erscheint Heinrich der Arrogante nicht mit dem üblichen Gefolge, sondern mit einem Heer. Drei Tage lang finden vorsichtige Sondierungsgespräche statt, am vierten ist der König über Nacht abgereist. Nach Würzburg, wo er vor einem Angriff sicher ist. Dort setzt er den Reichstag fort, und da Heinrich ihm die Huldigung verweigert hat, erklärt er ihn als der Reichsacht verfallen und entzieht ihm erst einmal das Herzogtum Sachsen. Mit Konsens der in Würzburg anwesenden Fürsten belehnt Konrad damit den am Ostrand des Harzes begüterten Markgrafen der Nordmark, Albrecht den Bären aus dem Haus der Askanier (Aschersleben), dessen Mutter Eilika eine Tochter des früheren sächsischen Herzogs Magnus Billung war und der somit durchaus legitime Ansprüche auf das Herzogtum erheben kann.
Anerkennung in seinem neuen Herrschaftsbereich muß sich der Bär allerdings selbst verschaffen, und er nutzt sofort die Gunst der ersten Stunde: Heinrich der Stolze hält sich noch in Bayern auf, als Albrecht die Städte Lüneburg, Lübeck und Bardowiek erobert. Weiter kommt er nicht. Graf Adolf II. von Holstein und andere sächsische Große verweigern ihm die Anerkennung, und Lothars Witwe, die Kaiserin Richenza, organisiert im Hintergrund eine Widerstandsbewegung.

Damit ist der Bruch zwischen der staufischen Partei und den Welfen offenbar, und König Konrad III. weiß, daß er die Welfen nun vollständig entmachten muß. Er beruft für den Dezember einen Hoftag in seiner Königspfalz Goslar im Herzen Sachsens ein. Dort erkennt er Heinrich auch seine Herzogswürde in Bayern ab und belehnt an dessen Statt seinen eigenen Halbbruder Leopold IV., Markgraf von Österreich aus dem Haus der Babenberger, mit dem bayerischen Herzogtum.
Darauf hält den wutschnaubenden Welfen nichts mehr zurück. Mitten im Winter marschiert er gleich Anfang 1139 mit seinem Heer von Bayern nach Sachsen, das der König fluchtartig verlassen muß. Überall erheben sich die Welfentreuen unter dem sächsischen Pfalzgrafen Friedrich von Sommerschenburg, Erzbischof Konrad von Magdeburg oder Graf Rudolf von Stade, und Albrecht der Bär muß schließlich ebenfalls fliehen, zum König nach Süddeutschland. Der ruft den Reichskrieg gegen den geächteten Welfen aus und zieht zum Sommer bei Hersfeld ein beträchtliches Heer gegen die Sachsen zusammen. An der Königsfurt über die Werra beim nachmaligen Creuzburg stehen sich beide Heere schließlich gegenüber. Die Fürsten unter Leitung Alberos von Trier und Herzog Sobeslavs von Böhmen vermitteln jedoch einen Waffenstillstand bis zum Pfingstfest des nächsten Jahres. Heinrich bleibt so lange im Besitz Sachsens und darf sich vorerst als Sieger fühlen.
Natürlich will er sich nun auch mit Gewalt Bayern zurückholen, das in dem Waffenstillstand nicht eingeschlossen ist. Und wenn er erst wieder über sein Reich von Meer zu Meer verfügt, wird man sehen, wie lange sich der Staufer noch auf seinem Thron halten kann. Also bereitet Heinrich einen Feldzug nach Bayern vor, wo sein Bruder Welf VI. dem Babenberger bereits Widerstand leistet. Heinrich beruft die ihm treuen Adeligen nach Quedlinburg und spricht mit ihnen ab, wie Sachsen während seiner Abwesenheit bewahrt und verwaltet werden soll, – und stirbt dort ganz plötzlich am 20. Oktober 1139 im Alter von 40 Jahren. (Natürlich kommen Gerüchte von einem Giftmord auf, doch außerhalb Sachsens finden sie kaum Gehör und verstummen bald wieder.)

Wieder stehen die Welfen zumindest in Sachsen vor dem Ende. Doch wieder tritt eine Frau aus dem Hintergrund, um ihre Macht zu retten, und wieder ist diese Frau selbst keine Welfin. Diesmal ist es Richenza von Northeim, die Witwe Kaiser Lothars von Süpplingenburg. Vermutlich ist sie diejenige, die entscheidet, daß der in Quedlinburg aufgebahrte Ex-Herzog Heinrich nicht in die Grablege der Welfen im schwäbischen Kloster Weingarten überführt wird. Symbolkräftig läßt sie ihn an der Seite ihres Mannes in Königslutter beisetzen und dokumentiert so die Nähe der Welfen zum sächsischen Herzogtum und deren auf Verwandtschaft gegründeten Anspruch auf das deutsche Königtum und die Kaiserkrone.
Wofür tut sie das, obwohl sie selbst doch keine Welfin ist? Nun, zum einen arbeitet sie so daran, das politische Vermächtnis ihres verstorbenen Mannes zu verwirklichen, der ja auf dem Sterbebett in Tirol die Welfen als seine persönlichen und politischen Erben eingesetzt hatte, und zum anderen tut sie es für ihre Tochter, nun Heinrichs des Stolzen Witwe (Richenza kann ja nicht ahnen, daß Gertrud keine zwei Jahre nach ihr mit nur 28 Jahren im Kindbett sterben wird), und für deren Sohn, ihren Enkel Heinrich, den man einmal den Löwen nennen wird.
Sein Geburtsjahr ist unbekannt, man datiert es auf ungefähr 1129/30, obwohl seine 1115 geborene Mutter dann bei seiner Geburt gerade 15 Jahre jung gewesen sein kann. Fest steht jedenfalls, daß Heinrich beim Tod seines Vaters noch minderjährig war. Seine offenbar sehr energisch auftretende und noch immer mit viel Macht und Ansehen ausgestattete Frau Großmama und die Welfenpartei im sächsischen Adel reklamierten gleichwohl die Herzogswürde für den Jungen und bildeten einen Regentschaftsrat, an dessen Spitze Richenza die Regierungsgeschäfte führte. Den abermals anrückenden Ballenstedter Bären jagten sie umgehend wieder aus Sachsen hinaus und fühlten sich anschließend stark genug, Einladungen König Konrads zu Reichstagen nach Worms und Frankfurt zur Schlichtung auszuschlagen. Erst als Richenza im Juni 1141 starb, wurde der Weg zu einem Vergleich zwischen Staufern und Welfen frei. Im Frühjahr 1142 wurde der noch immer unmündige Heinrich auf einem Reichstag zu Frankfurt von König Konrad offiziell mit dem Herzogtum Sachsen belehnt: Der Beginn einer neuen politischen Ära in Sachsen und im Reich.
Richenza bestattete man mit einer Grabkrone aus Blei an der Seite ihres Mannes im Kaiserdom von Königslutter. Wie hat Jünger noch angemerkt: „Da ruht mehr, als man ahnt.”

cc) Bleierne Grabkrone der Kaiserin Richenza von Northeim, 1141

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Dienstag, 3. November 2015
Heinrich der Hochmütige eine zu heiße Kartoffel
Ihre weithin berüchtigte Arroganz hat die Welfen früh den deutschen Thron gekostet. Dabei hatte Heinrich der Schwarze doch durch seinen Deal mit Lothar von Süpplingenburg seinem Sohn praktisch den roten Teppich zum Thron ausgerollt. Doch als es 1138 so weit zu sein schien, nach dem Tod Kaiser Lothars die Wahl Heinrichs des Stolzen zum deutschen König lediglich noch als Formsache anberaumt war, da ließen ihn seine Fürstenkollegen fallen wie eine zu heiße Kartoffel.
Als Lothar auf der Rückkehr von seinem zweiten Italienzug in dem den Welfen gehörenden Reichshof Breitenwang in Tirol am 4. Dezember 1137 sein Leben aushauchte, übergab er seinem ihn begleitenden Schwiegersohn die Reichsinsignien, vermachte ihm als Erben seinen gesamten Supplinburger Hausbesitz mitsamt den braunschweigischen und northeimischen Allodialgütern und belehnte ihn zusätzlich zu seinem bayerischen Herzogtum auch noch mit dem Herzogtum Sachsen. In Italien war der stolze Heinrich zum Markgrafen von Tuszien ernannt und vom Papst verabredungsgemäß mit den reichen Mathildischen Gütern belehnt worden. Wer wollte und konnte diesem (über)mächtigen Reichsfürsten in Deutschland ernsthaft die Stirn bieten?
Karlsthron, Aachen

Natürlich die Kirche, denn Kaiser Lothar hatte sich in Investiturfragen mehrfach mit dem Papst angelegt, und Heinrich galt als sein Mann. Mit der Machtfülle, die er als König in seiner Hand vereint hätte, konnte er auch den deutschen Kirchenfürsten gleich mehr entgegensetzen, als der in seinen Anfängen eher zweitrangige Süpplingenburger es vermocht hatte.
Als „Erzkanzler für Germanien” stand traditionsgemäß dem Mainzer Erzbischof die Einberufung und Leitung der deutschen Königswahl zu. Erzbischof Adalbert I. war allerdings im Juni 1137 gestorben, sein Mainzer Stuhl noch vakant, in Köln hatte man zwar gerade einen neuen Erzbischof gewählt, aber der war noch nicht geweiht, und so kam es, daß Papst Innozenz II. Erzbischof Albero von Trier mit der Leitung der Wahl beauftragte und praktischerweise auch gleich einen Legaten für die Krönung sandte. Albero gab offiziell Pfingsten als Wahltermin bekannt, berief aber ein exklusives Klübchen antiwelfischer Fürsten schon Anfang März nach Koblenz. Dort riefen sie den bereits gegen Lothar III. als Gegenkönig aufgetretenen Staufer Konrad III. zum neuen deutschen König aus und ritten spornstreichs nach Aachen, um ihn dort auch gleich vom päpstlichen Kardinallegaten Dietwin krönen zu lassen.
Solche Coups kamen in der Geschichte der deutschen Königswahlen öfter vor; erstaunlicher ist, daß sich in diesem Fall keine Opposition zugunsten des geprellten Welfen erhob. Der Grund für die mangelnde Unterstützung muß im Auftreten und Wesen des stolzen Heinrich gesucht werden. Der bedeutende Chronist Otto von Freising, allerdings ein Halbbruder Konrads III., hielt in seinen „Taten Friedrichs”, Gesta Friderici, später ausdrücklich fest, daß sich Heinrich „aufgrund seines Hochmuts den Haß fast aller” zugezogen hatte (Heinricus Noricorum dux pro nota superbiae pene omnium odium contraxerat). In seiner großen Chronica sive Historia de duabus civitatibus, an der er zeitgleich mit den Ereignissen schrieb, konnte er sich eines fast schadenfrohen Exkurses über „Gottes fürchterliche Ratschlüsse über die Menschenkinder” nicht enthalten: Als Herzog Heinrich superbus durch die Autorität seines kaiserlichen Schwiegervaters und seinen eigenen Besitz „in derartige Höhen gestiegen war, daß er auf alle herabsah und keinen um Zustimmung für sein Königtum zu fragen für nötig hielt”, da habe „der Herr, der Demut erkennt und das Hohe von weitem sieht, [statt seiner] jenen erniedrigten und fast verzweifelten [Konrad] auf den Gipfel der Königsmacht geführt” (MGH, script. rer. Germ. 45, 347f).

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Sonntag, 1. November 2015
Großmütter und Glücksspieler der Welfen
Die Welfen wären längst von der Bildfläche verschwunden, wenn sie nicht immer wieder äußerst tatkräftige Frauen geheiratet hätten. Damit meine ich nicht Caroline von Monaco. Aber Welf II. zum Beispiel (zum Glück sind die Welfe einigermaßen überschaubar durchnumeriert) hatte Irmentrud (genannt Imiza) von Gleiberg, eine Nichte der Kaiserin Kunigunde aus dem luxemburger Grafenhaus, zur Frau. Ob das für Welf persönlich eine Bereicherung und glückliche Ehe bedeutete, weiß man nicht; seit dem Jahr 1030 war Imiza verwitwet. Doch als 25 Jahre später auch noch ihr Sohn vor ihr starb, gab die alte Dame ihr Schicksal nicht etwa einfach verloren und ihren Reichtum nicht der Kirche. Vielmehr focht sie das Vermächtnis an, weil sie als Erbin dem Testament nicht zugestimmt habe, und schickte nach Italien.

Dort nämlich war ihre Tochter, die den Namen ihrer Großtante, der Kaiserin Kunigunde, und von deren Großmutter trug, einer Enkelin des westfränkischen Karolingerkönigs Ludwig der Stammler, mit dem reichen Mailänder Markgrafen Albert Azzo II. von Este verheiratet... gewesen; denn auch diese jüngere Kunigunde hatte im Jahr zuvor das Zeitliche gesegnet. Da der Markgraf sich wieder zu verheiraten gedachte (diesmal mit einer reichen Alleinerbin aus dem französischen Hochadel), hatte er nichts dagegen, seinen etwa zwanzigjährigen Sohn aus der Ehe mit Kunigunde zu seiner einsam kämpfenden Großmutter zu schicken. Die präsentierte ihn in Deutschland als Welf IV., und der nicht wenig zwielichtige und halbseidene Halbitaliener wurde durch einige weitere Winkelzüge und Glücksfälle der Begründer der jüngeren Linie der Welfen.

Mit vornehmer Zurückhaltung spricht Heinrichs des Löwen anderer Biograf, Karl Jordan, von seiner „zwiespältigen Rolle in der Reichsgeschichte”. Paul Barz bringt es herzhafter auf den Punkt. Für ihn ist Welf IV. ein „Glücksspieler”.

„In den Jahren zwischen 1056 und 1106 sieht man ihn wenigstens dreimal Front und Gesinnung wechseln. Er heiratet eine bayerische Prinzessin und verstößt sie wieder, schwört Freunden die Treue und verrät sie bei nächster Gelegenheit. Den eigenen Schwiegervater bringt er um das bayerische Herzogtum, um sich an seine Stelle zu setzen – Am Ende seines Lebens sieht man ihn dann als Herzog von Bayern, als einen reichen, alten Mann mit besten Verbindungen zum salischen Kaiserhaus, das er so oft verraten hat.” – Mit Welf IV., so Barz, kommen neue Züge ins Familienprofil der Welfen: „Züge des Hasardeurs, des Machtmenschen ohne Skrupel und Moral – und ganz werden sich diese Züge auch nicht mehr verlieren.”

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