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Samstag, 29. Mai 2010
Der Dolchstoß des Bundespräsidenten
O weh! Das Geschrei ist groß, der Bundes-Horst hat auf seinem fast spontan zu nennenden Besuch bei der kämpfenden Truppe in Afghanistan letzten Sonntag viel Porzellan zerschlagen und nahezu jeden vor den Kopf gestoßen, mit dem er eigentlich unter einer Decke stecken sollte: den Herrn Karsai, weil sich unser Bundespräsident, das Staatsoberhaupt einer der Afghanistan besetzt haltenden befreienden Militärmächte, wie ein Dieb in der Nacht ins Land geschlichen hat anstatt offiziell den Vordereingang in Kabul zu benutzen. (Ich kann ihn ja gut verstehen, wer möchte schon so eine schmierige Hand wie die Karsais schütteln müssen?), aber auch die eigenen Soldaten, weil sie nicht genügend Siegeszuversicht in die Mikrophone posaunten. "Warum höre ich das nicht von Ihnen?" (Ich kann sie ebenfalls gut verstehen.) Vor allem aber die ganzen politischen Maulhuren und Kriegs(be-)treiber und -verbrämer in Parlament, Parteien, Politik und Medien. Die sehen durch ein vielleicht unbedacht offenes Wort Köhlers jetzt ihre gesamte Wortakrobatik um die “umgangssprachlich” vielleicht ganz irrig schon einmal Krieg genannten, in Wahrheit aber natürlich nur Freiheit, Sicherheit & Demokratie sichernden Maßnahmen am Hindukusch entlarvt. Grünen-Fraktionsvize Frithjof Schmidt schäumte, die Äußerungen des Bundespräsidenten seien "brandgefährlich". "Sie entsprechen weder der Rechtsgrundlage noch der politischen Begründung des Afghanistan-Einsatzes", sagte Schmidt. Die Ausführungen Köhlers offenbarten ein für das Präsidentenamt inakzeptables Verständnis von Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. (SZ, 27.5.10) „Köhler schadet der Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr”, erklärte auch Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, in Spiegel Online. Deutschland führe in Afghanistan keinen Krieg um Wirtschaftsinteressen, es gehe dort um die Sicherheit Deutschlands”, hält er brav an der Struck-Doktrin fest. Wer anderes behaupte oder fordere, "redet der Linkspartei das Wort. Wir wollen keine Wirtschaftskriege", so Oppermann.
“Im Ergebnis ist Köhler allen in den Rücken gefallen, die den Einsatz im Bundestag beschlossen haben - und auch den Soldaten in Afghanistan, die sich bisher nicht als Kämpfer für den Welthandel sahen”, kommentierte Daniel Brössler erbost in der Süddeutschen, wo er unseren Bundespräsidenten unverblümt einen Schwadroneur nannte. - Wenn sich die Bundeswehrsoldaten bisher nicht als “Kämpfer für den (deutschen) Welthandel” sahen, war es höchste Zeit, daß sie jemand wieder an längst öffentlich erklärte Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik erinnerte. Daß das ausgerechnet der erste Mann im Staat übernehmen würde, hätte ich Horst Köhler gar nicht zugetraut.

c) ddp

Kaum war die Bundesrepublik Deutschland um das Staatsgebiet der DDR erweitert worden und konnte das Ausgreifen der Bundeswehr ins Ausland keinen gefährlichen Konflikt in der Frontstellung des Kalten Krieges mehr provozieren, da wurde auch sogleich eine breite Debatte über denkbare militärische Abenteuer in Gebieten entfacht, zu denen der Bundeswehr vom Grundgesetz der Zutritt eigentlich verboten war. In unerschütterlicher Bündnistreue hatte die alte Bundesrepublik bereits im Ersten Golfkrieg 1987 Marineverbände zur Unterstützung der Amerikaner ins östliche Mittelmeer entsandt und damit die eigene Verfassung unterlaufen. Gleiches wiederholte sich im Zweiten Golfkrieg 1990; die Verlegung von Kampfflugzeugen in die Nähe der irakischen Grenze kam hinzu. Konnte man dies noch als Maßnahmen zum Schutz des NATO-Partners Türkei ausgeben, so gilt das anschließende Minenräumen im Persischen Golf unbestritten als erster “Out of area”-Einsatz der Bundeswehr. Ähnliche “rein humanitäre Aktionen” folgten in Kambodscha (1992/93), bei der “Stabilisierungsmission” der UNO in Somalia (1993/94) sowie bei der Durchsetzung des Embargos gegen Restjugoslawien 1992-96. Der Öffentlichkeit und Soldaten, die vielleicht in der Überzeugung der BW beigetreten waren, das Grundgesetz (Art. 26 GG (1) "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen") verbiete jeden bewaffneten Einsatz außerhalb des Verteidigungsfalls und des Bündnisgebiets, mußte klar gemacht werden, daß sich der politische Wind inzwischen gedreht hatte.
Helmut Kohls neuer Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) erließ zu diesem Zweck noch im Jahr seines Amtsantritts 1992 neue Verteidigungspolitische Richtlinien. Unter Punkt II. Deutsche Wertvorstellungen und Interessen taucht dort als Zielsetzung auf: “Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt”.
Einer seiner Nachfolger, Peter Struck (SPD), hat diese Zielsetzung nicht nur bestätigt, sondern noch ausgeweitet. Seine Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 “machen deutlich, dass sich die Einsätze der Bundeswehr weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen lassen” (§27) , m.a.W. also deutsche Kriegseinsätze weltweit denkbar und möglich sein sollen. Zwar sprach Struck, dem man nachrühmte, er habe oft Klartext geredet, statt von Krieg lieber wie ein Versicherungsmakler von “Risikovorsorge”, aber was Köhler jetzt klar aussprach, sagte auch Struck damals lieber noch durch die Blume: “Die deutsche Wirtschaft ist aufgrund ihres hohen Außenhandelsvolumens und der damit verbundenen besonderen Abhängigkeit von empfindlichen Transportwegen und -mitteln zusätzlich verwundbar.” Und darum wollte Struck den “Wandel der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz.” (§84)
Sein Nachfolger Jung (CDU) schrieb der Bundeswehr unter den Zielen deutscher Sicherheitspolitik 2006 schon fast selbstverständlich ins Weißbuch, “den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern”.
Am 6. Mai 2008 beschloß die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag eine Sicherheitsstrategie für Deutschland. Darin hob sie “unsere Abhängigkeit von Energie und Rohstoffen sowie einer sicheren Versorgungsinfrastruktur” hervor und folgerte daraus: “Die Herstellung von Energiesicherheit und Rohstoffversorgung kann auch den Einsatz militärischer Mittel notwendig machen, zum Beispiel zur Sicherung von anfälligen Seehandelswegen oder von Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen etc. Bereits heute wird die Bundeswehr eingesetzt”.

Hat Köhler irgendetwas anderes oder darüber Hinausgehendes gesagt? Kaum. Er sagt nur explizit, was man bisher lieber blumig umschrieb, nämlich daß deutsche Interessen sich den “ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt” notfalls auch militärisch erzwingen werden: “Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege... es wird wieder sozusagen Todesfälle geben... Man muss auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren.”

Wer ihn jetzt rhetorisch wilhelminischer Kanonenbootpolitik bezichtigt wie der Kriegsbefürworter Trittin, sollte vorsichtig sein, daß er sich mit diesem Schuß nicht den eigenen Bug beschädigt. Immerhin stehen durch die Zustimmung von Politikern sämtlicher im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken zur Zeit deutsche Soldaten schon in Afghanistan, Usbekistan, Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Sudan, Somalia, Mogadischu, Libanon und Kongo.

1. schwerwiegende Konsequenz aus Bundes-Horstis Plauderei im Flieger? Das hier.

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Ich danke Ihnen sehr,
vor allem für die Erinnerungen im einzelnen. Aber es gibt mir noch immer keine Antwort auf die sich mir seit langer Zeit stellende Frage: Wie ist es möglich, daß die Deutschen, die ansonsten doch recht rasch im höchsten Gericht stehen, es zulassen, gegen eben diese Verfassung verstoßen. Wissen Sie, ob deshalb je jemand nach Karlsruhe gezogen ist? Ob da eine Klage verworfen oder nicht zugelassen wurde? Eine Grundgesetzänderung wird es wohl kaum gegeben haben – denn sonst hätten Sie den Artikel 26, Absatz 1 sicher nicht zitiert.

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Wie ist es möglich?
Das fragten und fragen sich viele, lieber Herr Stubenzweig, doch in der Sache vermuten Sie richtig: die Frage, ob Auslandseinsätze der BW jenseits des unmittelbaren "Verteidigungsfalls" vom Grundgesetz erlaubt werden, ist in der Tat vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) verhandelt worden, und zwar im Jahr 1994, als die NATO, unterstützt von deutschen Verbänden, Krieg gegen Serbien führte. Eigenartigerweise reichte nicht nur die damalige Oppositionspartei SPD Klage gegen die Beteiligung der BW ein, sondern ebenso die Regierungspartei FDP, denn die wollte damals vom BVG möglichst die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung herbeigeführt sehen, während Herr Kohl sich mit solchem Schnickschnack nicht lange aufhalten mochte. Auf diesen Nebenaspekt gingen zwei Bundesrichter damals in einem Sondervotum ein. Vgl. dazu die Darstellung in der Chronik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts am juristischen Lehrstuhl der Uni Göttingen.
Mit dem juristischen Winkelzug, das Militärbündnis der NATO zu einem Organ der kollektiven Sicherheit im Sinne von Artikel 24.2 GG zu erklären, urteilte der 2. Senat des BVG am 12. Juli 1994, die Beteiligung der BW an NATO-Einsätzen sei grundsätzlich zulässig und nicht verfassungswidrig.
Hier der Text des damaligen Urteils in vollem Umfang, und hier noch ein interessanter Kommentar dazu aus der Zeitschrift Wissenschaft & Frieden. Darin heißt es u.a., der Bundesregierung sei damals das Kunststück gelungen, "via Karlsruhe eine Verfassungsänderung ohne verfassungsändernde Mehrheit durchzusetzen.“

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Dabei kann man
durchaus einigermaßen (ver)fassungslos werden. Nun sehe ich dank Ihnen zwar klarer, allem voran: «Während die deutsche Öffentlichkeit im großen und ganzen fast überhaupt nicht reagierte [...]» Aber verstehen tue ich so etwas deshalb noch lange nicht. –
«Das Verfassungsgericht eignet sich die Sichtweise der Exekutive, insbesondere die der militärischen Führung, an und ermuntert die Regierung geradezu, diese höchst fragwürdige Verwischung durch eigenes militärisches Handeln als völkerrechtliche Praxis zu etablieren.»

Und, nebenbei, da ist es auch auch schon wieder: «Vor der Entsendung von Truppen werde in jedem Einzelfall ‹sauber zu prüfen› sein, ‹ob besondere deutsche Interessen vorliegen›. Auch wirtschaftliche Interessen könnten dabei ‹eine Rolle spielen›» (Klaus Kinkel)

Da möchte man die stenographischen Protokolle des Parlamentarischen Rates hervorkramen und sie den Parlamentariern zur Erinnerung unter die Augen halten (wobei ich bezweifle, daß die noch wissen oder wissen wollen, was es mit diesen elementaren Debatten um die Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf sich hatte; für Mitleser: die Anmerkung zu Parlamentarischer Rat). Als besonders bemerkenswert empfinde ich das Ende des Kommentars:

«Ein Trost bleibt: Der Bundeswehreinsatz nach innen ist auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes immer noch verboten. Ob diese Interpretation allerdings auch morgen und übermorgen noch gilt, bleibt natürlich in Frage gestellt. Schäuble, der im Zusammenhang mit den Streiks in Bischofferode darüber spekulierte, ob nicht auch ein innenpolitischer Einsatz der Bundeswehr möglich sei, wird wahrscheinlich den Verfassungsrichtern von morgen einen neuen Kunstgriff abtrotzen.»

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